Kaum eine Branche ist vor sexueller Gewalt gefeit. Über Machtmissbrauch, Misogynie und Diskriminierung in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie wurde im Rahmen von #metoo viel berichtet. Ebenso kamen sexuelle Übergriffe in europäischen Parlamenten ans Licht. Jüngst wird vermehrt über Fälle groben Machtmissbrauchs an Universitäten berichtet, zum Beispiel in Stanford und Zürich. Für Diskussionen sorgt nun ein Vorfall an der New York University (NYU), bei dem einer prominenten Professorin Fehlverhalten vorgeworfen wird. Die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb treten in diesem Fall offen zutage.
Seit über einer Woche kursiert ein Brief prominenter Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler im Internet. Der an den Präsidenten und Provost der NYU adressierte Brief legt offen, dass die Universität eine Art Disziplinarverfahren („Title IX“) gegen die berühmte Literaturwissenschaftlerin Avital Ronell durchführt. Title-IX-Verfahren an US-amerikanischen Hochschulen beschäftigen sich mit sexueller Gewalt und Diskriminierung. Der in einer Entwurfsfassung geleakte Brief ist am 10. Juni 2018 auf dem Blog „Leiter Reports“ veröffentlicht worden und ist an erster Stelle von Adorno-Preisträgerin Judith Butler unterzeichnet. An dieser Stelle kann es nicht um die Vorwürfe gegen Ronell oder gar die Frage gehen, ob sie sich etwas hat zuschulden kommen lassen. Aufschlussreich aber sind die Argumente, die von ihren Kollegen zu ihrer Verteidigung vorgebracht werden.
Niemand weiß Details
Die Unterzeichner des Briefes betonen, dass ihnen keine Details des Verfahrens bekannt seien und ihnen die entsprechenden Akten nicht vorlägen. Dennoch sprechen sie sich gleich zu Anfang gegen „jedwede Verurteilung“ von Ronell aus. Sie betonen, dass Ronell die Germanistik als Fach geprägt habe, dass ihr intellektuelles Wirken weit ausgestrahlt habe, dass ihre Studierenden an führenden internationalen Forschungseinrichtungen tätig seien und dass sie die „wohl wichtigste Literaturwissenschaftlerin der New York University“ sei. „Sollte sie entlassen oder ihrer Pflichten enthoben werden“, so schreiben die Professoren weiter, „würde diese Ungerechtigkeit breit wahrgenommen werden und Ablehnung erfahren“. Nicht nur gehen sie von vornherein davon aus, dass es sich bei einer möglichen Verurteilung Ronells nur um eine Ungerechtigkeit handeln könne. Es erscheint ihnen zudem erforderlich, Ronells akademische Verdienste im Verlauf des Verfahrens zu berücksichtigen: „Wir fordern Sie dazu auf, dass Sie sich in der Durchsicht der Unterlagen das internationale und wohlverdiente Renommee als brillante Wissenschaftlerin klar vor Augen halten.“
Die rund 50 Unterzeichner schreiben außerdem, dass ihnen die Person, die die Vorwürfe erhoben hat, bekannt sei. Diese Einzelperson, so die Professoren, führe einen „niederträchtigen Feldzug“ gegen Ronell. Weiterhin dürften „die Anschuldigungen gegen Professor Ronell nicht im eigentlichen Sinne als Beweise angesehen“ werden. Im Gegenteil müsse berücksichtigt werden, dass „böse Absicht“ diesen „rechtlichen Albtraum inspiriert und am Leben gehalten“ habe. Der Brief schließt mit der Forderung, Professor Ronell verdiene eine faire Anhörung.
Zunächst wirkt es unbegreiflich, warum eine große Gruppe von Professoren davon ausgeht, an der New York University könne es kein gerechtes Verfahren für Professorin Ronell geben. Es erscheint zudem besorgniserregend, dass die Beschwerde einreichende Person ohne nähere Gründe und ohne Detailkenntnisse als böswillig beschrieben wird. Sprachlos schließlich lässt einen der arrogante Ton zurück, mit dem die Professoren die Unschuld ihrer Kollegin aus ihren wissenschaftlichen Verdiensten herleiten. Ihre gesamte Argumentation spricht den mit dem Vorfall betrauten Zuständigen an der NYU jegliches differenzierte Urteilsvermögen ab. Genau so, wie sich die Unschuld Harvey Weinsteins nicht aus seinen gefeierten Filmen ergibt, ist eine Professorin unschuldig, weil sie Hölderlin so vorzüglich interpretierte.
