Erstmals seit 1945 hat Deutschland - regiert von Rot-Grün - in der zurückliegenden Legislaturperiode wieder Krieg geführt. Die Teilnahme an der NATO-Intervention gegen Jugoslawien war nicht nur eine außenpolitische Zäsur, auch ein zivilisatorischer Rückfall. In der Logik dieser Weichenstellung, die den Krieg als Mittel der Politik nutzt und gutheißt, lag nach dem 11. September 2001 die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands mit den USA in deren "Feldzügen gegen das Böse".
Seit dem Regierungsantritt von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen wurden deutsche Soldaten zweimal mit explizitem Kampfauftrag in fremde Länder entsandt. Das erste Mal, im März 1999, handelte es sich um einen aus völkerrechtlicher Sicht se
htlicher Sicht sehr zweifelhaften Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien - ein souveränes Mitglied der Vereinten Nationen -, der als "humanitäre Intervention" deklariert worden war. Im zweiten Fall wurde nach den Terrorattacken von New York und Washington im September 2001 der einzig verbliebenen Weltmacht USA von Bundeskanzler Gerhard Schröder "uneingeschränkte Solidarität" zugesichert und danach die Bundeswehr mit einer äußerst knappen Mehrheit des Deutschen Bundestages in den Kampfeinsatz nach Afghanistan entsandt. Die Art und Weise, wie dieser Beschluss dem Parlament vom Bundeskanzler abgepresst wurde, bedeutete tendenziell ein Unterlaufen des vom Bundesverfassungsgericht mit Bedacht in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 formulierten Parlamentsvorbehaltes für den Einsatz der Bundeswehr jenseits der Landesgrenzen. Zugleich ist bei der politischen Kontrolle des deutschen Militärs eine klare, fortdauernde Machtverschiebung weg von der Legislative, hin zur Exekutive zu konstatieren, die besorgt machen muss. Vergessen ist offenbar die einstmals so emphatisch betonte "Kultur der Zurückhaltung", mit der die desaströse deutsche Politik der kriegerischen Mittel nach 1945 beantwortet wurde. Mittlerweile sind mehr als 10.000 deutsche Soldaten rund um den Globus verteilt, ohne dass hinter dem demonstrierten militärpolitischen Aktionismus eine klare Strategie erkennbar wäre. Mehr noch: Die rot-grüne Bundesregierung lässt die Soldaten des "Kommandos Spezialkräfte (KSK)" aus dem schwäbischen Calw zur Unterstützung der amerikanischen Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" weltweit ausschwärmen - nötigenfalls zum Töten und Sterben - ohne demokratische Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit zu gewährleisten. Unbequeme Forderungen nach Transparenz und Information werden mit den Totschlag-Argumenten "Geheimhaltungsbedürftigkeit" und "Schutzverpflichtung gegenüber den Soldaten" abgebügelt. Die "Enttabuisierung des Militärischen" durch Rot-grün korrespondiert mit einem in den letzten Jahren unter politischen Entscheidungsträgern in Mode gekommenen Bellizismus. Seit dem Ende des Kalten Krieges werden die in der Charta der Vereinten Nationen kodifizierten Einschränkungen des Rechts zur militärischen Gewaltanwendung immer weiter ausgehöhlt. Gerade die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien missbrauchen ihre Streitkräfte immer häufiger für Einsätze, die durch völkerrechtliche Mandate entweder nicht hinreichend oder gar nicht abgedeckt sind. In besorgniserregender Weise entwickelt sich ein global ausufernder militärischer Interventionismus, der in Deutschland mit der Rhetorik von der "Normalisierung der deutschen Außenpolitik" legitimatorisch unterfüttert wird. Nahezu unisono konstatiert die politische Klasse dieser Republik - konterkariert allenfalls von der PDS -, dass Deutschland "keinen Sonderstatus" mehr