Samstagmittag auf dem Bonner Marktplatz. Gerade läuft der CDU-Parteitag, auf dem der neue Vorsitzende gewählt wird. Jessica Rosenthal kommt mit dem Fahrrad angeradelt. Spaziergang am Rhein. Seit Kurzem ist sie die neue „Frontfrau“ der Jusos, wie sie es formuliert.
Rosenthal gilt als Linke. Ihr Vorgänger, Kevin Kühnert, hat die SPD-Nachwuchsorganisation mit der „No-Groko“-Kampagne zum Machtfaktor in der Republik gemacht. Parteiintern hat das dem Ansehen des Juso-Vorsitz-Postens nicht geschadet. Was wird Rosenthal aus dem Amt machen?
1992 wurde sie in Hameln geboren, in Niedersachsen. Vorsitzende der Bonner Jusos ab 2015. Drei Jahre später dann des gesamten nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Karriere mit links. Studiert hat sie Deutsch, Geschichte und Bildungswissenschaften in Bonn. Hier arbeitet Rosenthal heute auch als Lehrerin an einer Gesamtschule. Vorher war sie an einer Realschule im Stadtteil Tannenbusch tätig. Ein Brennpunkt. „Ich mag den Begriff nicht“, sagt sie, „weil er stigmatisiert!“ Die Schüler hätten keinen Bock auf solche Zuschreibungen.
Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger hat Rosenthal einen Plan B, außerhalb der Politik, als Paukerin. Kühnert war im Dunst der Abgeordnetenhäuser und Parteizentralen zu Hause, jetzt ist er sogar Parteivize und Bundestagsanwärter. Letzteres hat er mit seiner Nachfolgerin gemeinsam. Am 5. Dezember wollte Rosenthal von der Bonner SPD zur Kandidatin für die Bundestagwahl gekürt werden. Weil man dort auf eine echte Zusammenkunft, mit Halle und so, nicht verzichten wollte, wurde das ganze coronabedingt verschoben. Nachholtermin ungewiss. Aus Bonner SPD-Kreisen hört man aber, dass Rosenthal gute Chancen hat, aufgestellt zu werden. Durch das Reißverschlusssystem, mit dem die Genoss*innen ihre Landesliste abwechselnd mit Frauen und Männern besetzen, habe Mitbewerber Stefan Gsänger, ein hohes Tier in der Windenergiebranche, schlechtere Karten.
Im Interview mit ze.tt sagte Rosenthal, dass das Aufstiegsversprechen „Meinem Kind wird es einmal besser gehen“ wieder gelten solle. Klingt ein bisschen nach den 1970ern. Aber vor allem war dieses Versprechen damals eng an kapitalistisches Wirtschaftswachstum gekoppelt. Etwas, wovon man bei den Jusos eigentlich nicht mehr viel wissen will. Rosenthal auch nicht, klar. Sie glaube an einen „neuen Wachstumsbegriff“, sagt sie. Jenseits des Kapitalismus. Den will sie „überwinden“.
Ihre bildungspolitischen Forderungen kommen da bei manchen Parteijüngeren weniger an. Rosenthal schlägt vor, Lehramtsstudierende in der Corona-Krise an Schulen einzusetzen. Die hätten sowieso gerade ihre Nebenjobs verloren. Ein junges SPD-Mitglied, das die Partei in Bildungsfragen berät und selbst als Lehrer arbeitet, hält das für eine „verzerrte Wahrnehmung“: An Schulen seien Studis anfangs eine Mehrbelastung. Außerdem ginge es denen gerade selber nicht so toll, Bundesbildungsministerin Karliczek (CDU) sei Dank.
Machtpolitisch ist eine andere Frage spannender: Wie geht man als linke Juso-Vorsitzende mit Olaf Scholz um? Hängt man da Plakate auf, richtig Straßenwahlkampf, so als hätte man die gleichen Vorstellungen wie er? „Das Bild ist mir ehrlich gesagt ein bisschen zu platt“, antwortet Rosenthal. Klar werde sie für Scholz werben. Er sei der Kanzlerkandidat der SPD. Außerdem habe Corona ihn verändert: Konjunkturpaket, Abkehr von der Schwarzen Null. Das sei doch was.
