Im Dezember 1990, kurz nach der Konstituierung des ersten gesamtdeutschen Bundestages, saß ich in der legendären Berliner Friedrichstraße 165. In dem restaurierten Eckbau, wo heute Hugo Boss ausstellt und der Deutsche Beamtenbund seine Mitarbeiter schult, erinnert nichts mehr daran, dass hier einmal das Haus der Demokratie residierte und ein Hoffnungsort der DDR-Bürgerbewegung zu finden war. Als ich dort vor fast zwei Jahrzehnten die frisch gekürte Bundestagsabgeordnete Christina Schenk zu einem Gespräch traf, herrschte im Haus Katerstimmung. Die Grünen-West hatten Anfang Dezember 1990 den Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag verpasst, und das Fähnlein der acht Aufrechten aus der Bürgerbewegung-Ost, für die es seinerzeit keine ges
gesamtdeutsche Fünf-Prozent-Hürde gab, fühlte sich allein gelassen: „Ich habe Angst“, bekannte die 38-jährige Physikerin, „dass sich nun alle Hoffnungen auf unsere kleine Fraktion richten werden.“Euphorie eines WintersDabei hatte genau ein Jahr zuvor alles so begeisternd begonnen. „Vor wenigen Tagen“, schrieb Christa Wolf am 11. Dezember 1989, „hat die erste Versammlung eines autonomen Frauenverbandes stattgefunden. Es soll die schönste Versammlung der letzten Wochen gewesen sein, sehr heiter, gelassen, konstruktiv, ergebnisreich.“ Was die Schriftstellerin nur vom Hörensagen kolportierte, wirkte auf die Beteiligten wie ein Fanal. Am 3. Dezember 1989 hatten sich auf Initiative einiger kleiner DDR-Frauengruppen in der Ostberliner Volksbühne über 1.000 Frauen zusammengefunden. Dicht gedrängt saßen sie zwischen voll behängten Wäscheleinen und applaudierten begeistert der Schauspielerin Walfriede Schmitt, die das für DDR-Verhältnisse unerhörte Manifest Ohne Frauen ist kein Staat zu machen vorstellte. „Wir müssen darauf bestehen“, proklamierte dessen Schöpferin Ina Merkel, „dass Frauenfragen keine gesellschaftlichen Randprobleme sind, sondern existenzielle Grundfragen“. Sie schlachtete aber nicht nur eine heilige sozialistische Kuh (die Frauenfrage als „Nebenwiderspruch“), sondern warnte auch vor ostdeutschen Anschlussträumen: „Die Wiedervereinigung hieße in der Frauenfrage drei Schritte zurück ... überspitzt gesagt, Frauen zurück an den Herd.“Dass die Frauen 20 Jahre später tatsächlich mit einer Herdprämie namens Betreuungsgeld abgespeist sein würden, konnten die damaligen Aktivistinnen nicht wissen. Die Euphorie dieses Winters, als noch alles erreichbar schien, machte bald verhaltener Ernüchterung Platz. Am Ostberliner Runden Tisch saßen sieben Frauen neben 30 Männern. Sie mussten dort zäh um eine Stadträtin für Gleichstellungsfragen kämpfen. Als knapp zwei Monate später, ausgerechnet in der Halle des ehemaligen Zentralkomitees der SED, aus dem Volksbühne-Event der Unabhängige Frauenverband (UFV) hervorging, waren Parteifrauen, Feministinnen und Christinnen gleichermaßen in den Niederungen der Realpolitik angekommen: Nicht nur im „BRD-Imperialismus“, vor dem Alice Schwarzer in einer Brandrede warnte, sondern auch im Medienrummel. Die eher aus der Subkultur kommenden Projektfrauen gerieten gegenüber den „Berufspolitikerinnen“ ins Hintertreffen, und diese wiederum wurden von den Ereignissen überrollt und verschlissen sich in der Tagespolitik. Von „totaler Überforderung“ war oft die Rede. „Es geht nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern.“ So wie Tatjana Böhm, die für den UFV als Ministerin im Kabinett von Hans Modrow saß, sahen es viele.Als Journalistin hetzte man damals von den großen Streikdemonstrationen der Westberliner Erzieherinnen über die Grenze an der Oberbaum-Brücke zum Ostberliner Runden Tisch, der auf Betreiben der Frauen eine „Sozialcharta“ zusammenstellte, um einige DDR-Besitzstände zu retten. Traf man UFV-Frauen, erzählten sie, wie an den Runden Tischen ihre Anträge belächelt wurden oder der Demokratische Aufbruch ihre Gleichstellungsbemühungen hintertrieb. Kurz vor der Volkskammerwahl am 18. März 1990 kam es dann zum endgültigen Bruch. Aus Angst, die „radikalen“ Frauen könnten sie Wählerstimmen kosten, schloss die Bürgerbewegung den UFV aus dem Wahlbündnis 90 aus.Schon im Januar hatte es in Leipzig zwischen dem Neuen Forum und der aus ihm entstandenen Fraueninitiative Knatsch gegeben, weil die Delegierten strikt eine Frauenquote verweigerten. Daraufhin verließ die Fraueninitiative das Forum, und Petra Lux – republikweit bekannt, weil sie 1983 als Kulturhausleiterin fristlos entlassen worden war – legte ihr Sprecheramt nieder.Reiste man in dieser Zeit durch die DDR und besuchte die übermüdeten, oft gereizten und überforderten Politaktivistinnen und Projektfrauen, schwankten sie zwischen nüchterner Bestandsaufnahme und Ratlosigkeit: „Die Männer organisieren die Politik, das heißt, sie legen Orte und Zeiten so, dass wir nicht teilnehmen können.