beanspruchen könne. Von der Nation werde fortan erwartet, vermehrt "internationale Verantwortung" zu übernehmen. Darüber hinaus wird proklamiert, dass eine solche "Friedensmacht, die seit langem für Ausgleich und internationale Hilfe" sorge - historisch nunmehr als unbelastet zu gelten habe. Derlei Worthülsen, mit denen die unrühmlichen Etappen vor allem der jüngeren deutschen Vergangenheit entsorgt werden sollen, gehören zum Dummdeutsch der politischen Klasse. In ihnen reflektiert sich eine Art pubertärer Unbefangenheit der "Berliner Republik". Indes handelt es sich schlechterdings um Geschichtsklitterung. Im Gegenteil, die Bundesrepublik Deutschland kann überhaupt nur im Bewusstsein der deutschen Geschichte ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Eine Erkenntnis, die wiederum zwingend eine Kultur der Zurückhaltung beim militärischen Agieren in der internationalen Politik impliziert.Der Bundestag zu Militäreinsätzen 1998-200216. 10. 1998 Die Mehrheit des "alten" Bundestages, wie er bis zu den Wahlen vom 27. September 1998 bestand, stimmt mit einem "Vorratsbeschluss" für eine mögliche deutsche Beteiligung an einem NATO-Einsatz in der Provinz Kosovo. Für die Vorlage, die noch von der CDU-FDP-Regierung unterbreitet wird, votieren 500 von 580 anwesenden Abgeordneten - dagegen 62 (davon 29 PDS, 21 SPD, 9 Bündnis 90/Grüne und je ein Abgeordneter von CDU und FDP), 18 enthalten sich.13. und 19. 11. 1998 Die neue Bundestags-Mehrheit gibt ihr Plazet für eine Teilnahme der Bundeswehr an Luftoperationen der NATO über dem Kosovo und an sogenannten Extraction Forces, die in Mazedonien stationiert werden. Der Einsatz gilt als Kampfeinsatz: Aufgabe der Soldaten soll der Schutz der 2.000 unbewaffneten OSZE-Beobachter sein. Allein die PDS-Fraktion stimmt gegen den Einsatz. Insgesamt sind 35 Gegenstimmen zu verzeichnen, darunter eine von den Grünen.19. September 2001 Das Parlament billigt nach den Anschlägen vom 11. September einen Entschließungsantrag der SPD und anderer Fraktionen auf der Grundlage einer Regierungserklärung (BT-Drucksache 14/6920). Dort heißt es: "Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des Beistandes folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ..." (Seit dem 7. Oktober 2001 greifen amerikanische und britische Luftverbände - ohne deutsche Beteiligung - strategische Ziele, Städte und vermutete Ausbildungslager von al Qaida in Afghanistan an.)16. November 2001 336 Abgeordneten von SPD und Grünen stimmen einem Antrag der Bundesregierung vom 7. November 2001 (BT-Drucksache 14/7296) zur Entsendung von bis zu 3.900 Soldaten der Bundeswehr als Unterstützung der internationalen Anti-Terror-Operation Enduring Freedom zu - eine Entscheidung, die Kanzler Schröder mit der Vertrauensfrage verknüpft hat. Die Grünen-Abgeordneten Ströbele, Hermann, Simmert und Buntenbach stimmen gegen den Bundeswehreinsatz und damit gegen Kanzler Schröder. Auch die frühere SPD-Abgeordnete Christa Lörcher, die einen Tag vor der Abstimmung aus ihrer Fraktion ausgetreten ist, stimmt mit Nein. Unter Federführung der USA haben rot-grüne Politiker in geradezu atemberaubender Weise einen fundamentalen Paradigmenwechsel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen. Während zu Zeiten des Kalten Krieges die Parole "Frieden schaffen mit weniger Waffen" galt, handeln die rot-grün gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu der Maxime: Frieden schaffen mit aller Gewalt. Propagandistisch camoufliert wird diese Politik mit Begrifflichkeiten wie "Politischer Pazifismus", "Krieg gegen den Terrorismus" oder "Humanitäre Intervention". De facto handelt es sich indes vornehmlich um Globalisierungskriege