Offenkundig lassen sich aus der Perspektive der Professoren akademische und persönliche Verdienste gar nicht voneinander trennen. So heißt es im Brief weiter: „Wir bezeugen den Anstand, den Scharfsinn und das intellektuelle Engagement von Professor Ronell und bitten darum, dass ihr die Würde zuteilwird, wie sie jemandem mit ihrem internationalen Ruf und Renommee gebührt.“ Die an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätige Professorin Barbara Vinken lässt sogar verlauten, sie schätze an ihrer Kollegin Professor Ronell gerade „eine gewisse Frivolität“, die sie „in allem hatte und hat“. Vinken erklärt, dass diese „gewisse Frivolität nicht durch enterotisierten Puritanismus flächendeckend zubetoniert werden soll“. Das Verfahren an der NYU gegen Ronell bedrohe nach Vinken eine Kultur des Umgangs, die sie „fröhliche Wissenschaft“ nennt. Man stelle sich einmal analog vor, der Vorstandschef eines großen Unternehmens würde ganz selbstverständlich den erotisierten Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern empfehlen.
Der Friede der Krähen
Dass Professorinnen ihre Kolleginnen verteidigen, scheint Ausdruck gewöhnlichen Corpsgeistes. An der Universität wirkt ihnen ein Vorgang per se verdächtig, der ihre Privilegien antastet. Will man begreifen, warum sich die Professoren trotz der laufenden #metoo-Debatte vor eine mögliche Täterin stellen und das mögliche Opfer angreifen, muss man jedoch die besonderen Abhängigkeiten kennen, die die Universität als Arbeitsplatz charakterisieren.
Persönliche Verhältnisse zwischen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, Promovierenden und Professorinnen spielen eine große Rolle an Universitäten – weil Professoren keiner Kontrolle unterliegen. Bei der wissenschaftlichen Betreuung von Forschungsvorhaben agieren sie in der Regel wie der private Inhaber eines Betriebs: Entscheidungen über Einstellungen und Geld treffen sie meist allein. Will man einen Karriereschritt gehen, bedarf es stets einer Empfehlung, die einerseits die wissenschaftlichen Leistungen, andererseits persönliche Vorzüge nennen soll. Häufig stellt schon ein nicht eingesandtes Empfehlungsschreiben ein unüberwindbares Hindernis dar. Jede im eigenen Namen vollbrachte Forschung muss dem betreuenden Professor genehm sein. In einigen Disziplinen schreiben sich die Chefs einfach grundsätzlich in die Autorenlisten, ohne auch nur ein Wort beigetragen zu haben. Nachwuchswissenschaftler verstehen sich als Teil einer intellektuellen Community. Man bewundert die Lebensleistung des Betreuers. Gern betonen viele Promovierende ihre ganz besondere Beziehung zu ihrem betreuenden Professor.
Die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen an der Universität sind eng und innig. So entsteht eine starke persönliche und zugleich berufliche Abhängigkeit. Die Untergebenen müssen daher stets dafür sorgen, dass ihr persönliches Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten ausgesprochen gut ist und bleibt. Denn Professoren sind, wie der Brief an die NYU beispielhaft zeigt, stets miteinander in Kontakt. Forschung ist von weltweiter Kommunikation geprägt. Aufgrund solcher Netzwerke gibt es auf der Welt nicht Hunderte Universitäten, sondern nur einen Universitätsbetrieb. Man kann sich also nicht einfach bei einer anderen Firma bewerben. Persönliche Konflikte mit dem Vorgesetzten bedeuten oft das berufliche Aus. Erst vor diesem Hintergrund versteht man die Drastik der Debatte um den Vorfall an der NYU: Das persönliche Verhalten eines Professors wird ganz selbstverständlich mit dessen Meriten aufgewogen.
