„Fuchs im Stall“

Interview Die Energiewirtschaft beeinflusst mit zweifelhaften Methoden die Klimapolitik, sagt Tamar Lawrence-Samuel
Ausgabe 44/2017
Alles Gute kommt zu dir zurück: Hurrikan Harvey besuchte auch Exxon-Standorte
Alles Gute kommt zu dir zurück: Hurrikan Harvey besuchte auch Exxon-Standorte

Foto: Luke Sharrett/Bloomberg/Getty Images

Wenn über Klimapolitik diskutiert und entschieden wird, reden auch die Produzenten fossiler Energien mit. Tamar Lawrence-Samuel möchte deren Einfluss begrenzen.

der Freitag: Frau Lawrence-Samuel, Exxon Mobil und Co. stehen doch gar nicht auf der Teilnehmerliste der Weltklimakonferenzen. Wie können sie dann das Geschehen beeinflussen?

Tamar Lawrence-Samuel: Exxon Mobil steht tatsächlich nicht auf der Teilnehmerliste – dafür aber die International Emissions Trading Association oder die Internationale Handelskammer. Solche Organisationen vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, und zu denen gehören zufällig Exxon Mobil und andere Konzerne.

Das heißt, Unternehmen tarnen sich als zivilgesellschaftliche Organisationen oder Thinktanks?

Genau. Diese Gesellschaften vertreten private Profitinteressen. Sie verdienen ihr Geld zwar nicht direkt, aber indirekt mit Kohle, Öl und Gas. Deswegen müssen sie von den Klimakonferenzen ausgeschlossen werden.

Die Wirtschaft argumentiert häufig, dass ihre Perspektive auf die Konferenzen gehöre, weil sie mit den dort ausgehandelten Regulierungen umgehen muss.

Würden Sie den Fuchs den Hühnerstall bewachen lassen? Die Konzerne stellen sich als Teil der Lösung dar, dabei sind sie Teil des Problems. Erstens heizen sie durch ihre Geschäftsmodelle den Klimawandel an. Zweitens wissen wir mittlerweile, dass beispielsweise Exxon Mobil seit Jahrzehnten eigene Klimaforschung betreibt, von den Risiken des Klimawandels weiß – und die Erkenntnisse nicht nur unter Verschluss hielt, sondern eine regelrechte Desinformationskampagne startete.

Was halten Sie denn von Lobbyisten der Erneuerbare-Energien-Branche auf den Weltklimagipfeln? Die sind doch Teil der Lösung.

Das stimmt. Aber auch sie sind nicht von öffentlichen Interessen geleitet, sondern wollen Profit machen. Auf den Weltklimagipfeln treffen sich Diplomaten und Politiker, um im öffentlichen Interesse zu verhandeln. Daran müssen sie nicht die Erneuerbare-Energien-Branche beteiligen, so notwendig deren Arbeit auch für den Klimaschutz ist.

Zur Person

Tamar Lawrence-Samuel leitet die internationale Arbeit der US-Kampagne Corporate Accountability, die gegen übermäßigen Einfluss großer Konzerne auf politische Entscheidungen vorgeht

Wenn Lobbyisten tatsächlich ausgeschlossen werden: Wie wollen Sie verhindern, dass dann auf nationaler Ebene mehr Lobby-Arbeit betrieben wird?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 2003 ihre Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakkonsums angenommen. Im Prinzip ist das eine ähnliche Situation: Die Tabakunternehmen können diesen Prozess gar nicht ernsthaft mitgestalten wollen, denn jede Eindämmung des Tabakkonsums bedeutet für sie ja weniger Einnahmen. In Artikel 5.3 der Konvention steht deshalb ausdrücklich, dass die Tabakindustrie keine Rolle spielen darf, wenn Gesetze gemacht werden.

Was heißt das konkret?

Niemand darf an politischen Entscheidungen beteiligt werden, der Geld im Spiel hat. Sprich: Handelsorganisationen dürfen nicht mit am Tisch sitzen, Politiker dürfen keine finanziellen Verbindungen zu entsprechenden Konzernen haben. Wenn doch Gespräche mit Unternehmen geführt werden, muss öffentlich nachgewiesen werden, dass das für eine fundierte Entscheidung zwingend notwendig ist. Das versperrt der Wirtschaft schon einmal viele Wege, Einfluss zu nehmen. Der Clou: Den Vertrag haben 180 Länder ratifiziert – sie müssen sich auch auf nationaler Ebene daran halten.

Damals ging es um eine neue Konvention. Ließe sich so eine Regelung rechtlich überhaupt noch in das Pariser Weltklimaabkommen integrieren?

Nun, vielleicht nicht in den eigentlichen Abkommenstext – aber zurzeit werden ja die Formalitäten dazu ausgehandelt, wie die Ziele des Abkommens praktisch erreicht werden sollen. Und in dem Regelwerk, das dabei entsteht, könnte durchaus auch der Umgang mit Interessenkonflikten festgelegt werden. Auf der Zwischenkonferenz in Bonn haben die Staaten erstmals offiziell über das Thema verhandelt. Es ist ohnehin dieses Regelwerk, das letztendlich darüber entscheiden wird, ob das Paris-Abkom-men wirklich historischen Wert bekommt oder nicht.

Warum?

Der Paris-Vertrag ist in diplomatischer Hinsicht natürlich ein riesiger Erfolg. Es war ein historischer Moment, als sich 2015 so viele Länder der Welt darauf geeinigt haben, die globale Erwärmung auf zwei Grad, besser 1,5 Grad, gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Kern des Abkommens sind allerdings die freiwilligen Klimaziele der Mitgliedsstaaten – und die reichen derzeit noch nicht aus. Wie man dahin kommen kann, die Ambitionen noch zu steigern, darum geht es beispielsweise auch bei der anstehenden Klimakonferenz in Bonn.

Das EU-Parlament hat angekündigt, eine eigene Delegation zu dieser Konferenz zu schicken. Unter anderem wollen die Abgeordneten einen Fokus auf Interessenkonflikte legen. Erhoffen Sie sich davon etwas?

Das EU-Parlament hat mit seiner Resolution die EU-Kommission aufgefordert, sich stärker um dieses Thema zu kümmern. Es ist zumindest ein starkes Signal, dass das direkt gewählte Organ der EU sich ausdrücklich auf die Seite der Menschen stellt und nicht auf die Seite der Verschmutzer. Ansonsten sind es übrigens vor allem die Regierungen des globalen Südens, die sich dafür aussprechen, dass der Lobbyismus auf Klimakonferenzen abnehmen muss.

US-Präsident Trump hat im Sommer angekündigt, aus dem Paris-Abkommen aussteigen zu wollen, noch sitzen die USA aber mit am Verhandlungstisch – wie hat sich Ihre Arbeit als US-amerikanische Organisation verändert?

Die USA sind zu einer laufenden und sprechenden Marionette der fossilen Industrie geworden. Auf nationaler Ebene sieht man den Effekt schon massiv: Trump hat mehr als 50 Umwelt-Regulierungen abgeschafft, zuletzt den Plan für saubere Energie, der Kernstück der US-Klimapolitik unter Barack Obama war. Es ist ein absolutes Desaster. Es gibt aber auch gute Nachrichten: Weltweit hat sich eine starke Klimabewegung formiert. Auch unserer Kampagne haben sich tausende Menschen angeschlossen.

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