im Interesse des Clubs der Reichen. Im Kielwasser der USA - deren Administration eine neue "National Security Strategy" erarbeitet hat, die unverhohlen "Striking First"-Optionen, das heißt Präventivkriegsstrategien zum legitimen Instrument der US-Außenpolitik erklärt -, werden in der Bundesrepublik bereits Versuche unternommen, Ähnliches unter dem Etikett "Präventive Konventionelle Verteidigung" als neue sicherheitspolitische Maxime zu etablieren. Offenbar von militärtechnokratischem Machbarkeitswahn besessen, plädieren Politiker diesseits und jenseits des Atlantiks für eine verkappte Aggressionsstrategie im globalen Maßstab und frönen dabei zugleich, wie derzeit weite Teile der sogenannten "Strategic Community", einem exzessiven Sicherheitswahn - der Fiktion nämlich, durch militärische Hochrüstung nach dem Vorbild USA ließe sich hundertprozentige Sicherheit gewinnen. Dabei fallen die Ergebnisse der militärischen Interventionspolitik während der vergangenen Dekade eher ernüchternd aus. Regelmäßig verschärfen die vornehmlich aus der Luft geführten Kriege die ohnehin meist katastrophalen Zustände in den betroffenen Gesellschaften. Und genauso regelmäßig ist zu konstatieren, dass der prognostizierte politische Nutzen bei der Schaffung dauerhaft stabiler Friedenszustände bis dato nirgends erreicht wurde. Besonders irritiert die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung - üblicherweise mit dem Euphemismus "Kollateralschaden" belegt -, welche die angeblich "chirurgische" Kriegführung in bisher noch jedem Fall verursacht hat. So übersteigt die Zahl der unschuldig zu Tode gekommenen Zivilisten des sogenannten Anti-Terror-Krieges gegen Afghanistan beispielsweise die Zahl der durch die Terroranschläge in den USA Getöteten erheblich. Der Bischof der Evangelischen Kirche in Sachsen, Axel Noack, moniert aus diesem Grunde eindringlich die "verbrauchende Terrorismusbekämpfung", die es billigend in Kauf nimmt, Unschuldige zu Opfern zu machen, um andere Unschuldige zu retten, erlittene Verluste zu rächen oder präventiv potentiell zukünftige Opfer zu schützen. Wie ist es um die Moral einer solchen Interventionspolitik mit militärischen Mitteln bestellt? Folgender Sachverhalt sollte zu denken geben: Seit den 70er Jahren geht Israel mit maximaler Intensität gegen den palästinensischen Terror vor. Dabei übertrifft die Zahl der Toten und Verletzten, die der israelische Gegenterror unter der palästinensischen Bevölkerung verursacht, diejenige des palästinensischen Terrors unter der israelischen Bevölkerung um ein Mehrfaches. Trotz der militärischen Gewaltanwendung zwecks Terrorbekämpfung ist Israel aber von allen Staaten der Welt zugleich das Land, das von Terroranschlägen am intensivsten betroffen ist. Schlagender lässt sich wohl kaum illustrieren, dass militärische Gewalt keine Lösung politischer Konfliktlagen bewirken kann. Geht man indessen von der Prämisse aus, dass aus Elend Verzweiflung resultiert und Verzweiflung wiederum Hass und Gewalt hervorbringt, dann müssten eigentlich am dringlichsten Strategien der Elendsbekämpfung entwickelt werden. Militärische Interventions- bzw. Terrorbekämpfungsstrategien erscheinen daher vor allem unter längerfristiger Perspektive als eher nachrangig, weil sie auf die Bekämpfung der Symptome, statt auf die der Ursachen von Gewalt und Terror gerichtet sind. Nichtsdestotrotz werden unbeirrt in militärische Gewalt-, respektive Gegengewaltpotentiale ungeheure Summen investiert - gerade auch unter der Ägide von Rot-Grün. Nach mehreren Erhöhungen beträgt der Verteidigungsetats mit rund 23,6 Mrd. Euro etwa das Sechseinhalbfache des Entwicklungshilfehaushalts, der gerade einmal 3,7 