In einem Bereich, der zugleich so persönlich und hierarchisch organisiert ist, müsste sexueller Gewalt, Ausbeutung und Machtmissbrauch ein besonderes Augenmerk gelten. Das Gegenteil aber ist der Fall, wenn man den allein für die USA gesammelten Zahlen der Anthropologin Karen Kelsky glaubt. Sie führt eine lange Liste von Vorfällen übergriffigen Verhaltens an Universitäten. Es geht dabei zunächst lediglich um die Dokumentation der Fälle – dass den mutmaßlichen Tätern eine Sanktion droht, ist undenkbar.
Während im Showbusiness ein Kulturwandel nötig ist, um sexuelle Gewalt einzudämmen, reicht er an der Universität nicht aus. Die Macht der Professoren muss eingehegt werden, etwa indem die Stellen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen zugunsten von mehr Professuren reduziert werden. Erforderlich ist zudem die Begrenzung des Einflusses von Professoren auf den wissenschaftlichen Nachwuchs. Der Wissenschaftsrat fordert eine solche Beschränkung der professoralen Verfügungsgewalt schon seit vielen Jahren.
Kommentare 25
Wie immer: Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher.
Es gäbe wohl einen gewaltigen Wirbel, würde es sich um einen männlichen Kandidaten handeln und der von dessen Netzwerk unterstützt. Aber die sind vorsichtiger geworden um nicht selbst medial in "die Pfanne gehauen zu werden". Insoweit gibt es hier noch Nachholbedarf.
Interessanter ist allerdings die Offenlegung der Abhängigkeitsverhältnisse an den Unis, was aber auch nicht neu ist und sich an deutschen Unis wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden selbst mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen durchschlagen müssen, also auch hier das Lehrpersonal in Abhängigkeitsverhältnissen steckt und dadurch manipulierbar wird.
einer professorin wird etwas unbekanntes vorgeworfen, kollegInnen springen ihr zur seite. der autor möchte aber gleichbehandlung öffentlich vorverurteilter und deshalb empören ihn die sich mit der professorin solidarisierenden (corpsgeist, krähen, arrogant ...). wir hatten das alles schon verstanden:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/arroganz-spricht
Der Autor versprach vor Tagen, für die Druckausgabe seines zunächst online erschienen Blogs, nachzulegen. Veröffentlicht wurde jedoch nur, was er schon damals zum Besten gab.
Dieser Artikel ist sehr schwach, denn er skandalisiert ohne genaue Kenntnis der Sache, des Falls.
Die Article IX- "Beschwerden", hochschulinterne und vom Bildungsministerium beaufsichtigte Verfahren, die nichts mit Strafverfahren oder Zivilklagen wegen "Misconduct" zu tun haben, lösen wegen ihrer formalen Beliebigkeit und der Art und Weise ihrer Abwicklung, regelmäßig Diskussionen aus.
Anders, als nun hier im Artikel dargestellt, setzen sich für die angeschwärzte Professorin, die in ihrer Lehre und in ihren Schriften ganz und garnicht autoritäres oder dominantes Verhalten predigt, lebt oder einfordert, die selbst von Diskriminierungen betroffen war und dazu publizierte, auch Männer ein, die einen Namen als Hochschullehrer haben.
Völlig außer Betracht bleibt, dass in Zeiten von Trump- und Betsy deVos, über die Kontrolle des Bildungsministeriums, die "Complaints" zu den verschiedenen Artikel- Verfahren an den Hochschulen genutzt werden können, gerade die progressiven und fast allesamt gegen die Regierung agierenden Lehrstühle der Humanities an den besten Ostküsten- Universitäten des Landes zu treffen.
Im Solidaritätsbrief der Adorno- Preisträgerin Judith Butler und anderer, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man die beschwerdeführende Person kenne, also einschätzen könne, es handele sich bei deren Vorgehen um ungerechtfertigte, wiewohl unbekannte, Vorwürfe. Der Brief verlangt, das ist sein Fazit, Frau Ronell unvoreingenommen anzuhören.
Auf einer etwas reflektierteren Ebene, liegt der hier geäußerte Nebenvorwurf, die Universitäten- praktisch aller Länder- seien zu sehr hierarchisiert und der ProfessorInnengemeinde werde zu viel Macht eingeräumt, in der altehrwürdigen Traditon Arthur Schopenhauers, der bekanntlich zu seiner Zeit nur seine eigenen Schriften für weiterführend und selbsterdacht originär hielt, auf die "Aferphilosophen" Hegel, Fichte, Schelling fluchte, sich als erster und oberster Misogynist aufführte und seinem Antisemitismus freien Lauf ließ.