Dabei ist Rosenthal viel linker, viel konkreter als Scholz. Während des einstündigen Spaziergangs kommt sie mit dutzenden Forderungen um die Ecke: Ausbildungs- und Jobgarantie (aber kein Arbeitszwang!), weniger Befristungen, dafür Wirtschaftsdemokratie und Profitbeteiligung. Und natürlich kostenlose FFP2-Masken! Söder ist doof.
Manchem Hauptstadt-Juso reicht das nicht: Sie bete brav die Beschlusslage runter, heißt es da, einen upgedateten Sozialismusbegriff habe sie nicht. Am 8. Januar, fünf Monate nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur und einer coronabedingten Briefwahl, wurde Rosenthal endlich zur Bundesvorsitzenden gekürt. Antrittsrede ohne Parteitagspublikum. Nicht einfach. Mahnend zeigte die 28-Jährige in Richtung Kapitol und „rechten Mob“, der dort eingedrungen sei. Sie verurteilte den demokratischen „Tabubruch“ in Thüringen. Dann dankte sie Kevin Kühnert für dessen „differenzierte Sachlichkeit“ und „Leidenschaft“.
Ihr Wahlergebnis war mager: 78 Prozent. Zumal Rosenthal die einzige Kandidatin war. Jetzt könnte man sagen, dass in der SPD gute Parteitagsergebnisse eher Menetekel als Rückenwind sind. Aber im Vorfeld hatte Rosenthal sogar von der Vorsitzenden der baden-württembergischen Jusos, Lara Herter, Unterstützung zugesagt bekommen. Der dortige Landesverband gilt in der SPD-Jugend als eher konservativ, BaWü halt. Dass sich Herter für die linke Rosenthal aussprach, galt als sicheres Indiz dafür, dass es Delegiertenstimmen nur so hageln würde beim digitalen Bundeskongress. Der vorwärts prophezeite noch im Dezember ein „Rekordergebnis“. Obendrein hatte Rosenthal den Support des Hamburger Landesverbandes, auch der kein Hort revolutionärer Sozialist*innen. Enttäuschung ob ihres Ergebnisses mag sie trotzdem nicht äußern, „großer Vertrauensbeweis“ und so. Stimmt schon. Mancher ihrer Vorgänger hätte sich über 78 Prozent gefreut.
Bei der CDU macht Armin Laschet am Ende das Rennen. „Im Angebot waren drei katholische Männer aus Nordrhein-Westfalen“, das mit der Vielfalt bei den Konservativen sei ein Witz, meint Rosenthal. Bei Twitter gratuliert die Juso-Chefin dem neuen CDU-Vorsitzenden aber trotzdem.
Kommentare 9
JungSOZIALISTEN, nicht junge Spezialdemokraten sind gefragt. Leider fehlen mir bei der JuSo-Vorsitzenden konkrete Aussagen und Analysen. Sie stört sich an dem Wort "links" - das sagt schon viel. Aber erinnern wir uns auch an den Superlinken G. Schröder der 1970er Jahre oder den linksradikalen Olaf Scholz der 1980er Jahre. Das sind 2 Musterbeispiele wiee sozialdemokratische Ideale für Karrieren verkauft wurden - die Zustimmungswerte für die SPD sind Dank deren Führung in freiem Fall.
Aber sehen wir uns in der Welt mal um: Sanders, Corbyn, Lafontaine, Wagenknecht ..... Menschen, die sozialdemokratische Werte hochhalten, sind in den Apparaten ihrer eigenen Parteien nicht gern gesehen. Froh kann man vielleicht schon sein wenn solche Menschen nicht vom Parteiapparat zum Abschuß frei gegeben werden wie Rosa, Karl und viele andere.
