Frischer Wind aus allen Richtungen

Bühne Nach Charly Hübner tritt mit Armin Rohde ein weiterer Tatort-Kommissar im Theater auf. Er spielt die Hauptrolle in Katharina Thalbachs Inszenierung von Cyrano de Bergerac

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wenn Filmschauspieler einen Abstecher ans Theater machen, genießen sie den direkten Kontakt zum Publikum – und das Theater die Publicity durch den Star. Gerade trat Tatort-Kommissar Charly Hübner in Tschechows Kirschgarten am Kölner Schauspiel auf. Nun lässt sich Armin Rohde als Cyrano de Bergerac in Bochum feiern. Natürlich ist Edmond Rostands Stück um den langnasigen dichtenden Titelheld, der in stiller Entsagung dem hirnlosen Beau Neuvillette Liebesschwüre für die schönen Roxane in die Zunge diktiert, ein Starvehikel und Schmachtfetzen zugleich. Mit Fechteinlagen, Balkonszenen und Kriegesdonner liefert er zudem das, was das Theater sich ansonsten kaum gestattet: eine Schau zwischen Sentimentalität und Action. Und genauso inszeniert es Katharina Thalbach am Schauspielhaus.

Rohde präsentiert sich zunächst imagegerecht als polterndes Raubein, malt dann aber sehr subtil die Selbstzweifel und den Schmerz über diese soufflierte Liebe aus. Berührend, wie er in der Balkonszene dem radebrechenden Neuvillette (Nicola Mastroberardino) die verbalen Liebkosungen zuliefert, dann selbst, verkleidet, Nadja Robiné als Roxane anschmachtet und schließlich zusehen muss, wie sie mit dem Geck ins Bett geht. Krinolinenröcke, Kniehosen und Stulpenstiefel (Ausstattung: Ezio Toffolutti) sorgen für barockes Flair. Gleich die erste große Fechtszene sorgt für viel Ballyhoo. Die Scherenschnittküche des Meisterkochs Ragueneau (Roland Riebeling) ist ein schöner Einfall wie auch die große Show- oder Siegertreppe mit Punchingbällen für Cyranos Gascognertruppe. Es wird viel chargiert an diesem Abend, die Einfälle jagen sich, von Stings Roxane-Hit bis zu giggelnden Nonnen, die den sterbenden Cyrano umschwirren, als er der ins Kloster eingetretenen Roxane endlich seine Liebe gesteht. Die leisen Töne fehlen dem Abend zwar, dafür bietet er an Schauwerten alles, was man von einem Starvehikel erwarten darf.

Im Bochumer Spielplan erfüllt diese Inszenierung die Position des Entertainments mit Lokalkolorit. Rohde stammt aus der Region und gehörte früher einmal zum Ensemble. Ansonsten zieht das Team um Intendant Anselm Weber den Radius erheblich weiter. Grundpfeiler ist die Zusammenarbeit mit Regisseuren aus der Türkei, Polen, Tunesien und den Niederlanden. Nach einer blassen Interpretation von Voltaires Candide durch Paul Koek, der zum Spielzeitauftakt die bissige Satire zum zahnlosen Musiktheater verharmloste, gelang Fadhel Jaibi eine beeindruckende Medea-Interpretation. In einer eigenen Textfassung deutet der tunesische Regisseur den Mythos als Kriminalfall und lässt einen Kommissar nach dem Kindsmord der Titelheldin das Geschehen rekonstruieren. In Rückblenden entsteht das Bild des Möchtegern-Kunsträubers Jason, der im Auftrag der Mafiafamilie um Kreon handelt. Die Migrantin Medea verliebt sich in diesen zweitklassigen Thomas Crown. Als er sich von ihr abwendet, folgt sie den Einflüsterungen eines muslimischen Paares. Was nach einem Gemischtwarenladen aktueller Gesellschaftsprobleme klingt, verbindet die Inszenierung zu einem faszinierenden Rewriting des Mythos. Danach inszenierte der türkische Regisseur Mahir Günsiray Goethes Faust, demnächst wird Jan Klata aus Polen sich mit Kafkas Amerika-Roman auseinandersetzen. Mit dem Ende von Ruhr2010 war oft von der Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt die Rede, das Bochumer Schauspielhaus zeigt, was damit gemeint sein könnte.

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