Herr Pluschke erwähnt Karen Kelskys Kritik an der Stellung der Professoren und deren gesammeltes Material über sexuellen Missbrauch und Arroganz der Macht an amerikanischen Hochschulen. - Inwieweit das etwas mit dem "Fall" Avital Ronell zu tun haben könnte, erläutert er jedoch nicht.
Erwähnenswert wäre allerdings, sich einmal anzuschauen, was am Ende bei der thesenfreudigen Anthropologin hinten herauskommen soll. Dazu einführend geeignet:
https://chroniclevitae.com/news/1066-the-paradoxical-success-of-the-professor-is-in
Sarah Kendzior fragt da zu Recht, wie man einerseits so entschieden gegen das bestehende System des Anerkennungserwerbs an Hochschulen sein kann, andererseits aber teure Privat-Kurse anbietet, um dort, in den akademischen Kreisen, gut voranzukommen.
Zumindest bei Avital Ronell oder Judith Butler wird man wohl kaum zu akademischen Graden kommen, wenn man den Bekleidungs- und Verhaltensratschlägen der ehemaligen Hochschullehrerin Kelsky folgt. Das klappt vielleicht an anderen Colleges und erklärt den Erfolg des Mottos, gegen das Frau Ronell und z.B. auch Frau Butler immer ankämpften: "Zahle, damit du mitspielen kannst" ("pay- to- play").
Christoph Leusch
Dass das unter #metoo abgehandelt wird, obwohl niemand - auch die Angeschuldigte nicht - weiß, weswegen sie überhaupt kritisiert wird, gibt mir schon zu denken.
Und dass der Autor auch keine Hintergründe über diese Title IV Geschichte gibt, erhellt die Sache nicht. Der Vorwurf muss überhaupt nichts mit Übergriffen zu tun haben, er geht oft auch der Klage nach, dass jemand aufgrund seiner oder ihrer Geschlechterzugehörigkeit nicht gerecht behandelt worden.
Dass das nun noch gedruckt werden muss, hat was von Veralberung der Leserinnen und Leser. Das weckt eigene Lust mal ein bisschen nachzugucken. Der Autor leistet kaum etwas, dies zu verstehen.
Und dann noch sowas:
"Die an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätige Professorin Barbara Vinken lässt sogar verlauten, sie schätze an ihrer Kollegin Professor Ronell gerade „eine gewisse Frivolität“, die sie „in allem hatte und hat“. Vinken erklärt, dass diese „gewisse Frivolität nicht durch enterotisierten Puritanismus flächendeckend zubetoniert werden soll“. Das Verfahren an der NYU gegen Ronell bedrohe nach Vinken eine Kultur des Umgangs, die sie „fröhliche Wissenschaft“ nennt. Man stelle sich einmal analog vor, der Vorstandschef eines großen Unternehmens würde ganz selbstverständlich den erotisierten Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern empfehlen."
Bösartige Deutung. Geht es bei dem, was Frau Vinken im Blick hat um den Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern?
Und jetzt hat Professor Leiter, von dessen Blogseite das Ganze hierher geraten ist, auch noch den Freitag-Beitrag - also den, der zuerst erschienen ist, erwähnt.
Vielleicht wird der FREITAG ja berühmt in den USA als Kämpfer gegen Ungleichbehandlung. Ich fürchte eher, das kann auch - in der Art, wie das hier ausgebreitet wird, als Kleingeisterei und Zänkerei Furore machen.
http://leiterreports.typepad.com/blog/2018/06/blaming-the-victim-is-apparently-ok-when-the-accused-is-a-feminist-literary-theorist.html
Eine der Unterzeichnerinnen erklärte, sie hätten nicht auf die Verdienste von Professor Ronell verwiesen, um eine Untersuchung zu verhindern, sondern sie hätten vor allem darauf verweisen wollen, dass es bis dahin keine entsprechenden Vorwürfe gegen sie gegeben hätte.
Und Leiter selbst ist auch voller Ressentiment - der Hintergrund sind auch Streitereien um wissenschaftliche Kompetenzen.
