A
Arten Wer den Frosch küsst, kriegt den Prinzen. Wer die Kröte küsst, nur Warzen. Glänzende, glatte Haut, schlanke Beine, hohe Sprünge: Der Frosch ist der ästhetisch Gefälligste in der Familie der schwanzlosen Froschlurche. Wegen ihrer ledrigen Haut und der vielen Warzen lassen sich Kröten und Unken leicht vom Frosch unterscheiden. Und die plumpe Kröte mit ihren kurzen Hinterbeinen ist eh gar nicht in der Lage zu springen.
Sie kann aber so schnell kriechen wie eine Maus und sieht besser genährt als der Frosch aus – obwohl nur der Frosch mit einer langen, klebrigen Zunge zum Schnappen der Beute gesegnet ist. Fälschlicherweise wird die Unke häufig als dicke Kröte beschrieben. An der Oberfläche mit Warzen übersät, zeigt die kleinere Unke bei drohender Gefahr (➝ Walter), was die Kröte nicht hat: Im Hohlkreuz liegend streckt sie dem Feind ihren farbenfrohen Bauch als Warnung entgegen, ihre Hautgifte heißen Unkenspeichel. Lurch ist eben nicht gleich Lurch. Nina Rathke
B
Beziehung Zu den großen Liebespaaren des 20. Jahrhunderts gehören Kermit der Frosch und das Schwein Miss Piggy, beide bekannt aus der Muppet Show. Doch 2015 sprachen sie plötzlich von „gegenseitigem Respekt, Freundschaft und persönlichem Neubeginn“, kurzum: Sie schockierten die Öffentlichkeit mit ihrer Trennung. Wenig später war Kermit mit neuer Begleiterin zu sehen, doch die Beziehung zur deutlich jüngeren Schweinedame Denise zerbrach bald wieder. So wird Kermit, 1955 in den Sümpfen Louisianas mit mehr als 2.000 Geschwistern geboren, wohl bald seine Midlife-Krise überwunden haben und zu Miss Piggy zurückkehren. Falls sie ihn noch nimmt. Sollte Kermit auf der Suche nach einer neuen Aufgabe sein, könnte er über einen Wechsel in die Politik nachdenken. Mit ihm hätten die US-Grünen endlich mal ein überzeugendes Gesicht (➝ Symbol). Sarah Khan
G
Galvanismus Ohne Frösche wäre wohl nie die experimentelle Elektrophysiologie entdeckt worden, laut dem Physiologen Emil du Bois-Reymond der „hundertjährige Traum der Physiker und Physiologen von der Einheit des Nervensystems und der Elektrizität“. Sein Nachweis elektrischer Stromschwankungen bei Muskelkontraktion beruhte auf Beobachtungen von „Tierelektrizität“ des italienischen Arzts und Anatoms Luigi Galvani aus dem Jahr 1780. Der hatte zufällig einen Stromkreis durch präparierte Froschschenkel hergestellt, indem er sie mit zwei verschiedenen Metallen berührte.
Das im Frosch enthaltene Salzwasser ist ein Elektrolyt, also eine stromleitende Flüssigkeit. Galvani erkannte die Zusammenhänge noch nicht, legte aber die Grundlage für die spätere Entwicklung elektrochemischer Zellen, ihm zu Ehren Galvanische Zellen genannt. Diese Zellen wiederum ermöglichten Mitte des 19. Jahrhunderts die Elektrophysiologie und damit schließlich die Darstellung der motorischen Zentren im Gehirn oder Herzen. Dass wir das Herz per EKG untersuchen lassen können, geht also auf Tierversuche (➝ Mythos) zurück. Louisa Theresa Braun
H
Halluzinogen Wer einen Frosch küsst und keinen Prinzen bekommt (➝ Märchen), kann es mit der Aga-Kröte und ihren bis zu 22 Zentimeter langen Verwandten versuchen. Was liegt beim Anblick solcherlei Ungetüms näher, als dessen Drüsensekret zu konsumieren, denkt Homer in einer Simpsons-Folge und leckt an einer Kröte. Das Resultat sind psychedelische Trips. Aber nur Amateure lecken direkt am Lurch. Profis melken, trocknen, rauchen das Sekret. Der Rauch enthält viele Gifte sowie Dimethyltryptamin (DMT), das zu starken Halluzinationen führt. Die Kröte an sich ist hierzulande legal, DMT nicht. Daher gibt es auch keine Warnhinweise, dass der Konsum zu Herzstillstand führen kann. Konstantin Nowotny