Mrd. Euro erreicht und damit zugleich weit unter dem international vereinbarten 0,7-Prozent-Ziel verharrt. Offenkundig fühlt sich die rot-grüne Bundesregierung der "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" mehr verpflichtet als dem Imperativ "Gerechtigkeit schafft Frieden", wie ihn die deutschen Bischöfe formuliert haben. In ganz einfachen und klaren Worten sprechen sie aus, was offenkundig ist, nämlich: "Das Leitbild des gerechten Friedens beruht auf einer ganz einfachen Einsicht: Eine Welt, die den meisten Menschen vorenthält, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind gewaltgeladen und gewaltträchtig. Daraus folgt positiv: "Gerechtigkeit schafft Frieden." Diese Feststellungen haben nichts von ihrer Aktualität und Dringlichkeit verloren. Nicht die von Rot-Grün propagierte "Enttabuisierung des Militärischen" sollte demnach auf der Agenda stehen, sondern die Rückbesinnung auf eine der Vernunft und der Humanität verpflichteten "Kultur der Zurückhaltung". Die Prinzipien für einen zukunftsfähigen sicherheitspolitischen Grundkonsens könnten wie folgt definiert werden: Eine Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen käme, erstens, nur dann in Frage, wenn sie völkerrechtlich eindeutig zulässig ist. Nur so lässt sich gewährleisten, dass durch solche Einsätze das Recht gewahrt und nicht neues Unrecht geschaffen wird. Deutschland darf zweitens solche Einsätze niemals in alleiniger nationaler Kompetenz unternehmen, sondern sich nur im Verbund mit anderen Partnern an Militäroperationen beteiligen, primär im Rahmen internationaler Organisationen wie UNO oder OSZE. Eine Autorisierung allein durch NATO oder Europäische Union ohne entsprechendes Mandat von UNO oder OSZE stellt keine hinreichende Legitimationsbasis für einen Einsatz der Bundeswehr dar. Drittens müssen folgende Fragen befriedigend beantwortet sein: Gibt es ein klares Mandat? Ist die militärische Aktion in sinnvoller Weise in ein umfassendes politisches Lösungskonzept eingebettet? Sind die verfügbaren Mittel hinreichend, um einer solchen Mission zum Erfolg zu verhelfen? Ist die Verhältnismäßigkeit zwischen dem erstrebten Ziel und den möglicherweise in Kauf zu nehmenden Zerstörungen gewahrt? Gibt es eindeutige Erfolgskriterien und damit eine absehbare zeitliche Begrenzung? Bestehen Überlegungen für den Fall, dass der angestrebte Erfolg sich wider Erwarten doch nicht erreichen lässt? Viertens müssen, bei sich deutlich abzeichnenden Kampfeinsätzen, zwingende Gründe eine deutsche Beteiligung erfordern. Je höher das Risiko für die Soldaten, desto höher müssen die Werte sein, die es zu verteidigen gilt. Das geforderte Risiko, unter Umständen auch für das eigene Leben, muss für die eingesetzten Soldaten, aber auch für die Bevölkerung zu Hause, von den politischen Entscheidungsträgern zweifelsfrei begründet werden können. Die Teilnahme deutscher Streitkräfte an internationalen Militäreinsätzen bedarf - fünftens - der parlamentarischen Zustimmung, wie vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Angesichts der politischen Tragweite solcher Einsätze und der möglichen Gefährdung der Soldaten ist ein parteiübergreifender Konsens auf hohem Niveau anzustreben. Die qua Vertrauensfrage erzwungene Akklamation im Bundestag stellt keinesfalls eine akzeptable Legitimationsgrundlage für Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland dar. Sie untergräbt stattdessen das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung. Der "Dienst am Frieden" nämlich soll einigend wirken und nicht Anlass zu neuen Kontroversen geben.Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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