Unbewiesene Anschuldigungen gab es bei metoo viele. Die meisten hatten nichts dagegen, insofern ist es mehr als gerecht wenn diese Professorin ebenso behandelt wird. Im übrigen, wieso wissen die Unterstützer so viel über sie, daß sie sich sicher sind, es gibt kein kritikwürdiges Verhalten?
Anschuldigung ohne Beleg, Verteidiger ohne Argumente. Scheinbar die selbe Masche.
Eine princtoner Uni-Ränke ( vom Leiter- Blog) füllt den dF. Spezis einer Spezies spielen sich ein paar Internet-Pässe zu, ohne Weberfolg. Wo mittlerweile alles Netz ist, trifft auch jeder Käse irgendwas. Bei uns nennt man das Schrotflintenprinzip. - Sie haben es erkannt, Magda.
Eindeutig ein Zeichen, dass es an wertigem Füllmaterial, für die wenigen dF-Seiten, zur Zeit mangelt und der Presse-Sommer einzieht.
Ein medial und politisch vergifteter, europagefährlicher Sommeranfang, böte doch reichlich Gelegenheit, sich um die kulturelle und politische Stumpfheit und jene dröge Hinnahme des allgemeinen Rechtsrucks, durch unsere Kultureliten und das (Ein-)Bildungsbürgertum, zu sorgen. Der National-Dschinn wurde aus der Flasche gelassen, und seine Meister werden populär. Das muss böse und brutal enden.
Nun, ich denke zum Vorlaufblog war eigentlich schon alles abgefrühstückt, was zum Fall- Thema zu sagen wäre. Das Re-tweeting und Zurückverlinken, soll Wichtigkeit in der Aufmerksamkeitsökonomie andeuten, auch wenn nichts Erhellendes gesagt wird.
Im WWW lassen sich einige Vorträge der "Beschuldigten" anhören. Sie zeugen allesamt von ihrem Witz, ihrer Ironie und ihrer intellektuellen Redlichkeit. Wenn aber an den US- Universitäten, außerhalb einiger spezialisierter Fachbereiche, etwas anstößig ist, dann gilt das für die Lehre der europäischen Philosophie des Strukuralismus und Poststrukturalismus und gar immer noch, für Erkenntnisse, die auf Freud und Nachfolger zurückzuführen sind. Dem freudschen Sinn für Humor, folgt Professorin Ronell. - Diese Lehren gelten an den Hochschulen, wie die Einführung des Kommunismus oder Sozialismus.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Bis zum Zeitpunkt xy gab es gegen viele Beschuldigte keine entsprechende Vorwürfe. Die Argumentation dieser Unterzeichnerin ist der blanke Unsinn. Insofern zweifle ich deren Kompetenz stark an.
Es muss "princetoner" und Princeton heißen. Recht eigentlich spiegelt der Artikel einen eingeengten, fast schon privaten, dazu einseitig nur von Prof. Leiter (Chicago Law School) geführten Streit, mit einem Kreis an Unterstützern Avital Ronells. Der Artikelautor, Anton Pluschke, promoviert derzeit in Princeton. An dieser (Elite-)Hochschule schrieb auch Avital Ronell ihre Dissertation.
Mir kam noch in den Sinn, ob denn die von der Redaktion gewählte Überschrift- Anspielung und der Teaser- Text wirklich gut zusammenpassen. Das Fragezeichen im Anriss macht ja die Andeutung, Professorin Ronell hätte überhaupt etwas Strafwürdiges getan, nicht ungeschehen. Die BILD würde es wahrscheinlich ebenso verschriften, wenn ihr sowas massentauglich erschiene. - Was irgendwie Linke bräuchten, ist selbstverständlich so etwas wie, fröhlich formulierte Kritik, die Distanz zum eigenen Bierernst erlaubte.
Christoph Leusch
Welche unbewiesenen Anschuldigungen gab es denn?
Ich bin kein Fan der postmodernen Philosophie. Schaut man sich die Geschichte allerdings mit wachen Augen an, sieht alles nach der Folgerung aus: DA IST NICHTS. Wäre da was, wären (ernsthafte, seriöse) US-Medien sicher auf den Fall eingestiegen. Da auch der Artikelautor seine Ankündigung nicht wahr gemacht hat, mehr Details nachzulegen und lediglich ein – mit Allgemeinplätzen zu universitären Abhängigkeitsverhältnissen angereichertes – „Upgrade“ einer älteren Artikelversion vorlegt, bewegen wir uns auf dem Boden purer Spekulation.