K
Kulinarik In Südostasien werden nicht nur Insekten gern verzehrt; auch der Frosch ist ein beliebter Snack auf den Märkten. Wer gemeinsam mit 60 anderen Menschen (➝ Beziehung) und 60 Reissäcken in einem nach hiesigen Maßstäben zu kleinen Gefährt durch Laos reist, kann sich während der Pausen am Straßenstand einen Spieß mit gebratenen Fröschen holen, um damit wieder im Bus auf einem Reissack Platz zu nehmen. Skurril wird es, wenn in einem Restaurant der Frosch nicht nur auf dem Menü steht, sondern auch quicklebendig an der Wand umherspringt. Andererseits aber auch nicht absurder, als ein Steak zu essen, während nebenan eine Kuh weidet. Andrea Wierich
L
Literatur Mo Yan hat vor drei Jahren mit Frösche das hiesige Feuilleton versöhnt. Zuvor war dem Literaturnobelpreisträger eine unwürdige Nähe zur chinesischen Regierung unterstellt worden. Der Roman Frösche kritisierte dann unter anderem Chinas Ein-Kind-Politik. Während auch Aristophanes antike Komödie Die Frösche sowie Edgar Allen Poes Erzählung Hopp-Frosch das Tier im Titel tragen, spielt der Frosch bei Alice im Wunderland (➝ Halluzinogen) eine Nebenrolle, deren Funktion für den Charakter des Werks jedoch nicht zu verachten ist: „Und selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es rathsam“, spricht die Maus im dritten Kapitel und wird von der Ente unterbrochen: „Fand was?“ Darauf die Maus: „Fand es, du wirst doch wohl wissen, was es bedeutet.“ Wieder die Ente: „Ich weiß sehr wohl, was es bedeutet, wenn ich etwas finde. Es ist gewöhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was fand der Erzbischof?“ Tobias Prüwer
M
Märchen Naturschützer sagen, es sei ein Massaker gewesen, das Mäharbeiten neulich in einem Wald bei Dortmund angerichtet hätten. Hunderte junge Frösche und Kröten, gerade aus ihren Laichgewässern in andere Lebensräume wandernd, seien getötet worden. Die Stadt räumte zwar ein, das „einzelne Tiere betroffen sein könnten“, wollte von einem amphibischen Exodus aber nichts wissen. So oder so bringt der Vorfall in Erinnerung, dass es eine kulturhistorisch tief verankerte wie kollektiv verdrängte Dimension der Gewalt zwischen Frosch und Mensch gibt (➝ Plage). Das zeigt sich am Märchen des Froschkönigs. Die Variante, dass die Prinzessin ihren schleimigen Bettgesellen vor der Erlösung küsst, ist nämlich erst Ende des 19. Jahrhunderts belegt. In den 1812 erschienenen Hausmärchen der Grimms heißt es: „Sie packte den Frosch mit zwei Fingern und trug ihn hinauf in ihre Kammer, legte sich ins Bett und statt ihn neben sich zu legen, warf sie ihn bratsch! an die Wand; ‚da nun wirst du mich in Ruh lassen, du garstiger Frosch!‘ Aber der Frosch fiel nicht todt herunter, sondern wie er herab auf das Bett kam, da wars ein schöner junger Prinz.“ Nils Markwardt
Mythos Die Masse ist träge, der Mensch oft auch – aber ein Frosch? Die folgende Geschichte soll genau das zeigen: Wirft man einen Frosch in kochendes Wasser, versucht er zu entkommen. Setzt man ihn aber in normalwarmes Wasser und erhitzt es langsam, so tut er nichts und stirbt am Ende. Den Wahrheitsgehalt dessen hat ein Wissenschaftler (➝ Galvanismus) aus den USA in der Zeit widerlegt: In Wirklichkeit unternimmt der Frosch mit steigender Temperatur mehr und mehr Anstrengungen, das heiße Wasser zu verlassen, bis hin zu Hitzestarre und Tod.
