Früh war die Hackordnung klar

Requiem überflüssig Es gibt kein "rot-grünes Projekt" zu beerdigen, weil ein solches nie existiert hat

Immer war es ein gutes Stück weit Etikettenschwindel und eine Lebenslüge obendrein - das Gerede vom "rot-grünen Projekt". Im Kern blieb es ein tagespolitisches Durchbuchstabieren und Abarbeiten von tatsächlichen oder vermeintlichen Sachzwängen. Ein gemeinsames Projekt - so etwas wie ein Konzept für eine alternative Politik dank klarer Programmatik - hatten Grüne und SPD niemals in den sieben Jahren, in denen sie regierten. Man lebte einfach von der Hand in den Mund und kam selbst beim grünen Zentralthema - der Vermittlung von ökologischen Konzepten mit ökonomischen Imperativen - fast ohne Plan und Ziel aus, sondern werkelte mal auf dieser, mal auf jener Baustelle, am Dosenpfand ebenso wie an der ausgebliebenen Agrarwende. Eine Ausnahme ist der Partei anzurechnen: der langsame Beginn des Ausstiegs aus der Kernenergie.

Von der hochgejubelten Außenpolitik Fischers wird bei Lichte besehen nur das Wort "Finalisierung" aus der Berliner Europa-Rede übrig bleiben und sonst nichts. Oder doch, etwas schon: Fischer hat es verstanden, die Grünen kriegsreif zu predigen.

Es gibt insofern kein "rot-grünes Projekt" zu beerdigen, weil ein solches nie existiert hat. Die Koalition kam zustande, weil Schröder die Grünen brauchte, um dorthin zu gelangen, wohin er der Legende nach schon als Juso wollte - ins Kanzleramt. Früh war die Hackordnung klar. Schröder sah sich als Küchenchef und Fischer als Beikoch. Bis zur faktischen Aufkündigung der Koalition wurde an dieser Rollenverteilung nicht gerüttelt. Wie die SPD, deren Parteivorstand und Bundestagsfraktion dürfen auch die Grünen ungefragt zur Kenntnis nehmen, was Schröder tut, wenn er sich seit dem Tag des NRW-Debakels alle Optionen offen hält.

Wofür werden die Grünen künftig stehen? Was heißt "grüne Politik"? Darauf eine Antwort zu finden, fällt nicht leicht, weil man sich sofort daran erinnert, dass ein in der Wolle gefärbter Neoliberaler wie Oswald Metzger lange Zeit den wirtschaftlichen "Sachverstand" der Partei repräsentierte, ohne dass diese selbst je über Konzepte für einen eigenständigen Wirtschaftskurs verfügt hätte. In der SPD lieferten sich immerhin Linksliberale, Neoliberale, Keynesianer und Gewerkschafter einen permanenten Grabenkrieg um die richtige Sozialpolitik, bis sie mit "Hartz IV" und einem "Basta" zur Ordnung gerufen wurden. Bei den Grünen dagegen gab und gibt es nicht einmal eine Debatte. Als Müntefering zur Jagd auf den Heuschrecken-Kapitalismus blies, herrschte bei den Grünen Schweigen. Die Partei nickte aus Koalitionsräson und Machterhalt in den letzten sieben Jahren alles ab - auch die milliardenschweren Steuergeschenke für Unternehmer, Banker und Spekulanten aller Art.

In der Innen- und Sicherheitspolitik bemühte sich außer Hans-Christian Ströbele und Volker Beck kein grüner Politiker, den ausufernden Plänen von Otto Schily und Brigitte Zypries Grenzen zu setzen. Unter keiner Regierung wurde die sicherheitsstaatliche Aufrüstung und rechtsstaatliche Aushöhlung so weit und so schnell vorangetrieben wie unter Schröder/Fischer.

Und während der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer noch beschwörend versichert, "kein Grüner kann ernsthaft Schwarz-Grün vorschlagen", schielen jüngere Karrieristen wie die profillos-glatte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon auf "die schwarz-grüne Option" oder suchen Leute, "mit denen man vielleicht eines Tages zusammenarbeiten kann", so Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Partei. Am Tag nach der vorgezogenen Bundestagswahl im September - da kann man ziemlich sicher sein - wird diese Debatte bei den Grünen wie einst bei der Mehrheitsbeschafferpartei FDP vollends ausbrechen und von ihrem Ausgang her ziemlich offen sein.


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