Frühes Ende einer Epoche

WorldCom-Konkurs in den USA Vieles in der Telekommunikationsbranche erinnert an die Eisenbahnkräche vor dem Ersten Weltkrieg

Als das US-Justizministerium 1998 gegen viele Einwände die Fusion von MCI und WorldCom zuließ, schien das die Krönung einer Erfolgsgeschichte zu sein. Zwei Gesellschaften, die beispielhaft für eine neue Telekommunikationsordnung standen, hatten zusammen gefunden, um gemeinsam eine ganz große Rolle auf dem Weltmarkt zu spielen.
WorldCom war innerhalb weniger Jahre zur Nummer Eins unter den Gesellschaften aufgestiegen, die Infrastruktur für das sich in rasantem Wachstum befindliche Internet bereitstellten. MCI hatte seit den siebziger Jahren die Vorhut aller Bemühungen gebildet, das "fordistische" Telekommunikationsregime, wie es sich in den Industrienationen herausgebildet hatte, aufzubrechen. Ein Regime, das auf staatlichen oder staatlich sanktionierten Monopolen und regulativen Eingriffen beruhte sowie bezahlbare Kommunikationsdienste für jedermann sichern sollte.
Der Aufstieg von MCI hatte mit einem auf der damals neuen Mikrowellen-Technik beruhenden Telefonnetz begonnen, das darauf zielte, den wachsenden Kommunikationsbedarf der Großunternehmen zu bedienen, ohne diese allzu stark durch Abgaben zugunsten einer ausgeglichenen Infrastruktur zu belasten. Am Ende einer langen Folge von Prozessen stand das neue, privatwirtschaftliche Telekommunikationsregime, das nicht zuletzt mit der Verbreitung des Internet zum Maßstab für die Welt werden sollte. Das natürliche Monopol, das die Grundlage des alten Regimes bildete, würde ohnehin nicht mehr bestehen, versicherten willfährige Wirtschaftsgelehrte.
Womit sich die Gelehrten wahrscheinlich nachhaltig getäuscht haben: Denn der technische Fortschritt in der optischen Signalübertragung sowie der digitalen Vermittlung entzieht einem System konkurrierender Anbieter, das mit der Mikrowellentechnik möglich schien, zunehmend die Grundlage. Die Überinvestitionsexzesse der Neunziger schufen vor allem redundante, weitgehend unausgelastete Kapazitäten in wenigen Fernverbindungen und metropolitanen Netzen, während in anderen Bereichen die Infrastruktur stagnierte oder zerfiel. Technischen Fortschritt auch durchzusetzen, gelingt so immer weniger. Eine Autorität, die Standards vorgibt, existiert so wenig wie die Sicherheit, die für langfristige Investitionen nötig ist. Der absurde Flickenteppich der US-Mobilfunklandschaft, das UMTS-Debakel und das e-Commerce-Durcheinander illustrieren dies nur zu gut.
Was nicht nur bei WorldCom, sondern in der gesamten Branche stattfand, war dis bisher größte Kapitalvernichtung der Weltgeschichte. Betroffen davon sind vor allem die institutionellen Anleger (Pensionsfonds ect.) - nicht primär die Banken. Noch 2001 holte sich WorldCom auf diese Weise über elf Milliarden Dollar. Das wirft nebenbei ein ernüchterndes Licht auf die weithin propagierten Konzepte für eine kapitalgedeckte Alterssicherung.
Wenn einer der Protagonisten der neuen Telekommunikationsordnung Konkurs anmeldet und Schutz vor seinen Gläubigern sucht, ist das mehr als nur die Konsequenz eines Bilanzskandals: Es ist ein weiteres Symptom dafür, dass diese neue Ordnung bereits an ihre Grenzen stößt, kaum dass sie sich etabliert hat. Das, was heute im Telekommunikationssektor geschieht, gleicht in vieler Hinsicht den Eisenbahnkrächen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das Muster im Hintergrund war damals das gleiche wie heute: ungleichgewichtiges Infrastrukturwachstum und spekulative Überinvestitionen, Vernachlässigung von Standards und Sicherheit, betrügerische Geschäfte und kreative Buchführung. Der Weg zu einem funktionierenden Eisenbahnsystem, das den Interessen der Allgemeinheit diente, erforderte damals eine Übernahme in öffentliche Regie.

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