Fazit: keine Causa. Zumindest nicht nach aktuellem Informationsstand.
@ Columbus Das Schlimme an der Causa und dem ganzen Procedere ist, dass nicht nur die Theamtik darin untergeht, sondern auch die Unschuldsvermutung, die Gleichheit vor dem Gesetz, sei es durch 'Mutmaßungen über', sei es, dass ihr Fall benutzt wird, um ganz andere ‚issues‘ (Unistrukturen, Machtthematik) vorzutragen, wozu ja ‚die große Bandbreite an möglichen Vorwürfen‘ einlädt. In dem Sinne trägt sowohl das vorgetragene Autoritätsargument – tolle Wissenschaftlerin, faszinierende Person‘ dazu bei als auch vice vera dagen zu halten mit Argumenten ‚Corpsgeist‘ oder 'die da oben, die da unten' . So wie die juristische Gemengelage sich mir darstellt, scheint es aktuell nur Verlierer zu geben. Jedenfalls ist die Beschuldigte jetzt schon in einer Weise beschädigt, egal wie die Sache für sie ausgeht.
@ Magda ‚Und dass der Autor auch keine Hintergründe über diese Title IV Geschichte gibt, erhellt die Sache nicht, WEIL ‚Die Person, die diese Beschwerde eingereicht hat, der Inhalt des Vorwurfs und die Deutung desselben durch die Universität bleiben unter Verschluss, so sieht es das Verfahren vor. Weder Avital Ronell noch die NYU oder Personen aus diesem Umfeld können sich öffentlich äußern.‘ Auch muss die Universität ermitteln, weil sie sonst ihrerseits mit Millionenklagen rechnen muss. Dabei spielt es keine Rolle, dass ‚Solche Title-IX-Beschwerden umfassen generell eine große Bandbreite an Vorwürfen aus dem Bereich der Diskriminierung und sexuellen Belästigung, sie reichen von körperlichen Übergriffen über institutionelle Diskriminierung bis zu zweideutiger Kommunikation.‘ dZ
Unter diesen Gegebenheiten, vor allem unter der Rücksicht der Unschuldsvermutung hat Vinken ihrer Kollegin höchstens einen Bärendienst erteilt. Mal abgesehen davon, dass der Unterstützerbrief ‚geleakt‘ wurde, verfügen andererseits Unterzeichner wie Slavoj Žižek offenbar über Details in der causa, wenn sie, wie er, eine faire Anhörung ihrer Kollegin fordern. Ob die überhaupt noch möglich ist?
Was es mit einem Title IX Verfahren auf sich hat ist noch ein wenig anders also hier beschrieben. Die Richtlinien kommen zwar von der Bildungsbehörde, und wenn eine Schule oder Hochschule den Auflagen nicht folgt hat diese in letzter Instanz die Befugnus Staatliche Gelder zu verweigern was de facto den ruin der Universität bedeuten würde, aber die wirkliche Gefahr kommt tatsächlich von Seiten einer Zivilklage in Millionenhöhen, und daher liegt die Gewalt zu Entscheiden was Belästigung ist und was nicht eher bei den jeweils Zuständigen Bundesrichtern. Aus eigener Erfahrung in der ich eine guten Einblick hinter die Kulissen des Title IX Apparats werfen konnte ohne selber in ein Verfahren verstrickt zu sein werden die Entscheidungen eher danach getroffen was im zivilen Recht als "Severe and Pervasive" gilt, und der standard ist relativ hoch. Für ein paar schlecht formulierte Emails wurde bisher noch niemandem gekündigt, und die Richter halten sich auch nicht unbedingt an die Richtlinien der Bildungsbehörde sondern der Rechtssprechung ihrer Kollegen und Vorgänger, wie das um Angelsächsischen Recht so üblich ist.Was mich am Meisten überrascht an dem Brief ist wie unglaublich unnützig er scheint. Ein solcher Brief wird in einem solchen Verfahren kaum ausschlaggebend sein, und sollte Professor Ronell tatsächlich ihre Tenure Stelle verlieren wegen einem Vorfall der den Belästigungsstandard im Zivilen Recht nicht nahe kommt, dann würde sie genauso gute Chancen haben NYU auf Millionenschäden zu verklagen, was auch nicht im Interesse der Universität ist.Ich denke, was dem Ganzen in den USA gut tuen würde währe wenn ein so klares und eindeutiges Gesetz wie das in Deutschland gültige gälte. Wär den Leitfaden noch nicht gelesen hat sollte dies unbedingt tun:
http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Leitfaden_Was_tun_bei_sexueller_Belaestigung.pdf;jsessionid=0A3DBC6695184798EB210936C96AC274.1_cid332?__blob=publicationFile&v=16
Ich weiss, der Slavoj Žižek ist hier ohnehin Anathema, aber er hat den Brief auch unterschrieben und er hat in einem (englischen) Artikel begründet, warum. Dieser Artikel stellt einige der Gedanken des Artikels von Herrn Pluschke in Frage.