Fazit für die Bewertung der SPD ist doch leider: wer Einfluss erlangen will, der/die darf keine sozialdemokratischen Überzeugungen haben.
Eiegntlich ist es nur noch fatal: Die spd kann machen, was sie will, sie bekommt einfach die personalfrage nicht in den griff. Erst das kurze aufflackern des Kevin K., der alsbald verglühte und im spd-mainstream verschwand, jetzt schon wieder eine "linke" jungsozialistin, die nur eines will - nämlich in den bundestag. Und dann?
Da es schwer ist einzuschätzen, welche personellen alternativen die jung-spd denn noch so hat/hätte, ist es unmöglich einzuschätzen, ob es auch bessere gehen könnte. Aber so wie es jetzt steht - eine einzelne kandidatin, 78 prozent -, ist das weitere schrumpfen der spd gewiss wie das amen in der kirche.
Ja konkrete Analysen und Aussagen fehlen. Sie arbeitet an einer Gesamtschule. Da muss man eine Meinung zur aktuellen Lage des Standes der Bildung und Erziehung haben. Die Schulschliessungen sind doch die obsolute Katastrophe. Eine Meinung zur Digitalisierung. Welche junge Menschen wollen wir haben. Angepasste, autoritätshörige, unpolitische oder aufgeweckte-selbstbewusste Persönlichkeiten, die keine Angst haben und sich etwas trauen. Die Zeit läuft gerade gegen die zuletzt erwähnten. Das wäre naheliegend hier etwas von ihr zu hören.
Ach Leute haben wir nicht schon genug Beamte/Lehrer in den Land- und Bundestag. Sollten nicht mehr "Otto" Normal mal dieses Land regieren und nicht vom schönen Beamtenstatus, sich das Land schön reden und im Glashaus sitzen.
Wenn ich richtig gerechnet habe, ist Frau Rosenthal noch keine 30.
Jeder, der einmal in diesem Alter war und sich daran noch in Grundzügen erinnern kann, möge seine Kritik daran ausrichten.
Für die Unfehlbarkeit ist nach wie vor die Katholische Kirche zuständig. Gegen den Zeitgeist des Perfektionismus halte ich es für klüger - und humaner - Menschen Fehler einzugestehen. Und ihnen damit die Möglichkeit einzuräumen, daraus zu lernen.
Dies gilt weltweit. Für Putin in Russland, Biden in den USA - und auch für eine "Frontfrau der Herzen". Verglichen mit den (Un) Tugenden der hiesigen Politikerinnen wäre das schon ein - enormer - Qualitätssprung.
Schön, dass Sie den Sinn für das Wesentliche (messerscharf) entdeckt haben. Und schön, dass Sie die Übermacht der Lobbyisten offenbar weniger stört als Menschen mit Bildung.
Ich bin sicher, Sie finden eine Quelle darüber, aus welchem "Geläuf" die Abgordneten stammen.
Glück auf bei der Auswertung!
Trotzdem wer in die Politik geht, sollte schon klare Vorstellung haben. Auch mit 28 Jahren. Und Schulpolitik ist Zukunftspolitik. Ein Zitat wurde von ihr genannt, dass es dem eigenen Kind einmal besser gehen sollte. Da hätte man auch mal journalistsch nachharken können, wie sie das meint.
Meine Lebenserfahrung: JEDER Anfang sollte von gewissen Vorstellungen begleitet sein - und ist es auch. Ob Studium, Ausbildung, Beziehung, Politik ... Keiner ist ohne Vorstellung. Manche Motive sind uns bewusst, viele (erst einmal) unbewusst.
Die Klarheit stellt sich jedoch erst im TUN heraus: Annahmen bestätigen sich, andere nicht. Das Leben und unsere Mitmenschen verpassen uns den Feinschliff.
Und irgendwann darf dann der großartige Klaus Hoffmann singen: Um zu werden, wer du bist ...
Solange nur ein paar Leute wie Rudolf Dressler(80!) die einzige linke Hoffnung in dieser Partei sind, geht mir selbige am A.... vorbei.