“ So oder ähnlich hallte es aus dem schönen alten Portalbau in Leipzig, wo das dortige Haus der Demokratie eine Heimat gefunden hatte, aus dem repräsentativen Haus der Parteien in Dresden oder aus der Stasi-Villa in Erfurt, wo Besucher noch lange die Abhöranlagen besichtigen konnten.„Wenn ich diese Männer sehe, wie sie plötzlich mit Schlips und Kragen herumlaufen, wie sie eine Rolle angenommen und sich angepasst haben, spüre ich keine Lust mehr, mich in diese Form von Politik einzumischen“, erklärte etwa die Dresdner Stadtverordnete Maria Jacoby im März 1990. Die Enttäuschung brannte sich ein. Es seien alte Geschichten, die das Neue Forum und die Frauen in Erfurt entzweit hätten, erzählten mir die Weimarer Frauen ein halbes Jahr später, als der UFV noch einmal antrat zur gesamtdeutschen Bundestagswahl.Os-West-DilemmaProjektionen und Enttäuschungen gab es auch mit den West-Feministinnen. Die Irritation, wenn sich die Ostfrauen selbstverständlich als „Journalist“ oder „Lehrer“ vorstellten oder sich vom feministische „Gruselvokabular“ abgestoßen fühlten, war noch verkraftbar. Schlimmer war, dass westdeutsches Avantgardegehabe und ostdeutscher Eigensinn eine fatale Allianz eingingen. „Oft“ – beschrieb die DDR-Bürgerechtlerin Freya Klier diese Dynamik – „maßregelten sie uns, weil wir zu viel mit den Kindern herum hampelten, statt uns auf den Frauenkampf zu konzentrieren. Wir dagegen behielten unsere Position und übernahmen uns wichtige Momente der Feministinnen“. Dass diese das feministische Deutungsmonopol unnachgiebig verteidigten, schwächte die gesamtdeutsche Frauenbewegung. Auf dem ersten großen deutsch-deutschen Frauenkongress Ende April 1990 knallten westdeutsche Bevormundung und ostdeutscher Pragmatismus aufeinander und schrammten knapp am Eklat vorbei. Ich erinnere mich an schäumende Empörung der Westfrauen, als die Ostschwestern vor dem Hintergrund der Abtreibungspraxis in der DDR die Beratungspflicht verteidigten. Es war auch viel Neid dabei, wenn das angebliche „frauenpolitische Entwicklungsland DDR“ kritisiert wurde. Wie in einem Brennglas bündelte sich in der Frauenbewegung das gesamte Ost-West-Dilemma.Im Februar/März 1990 hofften die UFV-Frauen noch auf parlamentarische Präsenz, wider besseren Wissens. Die ostdeutschen Grünen, mit denen der UFV am Ende in den Wahlkampf zog, waren zu wenig bekannt. Am 3. März 1990, um 9 Uhr, startete von der Berliner Friedrichstraße die Grün-Lila Karawane mit drei DDR-Kleinbussen Marke Barkas. Quotierung, flächendeckende Kinderbetreuung, Gleichstellung der Lebensformen, Recht auf Abtreibung, lautete das Programm. Am 8. März erklommen drei junge Frauen den Mende-Brunnen vor dem Gewandhaus in Leipzig, der nach einer bekannten Puff-Mutter benannt ist. Sie wollten darauf aufmerksam machen, was die Stadt den Frauen alles zu verdanken hatte. Den Frauentag indes feiern die Ost-Frauen unter sich. Im Westen hatte der 8. März wenig Tradition.Sechs Tage später und vier Tage vor der Volkskammerwahl kehrte die Wahl-Karawane nach Berlin zurück. Ihr Ziel erreichte sie nicht: Der grüne Bündnispartner – damals noch mit Matthias Platzeck als Frontmann – weigerte sich kategorisch, den Frauen auch nur ein einziges der acht errungenen Volkskammer-Mandate abzutreten. Dass Bündnis 90 mit 2,9 Prozent Stimmenanteil nur geringfügig besser abschnitt als die eigene Liste, tröstete die Frauen wenig. Ein halbes Jahr später allerdings fand sich Christina Schenk als Mitglied der Bundestags-Gruppe von Bündnis 90 in Bonn wieder. Zum Fraktionsstatus reichte es nicht.
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