Rumänien Die Regierung zog inzwischen die Eilverordnung zurück, die das Strafgesetzbuch zugunsten korrupter Politiker ändern sollte. Doch die heftigen Proteste gehen weiter
„In den Knast, nicht an der Macht!“, tönen die Sprechchöre durch die Piața Victoriei – der überdimensionierte Vorplatz der Regierungszentrale ist voller Menschen und Fahnen. Die klirrende Kälte der vergangenen Wochen hat am Samstag nachgelassen, als Sorin Grindeanu kurz vor 21 Uhr bekanntgab, er wolle „Rumänien nicht spalten“ und verzichte auf jenen Gesetzestext, der die Proteste auslöste.
Glaubwürdig ist der Premierminister für die Menschen auf dem Siegesplatz nicht mehr, die meisten fordern seinen Rücktritt und lassen jeden Abend große Marionetten in gestreiften Sträflingskluft und mit den Gesichtern führender Politiker durch die Straßen paradieren.
Im Sitzungssaal des Palasts waren auch a
Im Sitzungssaal des Palasts waren auch am Sonntag die Lichter bis in die Nachtstunden hinein nicht erloschen. Draußen wurde derweil die rumänische Variante von Fuchs, du hast die Gans gestohlen gesungen. Vor dem gegenüberliegenden Naturkundenmuseum rief eine Gruppe von Studenten, man könne den Dinosauriern gern beim Umzug helfen – ein Hinweis darauf, dass die politische Klasse als anachronistisches Fossil betrachtet wird und ausgedient hat. Profiteur PSD Kaum war sie einen Monat im Amt, da hat es die neue sozialdemokratische Regierung vermocht, einen großen Teil der Gesellschaft gegen sich aufzubringen. Trotz der heftigsten Proteste seit der Wende, an denen Hunderttausende in Bukarest und anderen Städten teilnahmen, hatte das Kabinett in der Vorwoche eine Eilverordnung verabschiedet, die zahlreichen korrupten Politikern, Beamten und Geschäftsleuten genutzt hätte. Sie sollte am 11. Februar in Kraft treten. Das in Aussicht genommene Regelwerk hätte das Strafgesetzbuch an jenen Stellen geändert, wo es sich um Tatbestände wie Amtsmissbrauch oder Vorteilsnahme handelt. Damit wäre nicht nur eine künftige Verfolgung derartiger Straftaten deutlich erschwert worden. Auch laufende Ermittlungen in mehr als 2.500 Fällen hätten eingestellt werden müssen. Und selbst Personen, die bereits rechtskräftig verurteilt waren, hätten nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Als das Mitte Januar ruchbar wurde, gingen bereits Zehntausende auf die Straße – allerdings zunächst nur an den Wochenenden. Als es dann trotzdem dazu kam, versammelten sich landesweit Hunderttausende, die kein Hehl aus ihrer Wut machten. Von der Gesetzesnovellierung besonders profitiert, hätte die Führungsriege der PSD, allen voran Parteichef Liviu Dragnea, dem die Staatsanwälte Anstiftung zum Amtsmissbrauch vorwerfen. Laut Anklageschrift sollen mehrere Angestellte des Jugendamts in Dragneas Heimatstadt Alexandria jahrelang gar nicht dort, sondern bei der Parteifiliale gearbeitet haben. Zwischen 2006 und 2013 habe der Politiker, der damals der örtliche Kreisratsvorsitzende war, die ihm unterstellte Führung des Jugendamts gedrängt, für fiktives Personal aus der öffentlichen Kasse zu zahlen. Der Vorwurf mag als Bagatelldelikt erscheinen, doch die Richter hätten sehr wahrscheinlich noch in diesem Jahr eine Haftstrafe verhängt, denn Dragnea ist bereits wegen Wahlfälschung vorbestraft und befindet sich in der Bewährungszeit. Gemäß der neuen Verordnung wäre ein Prozess gegen den PSD-Vorsitzenden abgesagt worden. MilliardenverlustZahlreiche amtierende oder frühere Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, die ihre Verwandten und Geschäftspartner begünstigt, Luxuswagen aus EU-Geldern gekauft oder Aufträge überteuert vergeben haben, wären ähnlich wie Dragnea ihre Probleme mit der Justiz los geworden. Chef-Staatsanwältin Laura Codruţa Kövesi, Leiterin der Sonderabteilung für die Bekämpfung der großen Korruption (DNA), kritisierte denn auch aufs Schärfste die beabsichtigten Korrekturen im Strafgesetzbuch, die sie arg behindert