An den Händen dieser Regierung klebt das Blut von unschuldigen polnischen Bauern. Man wird mich noch auf Knien bitten, daß ich meine Leute wieder nach Hause schicke.« - Andrzej Lepper, Polens oberster Bauernführer, gibt sich auch nach 14 Tagen Straßenblockade weiter radikal. Daß Polens Regierung Mitte der Woche erstmals Bereitschaft zu Verhandlungen signalisiert hat, veranlaßt den 45jährigen nicht wirklich zur Mäßigung: »Es mag schon sein, daß ich mich sehr emotional ausdrücke, aber die Situation ist verdammt ernst und gefährlich.«
In einer gewissen Art hat Andrzej Lepper, einst Mitglied der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), heute hochverschuldeter Chef der Bauerngewerkschaft Selbstverteidigung, recht. Selbst sein direkter Gegenspieler, Agrarminister Jacek Janiszewski, gibt zu, daß Polens Landwirtschaft in einer ungewöhnlich tiefen Krise steckt. Das durchschnittliche Monatseinkommen auf dem Lande liegt bereits um 60 Prozent niedriger als in der Stadt. Millionen von Bauernfamilien leben am Rande des Existenzminimums oder bereits darunter. Selbst jene zehn Prozent der Landwirte, die in einer Statistik der Regierung als »gut verdienend« geführt werden, kommen gerade auf einen Gewinn von umgerechnet rund 2.000 Mark - pro Jahr wohlgemerkt, nicht monatlich. Die sozialen Folgen dieser Verarmung sind katastrophal: Insbesondere im Osten Polens versinken ganze Landstriche in Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Trunkenheit.
An diesen Tatsachen kann niemand vorbei. Doch schon bei der Suche nach den Ursachen werden die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Andrzej Lepper und der Regierungsseite überdeutlich. Während Lepper für die Krise vor allem billige Lebensmittelimporte aus der EU verantwortlich macht, argumentieren Premier Buzek und Landwirtschaftsminister Janiszewski anders: Niemand habe die Rußland-Krise vorhersehen können. Seit die dortigen Märkte zusammengebrochen seien, blieben Polens Bauern auf ihrem Schweinefleisch sitzen. Janiszewski weiß, wovon er spricht. Experten schätzen die Höhe der Exporteinbußen auf etwa 600 Millionen Mark.
Die von Andrzej Lepper erhobene Forderung nach einer stärkeren staatlichen Preisstützung für Schweinefleisch hat jedoch nicht nur diesen Hintergrund. Wie kaum ein anderer Berufszweig fürchten Polens Landwirte einen bevorstehenden EU-Beitritt. Die Tatsache, daß Brüssel den derzeit 27-prozentigen Anteil der Bauern an der erwerbstätigen Bevölkerung auf knappe fünf Prozent senken möchte, hat sich inzwischen bis in das hinterste Dorf herumgesprochen und schlägt sich auch in Meinungsumfragen nieder: 1996 waren noch 80 Prozent der Polen bedingungslose EU-Anhänger, heute sind es nur noch knapp 60 Prozent.
Insbesondere Milchbauern hegen einen gewaltigen Groll gegen die EU. Denn aufgrund von hygienischen Mängeln bei der Verarbeitung hatte die Union vor zwei Jahren ein totales Importverbot für polnische Milch verhängt. Betroffen waren nicht weniger als 300 Molkereien. Inzwischen ist das Embargo etwas gelockert: Fünf Firmen dürfen ihre Milch wieder in die EU liefern. Die Embargo-Schäden sind allerdings kaum mehr aufzufangen. »Den Marktanteil unserer Exporteure haben längst andere eingenommen«, sagt der Branchenkenner Marek Galanter.
Nicht zuletzt deshalb mußte sich Polens Regierung bei ersten Sondierungen mit den protestierenden Bauern auch den Vorwurf anhören, sie hätte in Brüssel nicht genug für den Schutz polnischer Interessen getan. Ein tödliches Opfer haben die Proteste bereits gefordert: In Ostpolen hat ein LKW-Fahrer im Stau vor einer Straßenblockade einen Herzinfarkt erlitten.
Sollte Landwirtschaftsminister Janiszewski kein zusätzliches Geld für die Erfüllung der Bauernforderungen bereitstellen, droht Andrzej Lepper mit einem Volksaufstand. Unterstützung haben ihm zwischenzeitlich auch unzufriedene Industriearbeiter, Eisenbahner und Lehrer zugesichert, die aus Solidarität mit den Bauern in Streikbereitschaft getreten sind. Womit klar ist: Auch 19 Jahre nach den legendären Streiks in der Danziger Lenin-Werft bleibt Polen ein Land, in dem niemand gegen die Gewerkschaften regieren kann. Nach wie vor sind über sieben Millionen Polen gewerkschaftlich organisiert. 2,5 Millionen gehören einer der vier großen Bauerngewerkschaften an. Leppers Selbstverteidigung zählt allerdings nur 300.000 Mitglieder.
Die ungebrochen hohe Bedeutung der Gewerkschaften macht es auch für die Mitte-Rechts-Regierung aus Wahlaktion Solidarnosc (AWS) und Freiheitsunion (UW) unter Premier Jerzy Buzek nicht leicht, mit den Bauernprotesten umzugehen. Manche Mitglieder der regierenden AWS, die bekanntlich von der Solidarnosc-Gewerkschaft dominiert wird, sehen endlich die Chance reifen, den ungeliebten liberalen Koalitionspartner und damit Finanzminister Leszek Balcerowicz ausmanövrieren zu können. »Die jetzigen Proteste wurden vor allem durch die Wirtschaftspolitik von Balcerowicz verursacht«, monierten bereits national-christliche AWS-Abgeordnete in einer Fernsehsendung.
Regierungschef Buzek steht vor einem schwierigen Problem. Sein Versuch, die Angelegenheit mit Polizeigewalt zu lösen, wurde zu dem erwarteten politischen Fehlgriff. Martialische Sondereinheiten im Einsatz - das kommt in Polen besonders schlecht an. Jarowslaw Kalinowski, der Vorsitzende der Bauernpartei (PSL), wußte daher einen Großteil der Bevölkerung hinter sich, als er das Vorgehen von Buzek folgendermaßen kommentierte: »Es geht nicht an, daß zehn Jahre nach der Wende von 1989 und der Erlangung der Unabhängigkeit die Polizei Bauern schlägt und gegen sie Wasserwerfer einsetzt.«
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