Frivol

Im Kino Der Zweite Weltkrieg als Thriller - "Black Book" von Paul Verhoeven

Es ist das Privileg großer Filmemacher, stets ihre eigenen Regeln aufzustellen; gleichviel, welches Sujet sie behandeln. Ihre Größe beruht schließlich auf ihrer ästhetischen und moralischen Integrität. In der Regisseurs-Gilde mag Paul Verhoeven zwar eher den Rang eines Gesellen als den eines Meisters einnehmen. Aber dieses Privileg räumt auch er sich trotzig ein. Den Geboten der Pietät spottet er mit einer inszenatorischen Virtuosität, bei der die Moral nicht zuletzt zu einer Frage der Schaulust wird. Sein Argument ist die Unbestechlichkeit der menschlichen Begierden: In seinen Filmen klagt die Sinnenfreude noch in höchster Lebensgefahr und moralischer Bedrängnis ihr Recht ein.

Black Book markiert für den Regisseur in vieler Hinsicht einen Neuanfang - nach gut 20-jährigem Hollywood-Exil ist er wieder in seine niederländische Heimat zurückgekehrt. Gleichwohl wirft er die alte, kardinale Frage auf, die Kritiker unweigerlich an sein Kino richten: "Darf man das wirklich so erzählen?" Das heikle Erzählterrain der deutschen Besatzung erschließt sich Verhoeven in einem Genrefilm. Black Book ist ein eigentümlich altmodischer Thriller (einmal abgesehen von der drastischen Anschaulichkeit der Gewalt- und Sexszenen, die Verhoeven wohl seinem Ruf schuldig ist), dessen vorrangige Tugend darin besteht, zeitweilig ungemein spannend zu sein. Er knüpft an den unbefangenen Furor der Anti-Nazi-Filme an, die beispielsweise Raoul Walsh während des Krieges mit Errol Flynn drehte.

Verhoeven war nicht schlecht beraten, sich dafür vom Elan und der Chuzpe seiner Heldin ins Schlepptau nehmen zu lassen, der eingangs irritierend unbekümmerten, später zumindest unverwüstlichen Rachel Stein (Carice von Houten). Nach der Ermordung ihrer Familie schließt sie sich der Widerstandsbewegung an und nimmt eine arische Identität als Ellis de Vries an. Um gefangene Kameraden zu befreien (und einen Verräter in den eigenen Reihen zu enttarnen), wird sie ins SS-Hauptquartier eingeschleust. Der Offizier, den sie dort becircen soll (Sebastian Koch), erweist sich als ein galanter Ehrenmann. Beide teilen die Erfahrung von Verlust und Entwurzelung; aus der erotischen Anziehung wird Liebe.

Mit einem Gestus robuster Frivolität legen Verhoeven und sein langjähriger Co-Autor Gerard Soeteman Rachels Abenteuer als eine Pikareske an. Stets begibt sie sich munter, ohne ein Bewusstsein fürs Risiko, in Gefahr. Sie verbirgt sich gleichsam im Schutz der Öffentlichkeit, zeigt stolz ihre Beine, als sie auf dem Rad an einem Trupp Nazis vorbeifährt, tritt bei einer Feier von SS-Offizieren auf, obwohl sie vor dem Krieg als Jazzsängerin eine gewisse Prominenz erlangt hat. Ihre Trauerarbeit besteht darin, Vergeltung zu üben für die Ermordung der Eltern.

Der Verweis auf reale Vorbilder für die Ereignisse und Figuren, mit dem der Film sich schmückt, ist ein Alibi, das Verhoeven eigentlich gleichgültig sein könnte. Er inszeniert mit einer unbefangenen Lust an der Fiktion, der Kolportage. Die Unglaubwürdigkeit vieler Situationen camoufliert er in atemlosem Erzähltempo. Ganz so naiv, wie es den Anschein hat, ist die Dramaturgie indes nicht: Die Leichtigkeit, mit der Rachel jeder Falle entkommt, entpuppt sich nachträglich jedes Mal als eine Finte. Aus diesem Sperrfeuer der Täuschung und Duplizität (die Entlarvung des Verräters vollzieht sich ein wenig zu voltenreich und mechanisch) geht am Ende keine der Figuren hervor, ohne sich moralisch befleckt zu haben.

Schäbigkeit und Barbarei sind in Black Book kein Vorrecht der Nazis. Verhoeven revidiert das gebrochen heroische Bild vom holländischen Widerstand, das er und Soetemann 1977 in Soldier of Orange zeichneten. Seine damaligen Helden ließen sich mit der Leichtfertigkeit des Dandys auf das Abenteuer des Krieges ein, wie auf einen Streich, der unverhofft Ernst wird. Das Renoirsche "Jeder hat seine Gründe" von damals, bei dem selbst die Motive der Verräter und Mitläufer noch nachvollziehbar waren - nicht nur als Überlebensinstinkt, sondern als Gefangensein in einem Dilemma - ist einer rigorosen Illusionslosigkeit gewichen. In Verhoevens filmischem Universum gibt es keine Unschuld, allenfalls Arglosigkeit; keine Gnade, bestenfalls Glück. Er erweist sich indes nicht als Zyniker, sondern als heiterer Pessimist. Die Erkenntnis der menschlichen Bestialität ist für ihn kein Anlass zur Verzagtheit. Die menschliche Komödie läuft für ihn in Kriegszeiten einfach auf rabiatere Pointen hinaus.


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