Mal abgesehen davon, dass Slavoj Žižek hier erwähnt wird, hat er mit Zeilen wie diesen seiner Kollegin. wie schon Frau Vinken, einen Bärendienst erwiesen: " In short, she is a walking provocation for a stiff Politically Correct inhabitant of our academia, a ticking bomb just waiting to explode. A person with minimal sensitivity can, of course, immediately discern Avital’s affected surface as the form of intense vulnerability and compassion. But in today’s academia persons with sensitivity are more and more rare. Avital’s “eccentricities” are all on the surface; there is nothing sleazy hidden beneath her affected behaviour, in contrast to quite a few professors that I know who obey all the Politically Correct rules while merrily screwing students or playing obscene power games with all the dirty moves such games involve."
Wieso ist das ein Bärendienst? Das bringt die Sache doch genau auf den Punkt. Ich kenne den Fall Ronell nicht, aber ich erkenne darin genau die #metoo-Atmosphäre wieder.
ad Anne Mohnen, ad Gunnar Jeschke.
Zunächst eine kleine Anmerkung zum Sachstand. Avital Ronell hat sich beiläufig in einem Essay zu dem Verfahren geäußert. Sie hat das Vorgehen eines Graduate gegen sie als "Glitch" bezeichnet ("BIGLY MISTWEATED: ON CIVIC GRIEVANCE", sehr lesenswert, weil er sich aus einer sprachlichen Perspektive mit dem Twitter- Trumpismus und "grab her by...." beschäftigt) , von dem sie noch nicht genau wisse, wie sie damit umgehen solle. Sie bewahrt aber, wie die Briefschreiber, die teilweise den "Kläger" ebenfalls kennen, dessen Anonymität.
Sehr wichtig ist, dass die Professorin Unterstützung erhält, von Kollegen und MitarbeiterInnen, von Freunden, die ihre wissenschaftlichen und politischen Positionen nicht teilen.
Mittlerweile sind auch in einigen Zeitungen Artikel erschienen, die sich aber allesamt nur darauf beschränken, die kärglichen Infos zum "Fall", der sehr wahrscheinlich gar keiner ist, nochmals abzuarbeiten. Einige Beiträge ventilieren die juristische und universitäre Problematik der Article IX- Verfahren.
Vorwürfe gegen die Professorin werden nicht erhoben oder bestätigt und es wurden auch keine Belege oder Verdächte recherchiert. Sehr wahrscheinlich trifft Frau Ronells Eindruck zu: Es handelt sich um "Glitch".
Beste Grüße
Christoph Leusch
Dass Sie Unterstützung erfährt, stört mich doch nicht. Mich stören Mutmaßungen und das ganze Procedere., etwa 'weil
Vorwürfe gegen die Professorin werden nicht erhoben oder bestätigt und es wurden auch keine Belege oder Verdächte recherchiert. Sehr wahrscheinlich trifft Frau Ronells Eindruck zu: Es handelt sich um "Glitch".
Wenn Sie es denn als 'glitch' Störung', 'Panne', 'Fehlzündung' empfindet, dann hat sie jedenfalls, nein, glücklicherweise ein dickers Fell als z.B. Žižek ihr attestiert.
