Kriegsreporter steigen von Berufs wegen hinab in die Hölle, die der Mensch sich selbst erschafft. Mitten hinein ins Chaos, in die „Confusão“. Das portugiesische Wort, das Verwirrung, Durcheinander bedeutet, fällt mehrfach in Another Day of Life. In ihrem Hybrid aus Animationsfilm und dokumentarischen Aufnahmen erzählen die Regisseure Raúl de la Fuente und Damian Nenow von den Erlebnissen des berühmten polnischen Kriegsreporters Ryszard Kapuściński während des Bürgerkriegs in Angola. „Sie ist mächtig, diese Confusão. Sie stiehlt sich in unsere Herzen, man kann sie nicht besiegen,“ erklärt Kapuściński da einmal.
Als quasi journalistisches Himmelfahrtskommando haftet Kriegsreportern etwas fast sc
rtern etwas fast schon Mythisches an. Was sind das für Menschen, die freiwillig in die Krisenregionen dieser Welt gehen, sich mit menschlichen Abgründen, Tod und Zerstörung beschäftigen und ihr Leben riskieren? Die Antworten auf diese Frage gehen über selbstlosen Idealismus im Dienste der Wahrheit weit hinaus, ganz zu schweigen von den psychologischen Folgen.Die amerikanische Journalistin Marie Colvin etwa, die unter anderem für die Sunday Times aus Krisen- und Kriegsgebieten berichtet hat und 2012 bei einem Artillerieangriff im syrischen Homs ums Leben kam: Sie litt unter Alkoholproblemen und posttraumatischer Belastungsstörung. Matthew Heineman erzählt in dem hierzulande unverständlicherweise nur auf DVD erschienenen Biopic A Private War von der Reporterin mit der Augenklappe. Mit einer fantastischen Rosamunde Pike in der Hauptrolle zeichnet er das Psychogramm einer innerlich zerrissenen Frau, die nicht mit und zugleich nicht ohne ihren Job kann, der ihr Panikattacken und Albträume beschert und ihr zum Verhängnis wird. Eine ähnliche, vor allem aufs Psychologische zielende Annäherung unternimmt auch Anja Kofmel in ihrem ebenfalls Animation und klassische Dokumentation mischenden Filmdebüt Chris the Swiss (siehe Freitag 5/2019), der Ende Januar im Kino startete. Ihr Cousin, der Schweizer Journalist Christian Würtenberg, war in den Jugoslawienkrieg gereist und hatte sich dort sogar einer Söldnerbrigade angeschlossen. Beide Filme zeigen die Ambivalenzen des Berufs auf und sind mit ihrer Dialektik zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Trauma beklemmende Antikriegsfilme.Dass dieses Subgenre aktuell eine kleine Renaissance erlebt, passt zum Zeitgeist. Der Journalismus sieht sich in der Kritik und muss sich als faktenbasierte Instanz beweisen, Stichwort Populismus, „Lügenpresse“ und Claas Relotius. Eine Reflexion des Berufsstandes, wie sie Kriegsreporter-Filme eben auch leisten, erscheint da wichtiger denn je. So erzählen die Filme nicht nur von persönlichen Erlebnissen und den Tragödien ihrer Protagonisten, sondern verhandeln Fragen zu journalistischer Neutralität, zu Integrität und Moral unter teils unmenschlichen Bedingungen.Beeindruckend deutlich arbeitete das auch der Schweizer Regisseur Christian Frei in seinem Film War Photographer von 2001 heraus, in dem er den Kriegsfotografen James Nachtwey porträtiert. Einerseits erscheint der leise und ruhig sprechende, empathisch wirkende Mann völlig selbstlos, wie er da die Trümmer des Krieges mit seiner Kamera aus nächster Nähe aufsammelt, um so vielleicht auch ein Stück weit die Welt zu verändern. Anderseits hat es einen bitteren Beigeschmack, wenn er auf unsagbares Leid und Tod einfach draufhält. Fast wie ein Gewehr wirkt seine Kamera manchmal. Es sind Fotos, die Licht ins historische Dunkel der Kriege bringen. Zugleich sind es Bilder, die man kaum sehen möchte und die einen hohen Preis haben, auf ganz verschiedenen Ebenen.Farbgesättigte RealitätOb es nun Fotos wie die von Nachtwey oder die Berichte von Marie Colvin oder Ryszard Kapuściński sind: Bei aller versuchter Neutralität ergibt sich immer ein durch die Wahrnehmung des Urhebers gefärbtes Realitätsbild. Objektivität