Dass der Mythos trotzdem kursiert, hat sicher damit zu tun, dass wir Menschen uns im vermeintlich trägen Frosch wiedererkennen. Kleine, unangenehme Veränderungen lassen wir zu. Wir sind zu behäbig, um etwas dagegen zu tun. Bis es irgendwann zu spät ist. Felix Werdermann
P
Plage Der Frosch strahlt im Gegensatz zur Kröte (➝ Arten) eigentlich keine Gefahr aus, wobei: alles eine Frage der Quantität. In rauen Mengen können auch Frösche zu einer Plage biblischen Ausmaßes werden. Es ist, um genau zu sein, die dritte Plage, die „der Herr“ auf die Ägypter loslässt, um das Volk Israel zu befreien. Obwohl die Bibel im Zuge der Säkularisierung in der nördlichen Hemisphäre an Bedeutung verlor, konnten sich Froschmassen als dramatisches Element zumindest bis ins 20. Jahrhundert halten: Im Horrofilm Frogs – Killer aus dem Sumpf von 1973 wird ihr Quaken zum vielstimmigen Hintergrundchor des Kampfs Tierwelt gegen Mensch. Und ein so plötzlicher wie wahnwitziger Froschregen bildet das furiose Finale des Episodenfilms Magnolia aus dem Jahr 1999. Benjamin Knödler
S
Symbol Nicht nur als Plage tritt der Frosch in Ägypten auf, sondern auch als Symbol für Fruchtbarkeit: Heket, die Göttin der Geburt, ist eine froschköpfige Frau. In China steht der Frosch für ein langes Leben und für Unverwundbarkeit. Dagegen wird er in Europa mit Ekel (➝ Zyste) und dunklem Geheimnis assoziiert, was ihn für die Alchemie interessant machte. Krötenextrakt soll Bestandteil des Steins der Weisen gewesen sein. 2008 sorgte Martin Kippenbergers Skulptur Zuerst die Füße (1990) in Bozen für einen Eklat. Zwar wollte sich der Künstler nach einem Alkoholentzug als ans Kreuz genagelter Frosch nur selbst stilisieren. Papst Benedikt protestierte vor seinem Bozen-Besuch dennoch, und ein Politiker trat erfolglos in Hungerstreik. Tobias Prüwer
W
Walter Die Einladung zur damaligen B-Fußballnationalmannschaft lehnte Walter Frosch 1976 ab, weil einer wie er „nur in der A-Mannschaft oder in der Weltauswahl“ spiele. Die Selbsteinschätzung traf zu, Bayern München wollte ihn einst unbedingt verpflichten. Frosch hatte aber schon in Kaiserslautern zugesagt. Später landete er beim FC St. Pauli, in dessen Jahrhundertelf (➝ Literatur) ihn die Fans 2010 wählten. Bei einem Benefizspiel am Millerntor hatte er wenige Jahre zuvor das Interview gegeben, das ihn zum Youtube-Star machte: Angesprochen auf die rechteckige Ausbeulung in seinem Stutzen, röchelte Frosch unumwunden: „Zigaretten“. Seine Einwechslung sei zu rasch erfolgt, um die Schachtel abzulegen.
Der Gelbe-Karten-Rekordmann und Kettenraucher Walter Frosch ist 2013 an Krebs gestorben. Aber vielleicht gibt es tragischere Schicksale aus der St.-Pauli-Jahrhundertelf: Gerade erst schloss der Verein Michél Mazingu-Dinzey aus, weil er an einer Anti-Asyl-Demonstration teilgenommen hatte. Bejamin Knödler
Z
Zyste Ranula, „kleiner Frosch“, lautet der launige Name, mit dem Mediziner eine speichelgefüllte Zyste bezeichnen, die sich unterhalb der Zunge bilden kann. Wird sie zu groß, kann sie zu Schluck-, Sprech- oder Atembeschwerden führen. Der sprichwörtliche „Frosch im Hals“ leitet sich wohl von dieser Erkrankung ab. Ob Frösche selbst unter einer Ranula leiden können, ist nicht bekannt. Bei ihnen wären in diesem Fall Probleme mit der Zunge beim Fangen von Fliegen (➝ Kulinarik) programmiert.
Eine echte Ranula lässt sich nicht durch Räuspern und nicht durch Husten lösen, sondern muss operativ entfernt werden. Die dabei angewandte Technik nennt man Marsupialisation. Der Erfolg der Operation wird überprüft, indem man den Patienten mehrmals das Wort Marsupialisation aussprechen lässt, ohne dass er dabei an seiner eigenen Zunge ersticken darf. Uwe Buckesfeld
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.