LG am
https://www.zeit.de/2018/27/avital-ronell-vorwuerfe-literaturwissenschaftlerin-title-ix/komplettansicht
Hier ist der Beitrag in der ZEIT, der - anders als dieses Pluschke-Geraune etwas nobler und fairer mit dem ganzen Fall umgeht.
Im deutschen Feuilleton sitzen zu viele Heckenschützen, mit der Absicht Andeutungen unter die LeserInnen zu bringen. Daher gleicht den Lichtblick in der ZEIT, der Tiefschlag in der FAZ aus.
Da sticht deren Alpha-Feuilletonist, Patrick Bahners, auf dem weiterhin bescheidenen Kenntnisstand hin, unerbittlich zu. Schließlich kommt doch der "Glitch" aus deutscher Feder, von einem Princeton- Promovenden).
Schönen Sommerabend
Christoph Leusch
Ist denn der erwähnte Essay von diesem Jahr?
Noch ein bisschen mehr Akademie-Tratsch:
Die Klage kommt von einem 30 Jahre alten Doktor der Philosophie. Ich denke, es geht ganz sicherlich bei dieser ganzen Sache nicht um direkte sexuelle Übergriffe, sondern um jenen Teil bei Title IX, der Diskriminierung qua Geschlecht ebenfalls als Klagegrund benennt. Und damit wird jetzt aber weltweit erstmal der Eindruck gesät, es ginge um harte Belästigung. Dahinter steckt Methode, wie mir scheint. Es ist halt ein Backlash.
Das Essay wurde auf Media Tropes 2/2016 (E-Zine) eingestellt und ist, wie fast immer bei Avital Ronell, Veränderungen unterworfen.
Es enthält größere Teile aus Vorträgen der Professorin. Wer den Text liest, wird erkennen, dass er zeitlich einordenbare Informationen bis in das Jahr 2017 enthält. - Ich vermute, dass die Teile, die keinen direkten Bezug zu Trumps Sprache haben, 2016 entstanden und im Laufe des Jahres 2017 weitere Teile hinzugekommen sind. Ich schließe: Der Postgraduate, den sie da mit einem Satz erwähnt, muss sich wohl schon länger an ihr abgearbeitet haben.
Ronell geht weder mit ihrer urspünglichen Alma Mater, Princeton, noch mit den Protagonisten einer konservativen Wende, die das auch an Hochschulen und Schulen versuchen und erstaunliche "Erfolge" damit erzielen, das ist gar keine Frage, nicht sehr freundlich um.
Die Wissenschaftsgesellschaft der USA weiß, was auf sie zukommt.
Daher schreibt Ronell ja auch, gegen ihre eigene Ansicht vom generellen Bildungsprozess an Hochschulen (Humboldt- Typ, College- Typus), der durchaus das alte Kritikmotiv Schopenhauers gegen Wissenschaftsbeamte aufgreift, dass Universitäten heute auch letzte Rückzugsorte für Außenseiter und "Nestbeschmutzer" des Betriebs sein können und gar müssen, damit überhaupt noch Kreativität und ebenso die ewige Überprüfung festgefügter (Lehr-)Ansichten erfolgen kann.
In einem anderen Zusammenhang (Thea Dorn, als Zitatstreubombe im ("wichtigsten") Berliner Mediensalon, in diesem Falle mit Schiller- und Herder-Zitatresten, die es so fehlinterpretierbar auch in die Wikipedia schafften) habe ich ja versucht aufzuzeigen, wie wichtig es ist, Zitate immer auf ihre tatsächliche Kontextualität zu überprüfen und diese aktuell einzubringen, wenn vermeintlich feststehende/apodiktische politologische, politische und philologische Wertungen, aus der Schreibe der Koryphäen, in Medien, von Journalisten und Bloggern, einfach unendlich kopiert und fortgeschrieben werden; wenn gar Hörensagen dominiert; wenn der eigene Wunsch nach Eindeutigkeiten, von dem beileibe niemand frei ist, sich allzu sehr durchsetzt, gegenüber dem Selbstzweifel.
Ich glaube von mir, dass ich für solche Dinge sensibel bin, geht es um Literatur, kulturelle und wissenschaftliche Aussagen, geht es um Thomas Mann oder Brecht, geht es um Nietzsche oder eben die dt. Klassiker und Romantiker,....
Schönen Abend
Christoph Leusch