gibt es nicht, im besten Falle vielleicht eine Annäherung daran. Dass dies kein neues Problem unserer Zeit ist, merkt man, wenn man einen „alten“ Reporterfilm wie Michelangelo Antonionis furiosen Beruf: Reporter von 1975 anschaut: Was an der Oberfläche als Thriller daherkommt mit der Geschichte um den Kriegsreporter David Locke (Jack Nicholson), der die Identität eines zwielichtigen Geschäftsmannes annimmt, entpuppt sich als filmische Reflexion über das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität, die man fast als Beitrag zur Relotius-Debatte verstehen könnte. „Die Menschen werden glauben, was ich schreibe,“ sagt Locke an einer Stelle, „und wieso? Weil es ihren Erwartungen entspricht – und meinen auch, was noch schlimmer ist.“ Dieses Zitat bricht Antonioni durch eine Kameraführung auf, die sich vom Helden löst und scheinbar hinter die Kulissen blickt. Sie zeigt zwischendurch die Entstehungsumstände jenes Interviews mit einem afrikanischen Diktator, das zuvor als fertiges Video über einen Fernseher flackerte. So weitet sich der Blick, die engen Grenzen des Videobilds werden spürbar gemacht.Die Perspektive hingegen, die Raúl de la Fuente und Damian Nenow in Another Day of Life wählen, ist betont subjektiv. In flirrenden Bildern folgen wir dem Comic-Kapuściński tief hinein ins Herz der Finsternis. Von der angolanischen Hauptstadt Luanda aus, „Stadt der Paranoia, Stadt des Chaos, meine Lieblingsstadt“, wie Kapuściński bedeutungsschwanger erklärt, verschlägt es den Reporter immer näher an die Front des Bürgerkrieges. Es ist der Vorabend der Unabhängigkeit, an dem sich die Befreiungsbewegungen MPLA, FNLA und UNITA bekämpfen. Als sich Kapuściński in einem Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges wähnt, bricht er mit seiner journalistischen Neutralität und vertuscht Fakten zugunsten einer „tieferen“ Wahrheit.„Als Reporter verließ er Polen, als Schriftsteller kehrt er zurück“, heißt es heroisch im Presseheft. In der Tat wurde der 2007 verstorbene Reporter nach seinem Tod dabei überführt, seine Geschichten frisiert zu haben. Einen Imageschaden wie jüngst Relotius hat Kapuściński nie erlitten, sein Mythos als „Meister der literarischen Reportage“ ist ungebrochen. Ein entsprechend glorifizierender Duktus beherrscht auch große Teile von Another Day of Life, der seine Hauptfigur als Idealist feiert.Zwar wird Kapuścińskis Dilemma im Film angedeutet, man versteht seine Beweggründe, sein vom Streben nach moralischer Integrität bewegtes Handeln – trotzdem hätte eine kritischere Auseinandersetzung wie sie etwa Anja Kofmel in Chris the Swiss mit eindrücklicher Ehrlichkeit und Konsequenz leistet, mehr Wahrheit über den gefeierten Reporter und die Zustände in Angola ans Licht befördern können.Dabei bietet gerade die exzellent umgesetzte filmische Form zwischen Animation und Dokumentation so viele Möglichkeiten. Die Übergänge von der einen zur anderen Ebene scheinen teils fließend und lassen interessante Wechselwirkungen entstehen. In eingestreuten, expressionistischen Sequenzen versinnbildlichen assoziative Bilderfluten den Alptraum und die Abgründe des gesellschaftlichen Zerfalls, dem der Film nachspüren will.In Antonionis Film erzählt Locke eine Anekdote über einen Blinden, der nach einer Operation sehen kann. Auf große Freude folgt die totale Ernüchterung, mehr noch: Erschütterung, denn: „Er sah überall Hässliches“. Schließlich zieht er sich in ein abgedunkeltes Zimmer zurück, um sich das Leben zu nehmen. Kriegsreporter sind Dokumentaristen menschlicher Hässlichkeit. Wo bei Antonioni der Reporter als existentialistische Metapher fungiert, sind die Kriegsreporter aus den aktuelleren Filmen so etwas wie eine moralische Metapher: Aufrechte im Krieg gegen die „Confusão“, aber auch den eigenen Beruf, der Objektivität will und Subjektivität meint.Placeholder infobox-1
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