Frühling für Hitler – zum wievielten Mal eigentlich?

Indien Das westliche Demokratie-Modell verliert in den aufstrebenden Ländern des Subkontinents an Überzeugungskraft. Davon profitieren autokratische Formen staatlicher Gewalt

Der beißende ­Re­frain aus Mel Brooks Film The Producers ist sprichwörtlich geworden. Aber der freche Witz hat nicht verhindern können, dass der größte Untote der Geschichte 65 Jahre nach seinem Tod im Bunker immer wieder neue Bewunderer findet. Der politische Frühling für Hitler, der manchem als Inkarnation des deutschen Übermenschen gilt, scheint unvergänglich zu sein.

Das Beunruhigende bei dieser Helden-Verehrung: Die Hitler-Liebhaber, wie sie uns seit geraumer Zeit in bizarren Reportagen begegnen, rekrutieren sich nicht aus klassischen Industrieländern, wo der Faschismus immer seine Klientel hatte, nicht nur unter sozial Deklassierten und orientierungslosen Jugendlichen. Auch nicht aus Deutschland, wo die Neonazis unter fortwährender Beobachtung des Verfassungsschutz stehen und margi­nalisiert bei den Wahlen sind. Kein Aufschrei, kein Skandal, als vor gut einem Jahr im Berliner Admiralspalast Brooks’ alter Musical-Klassiker aufgeführt wurde.

Also: relative Ruhe im Zentrum, dafür Aufruhr an der Peripherie, um in einem europazentrischen Bild zu sprechen. Ein BBC-Reporter hat jüngst aus Indien verstörende Fakten und verwirrende Meinungen zusammengetragen. Im vergangenen Jahrzehnt hat der größte Verlag des Subkontinents 100.000 Bücher von Mein Kampf verkauft. Hitler ist postum zu einem Popstar geworden, dessen Porträt auf T-Shirts, Taschen und Schlüssel-Ringen prangt. Anfällig für den Hitlerismus sind ausgerechnet junge Angehörige der westlich orientierten Eliten. Studenten und Akademiker werden mit bizarren politischen Liebeserklärungen zitiert: „Hitler verzauberte eine ganze Nation mit seiner Führungskraft und seiner eisernen Disziplin – Indien braucht seine Disziplin.“

Und so tönt es aus Indien, dem Land Gandhis und des gewaltfreien, demokratischen Widerstands? Ja, und als Erklärung reicht nicht der historische Hinweis, dass die NS-Rassenlehre den Indern einen arischen Sonderstatus einräumte, Sympathien auf beiden Seiten vorhanden waren. Hier ist etwas anderes, Grundlegenderes am Werk. Das westliche Demokratie-Modell verliert in den aufstrebenden Staaten zunehmend an Glanz und Überzeugungskraft. Lieber nehmen die neuen Eliten bei der Modernisierung ihrer Länder Rückgriff auf alte, autokratische Formen staatlicher Gewalt. Dass diese Modelle moralisch abgewirtschaftet sind, spielt bei der neuen Faszination für Diktatoren offenbar keine Rolle. Die These sei gewagt: Je weiter entfernt sich eine Katastrophe abgespielt hat, desto interessanter scheint sie auf die Betrachter zurück. Umgekehrt gelten für den westlich zivilisierten Blick auf die restliche Welt Romantisierung und Verklärung. Bewundert wird am Anderen, was man selbst verloren glaubt. Wildheit gegen Verweichlichung, Un­bedingtheit gegen Kompromiss. Hier wird aus Selbstkritik schnell Selbsthass.

Die Faszination, die ein Land wie Indien für dunkle deutsche Geschichtskapitel empfindet, spiegelt sich in der jüngsten medialen Entwicklung wider. Bollywood nimmt sich „des Führers“ an, und eine indische Schönheitskönigin spielt in Dear Friend Hitler Eva Braun. Die lange Zeit (zu Recht) weitgehend übersehene Frau hinter Hitler macht als starke, verführerische Frau späte Schlagzeilen. Ein Triumph des Feminismus? Nicht doch. Nur ein weiterer Sieg der Vergesslichkeit: Denn je weiter eine Katastrophe zurückliegt, desto weniger Schrecken geht auch von ihr aus.

Mit einigem Abstand: Warum sich in Indien junge Eliten für Nazis als Pop begeisternMichael André über eine ferne Renaissance des Hitlerismus

Michael André ist Filmdramaturg

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