hätten. Es wird geschätzt, dass die Staatskasse ungefähr eine Milliarde Euro verloren hätte, weil laufende Verfahren eingestellt worden und Ansprüche auf Schadenersatz verfallen wären. „Dragnea, Laura wartet auf dich“ gehört mittlerweile zu den Lieblingsrufen der Straße. Die Ergebnisse, die von der DNA in den zurückliegenden Jahren erzielt wurden, gelten in den Augen der EU-Kommission und vieler Rumänen als beeindruckend. Dutzende Politiker und Beamte, darunter auch zwei frühere Ministerpräsidenten, hat die Behörde angeklagt, in den meisten Fällen bestätigten die Richter die Anschuldigungen, und es kam zu rechtskräftigen Verurteilungen. Dabei spielt Amtsmissbrauch eine wichtige Rolle, weil dieser Tatbestand sich oft einfacher beweisen lässt, als das etwa bei Bestechlichkeit oder Betrug der Fall ist. So können etwa die Staatsanwälte bereits tätig werden, wenn sie feststellen, dass ein Bürgermeister Parkbänke für 5.000 Euro das Stück gekauft hat, ohne erst zeigen zu müssen, dass hier Schmiergelder gezahlt worden sind. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass ein Strafmaß von womöglich sieben Jahren Haft „drakonisch“ und jedenfalls viel höher sei, als in den meisten anderen EU-Ländern üblich. Auch wird der DNA oft vorgeworfen, politisch motivierte Ermittlungen gegen sozialdemokratische Politiker aufzunehmen, und Vertreter des bürgerlichen Lagers zu schonen. In der Tat gerieten PSD-Mitglieder häufiger als ihre Gegner ins Visier der Staatsanwälte. Richtige Seite Der Oberste Rat der Magistraten, das Selbstverwaltungsorgan der rumänischen Justiz, zeigte sich unterdessen entsetzt über die Aktion der Regierung, und schaltete das Verfassungsgericht ein. Doch dafür wäre die Zeit womöglich zu knapp gewesen: Die umstrittensten Bestimmungen des Regelwerks wären innerhalb von zehn Tagen in Kraft getreten. Und selbst wenn sie im Nachhinein für grundgesetzwidrig erklärt worden wären, hätten sie trotzdem Anwendung gefunden, denn im Strafrecht gilt die für die Angeklagten mildeste Regelungen, falls das Strafgesetz während des Prozesses geändert wurde. Die bürgerliche Opposition drohte derweil mit einem Misstrauensantrag und dachte sogar über einen Parlamentsboykott nach. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich seinerseits „sehr besorgt“ angesichts der Entwicklungen in Rumänien. Ähnliche Zweifel äußerten auch die Regierungen und Botschaften der USA und der großen EU-Länder, darunter auch die Bundesregierung. Der Kampf gegen die Korruption müsse weiter gehen, so der Tenor, der bei den Demonstranten den Eindruck stärkte, auf der „guten, pro-europäischen Seite der Geschichte“ zu stehen, wie viele Kommentatoren betonen. Seit Rumänien 2007 der EU beigetreten ist, kontrolliert Brüssel regelmäßig die Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung – und verknüpft dieses Thema seit Jahren mit dem Schengen-Beitritt. Zwar erfüllt das Land seit langem alle Bedingungen, so dass rumänischen Staatsbürgern die Einreise oder der Aufenthalt in den Schengen-Ländern unter keinen Umständen verweigert werden darf. Aber die einfache Tatsache, dass sie trotzdem an der Grenze einen Ausweis vorzeigen müssen, hinterlässt bei vielen den Eindruck, als „Europäer zweiter Klasse“ behandelt zu werden, und funktioniert als effizientes politisches Mittel, um den internen Druck auf die Politik zu erhöhen. „Tschüss Schengen, dafür sind wir zu korrupt“, stand es auf einigen Transparenten der Demonstranten. Selbst verwickeltZu den entschlossenen Kritikern der Regierung zählt natürlich auch Präsident Klaus Johannis, der von einem „Trauertag für den rumänischen Rechtsstaat“ sprach und sich als Garant der Korruptionsbekämpfung und Held der Protestbewegung zu inszenieren versucht. Skeptische Beobachter betrachten dies allerdings nicht ohne eine gewisse Ironie, denn der Staatschef selbst ist in eine Immobilienaffäre verwickelt.
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