Froh, so Flow

Sportplatz Kolumne

Macht Sport glücklich? Der ungarische Psychologe mit dem schönen Namen Mihaly Csikszentmihalyi, der seit den 1970er Jahren nach dem "Geheimnis des Glücks" sucht, fand im Sport das Flow-Gefühl, jenen vagen Moment, in dem man sich vollkommen konzentriert, die Zeit vergisst und alles von allein zu gelingen scheint. Flow ist Vertiefung in eine Tätigkeit, bei der nichts anderes mehr eine Rolle zu spielen scheint. Alles ist optimal, Körper und Geist sind in Harmonie, negatives Denken und Selbstzweifel verschwinden. In der völligen Hingabe sind Athleten zu Leistungen fähig, die sie selbst nicht für möglich gehalten haben. Wie bei einem Drogenrausch ohne negative Nachwirkungen kann der Sportler dabei zu einer Gefühlsintensivierung vordringen, die er im Alltag meist vergeblich sucht.

Alle wahren Sportler kennen dieses Verschmelzen von Körper und Bewusstsein und für viele ist es der magische Grund, ihren Sport zu lieben. Man muss sich deshalb den Weltfußballer Ronaldinho vom FC Barcelona als einen wahrhaft glücklichen Menschen vorstellen. Der meist laut wie ein Kind lachende Ronaldinho, Sinnbild für intuitiven oder "brasilianischen" Fußball, antwortete einmal auf die Frage eines Journalisten, wie es ihm gelinge, seine Gegner immer wieder zu überraschen, er wisse meist selbst nicht, was im nächsten Moment geschehe. Sein atemraubendes Champions-League-Tor gegen Chelsea im letzten Frühjahr beschrieb er mit folgenden Worten: "Als ich zum Tor sah, schien es, als hätte jemand Pause gedrückt und alle Spieler auf dem Feld würden für drei Sekunden still stehen, und ich bin der Einzige der sich bewegt. Es war der Moment, als ich den Ball annahm und alles stillstand."

Flow-Erfahrungen graben sich bei Spielern und Fans in das Gedächtnis, weil sie so positiv sind. Jeder Sportler kann sie erleben und jeder versucht sie, mit eigenen, letztlich ungenügenden Worten wie "Ramba Zamba", "on fire" oder "einfach unglaublich" zu beschreiben. Als Werder Bremen in der Champions League Saison 1993/94 nach 66 Minuten, in denen alles schief lief, mit 0:3 gegen den RSC Anderlecht zurücklag, und nach weiteren 24 Minuten, in denen alles klappte, mit 5:3 gewann, lief der zweifache Torschütze Wynton Rufer im Handstand über den Rasen, weil er sein Glück nicht anders fassen konnte.

Bremer Siege wie dieser prägten den Begriff "Wunder an der Weser", und wahrscheinlich ist Wynton Rufer dem Übersinnlichen an jenem Abend wirklich ein Stück näher gekommen. Man könnte ihn deshalb als eine Art Hildegard von Bingen des SV Werder Bremen bezeichnen, denn schon in der mittelalterlichen Mystik versuchte man in die Verzückung oder den Rausch zu taumeln, um letztlich zu sich selbst zu finden. Diesem Rausch-Zustand, der noch heute in der religiösen Mystik durch die ständige Wiederholung des Namen Gottes oder durch wilde Derwisch-Tänze angestrebt wird, muss sich der Sportler durch intensives und wiederholtes Training annähern.

Sport schürt Emotionen, ein wohliges Kribbeln und Bangen, das jeder kennt, der schon einmal die letzten Sekunden eines Fußballspieles zählend, kniend vor dem Fernseher verbracht hat. Rausch-Erfahrungen im Wettkampf sind deshalb so überwältigend, weil sie die vor dem Spiel angestauten Spannungen lösen und in ein positives Selbstgefühl umwandeln. Norbert Elias hat darauf hingewiesen, dass die mimetische Produktion von Spannung im Sport eine befreiende und reinigende Wirkung hat, da der Mensch unter denen im "Prozess der Zivilisationen" zunehmenden Formen der emotionalen Selbstkontrolle leide. Wer heute noch öffentliche Emotionen sehen will, der muss in die Fanblocks der Fußballstadien gehen. Dort springen erwachsene Männer bei Toren wild schreiend umher oder liegen sich bei Abstiegen heulend in den Armen. Man muss sie sich in solchen Momenten ebenfalls als glückliche Menschen vorstellen.


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