„Für den Tag X“

Im Gespräch Das ehemalige Gladio-Mitglied Norbert Juretzko über die Strategie der militärischen Geheimorganisation
Ausgabe 27/2013
Juncker ist der dienstälteste Premier in der EU. Er war nicht nur Chef, sondern auch Objekt der Geheimdienste
Juncker ist der dienstälteste Premier in der EU. Er war nicht nur Chef, sondern auch Objekt der Geheimdienste

Foto: Patricia de Melo Moreira/ AFP/ Getty Images

Der Freitag: Seit wann waren Sie bei Gladio?

Norbert Juretzko: Ich fing im Herbst 1987 bei der Dienststelle 12C im BND-Dienstobjekt „Sattelhof“ in München an. Hinter der dienstinternen Abkürzung 12C verbarg sich die „Stay-Behind-Organization“, wie Gladio offiziell hieß. Unter dieser Bezeichnung hatten die Amerikaner die paramilitärische Einheit in den fünfziger Jahren von Geheimdiensten der Nato-Staaten einrichten lassen. Koordiniert wurde das ganze System vom Brüsseler Nato-Hauptquartier aus, wo das für Gladio zuständige „Allied Clandestine Committee“ saß.

Warum wählte man Sie aus?

Ich war 1984 als Bundeswehroffizier zum BND gewechselt. Ich hatte eine militärische Ausbildung absolviert, unter anderem als Einzelkämpfer. Für eine Einheit wie Gladio, die nach einem sowjetischen Überfall den Kampf gegen den Feind im Hinterland führen sollte, war ich damit gut gerüstet.

Sie waren also eine Art Partisan?

Na ja, die Realität war weit profaner. Ich weiß natürlich nicht, an welchen Operationen die deutschen Gladio-Einheiten etwa bis Ende der siebziger Jahre beteiligt waren. Zu meiner Zeit habe ich Gladio vor allem als einen Mobilmachungsapparat erlebt, der Quellen und Beschaffungshelfer für den Tag X rekrutieren und ausbilden musste.

Sie haben ein Netz von Schläfern installiert?

Ja, aber diese Schläfer waren keine potenziellen Kämpfer, sondern Teil eines Kommunikations- und Infrastrukturnetzes, das im Ernstfall aktiviert werden sollte. Wir haben über das gesamte Bundesgebiet zu meiner Zeit 104 Mitarbeiter gehabt, die von 26 BND-Führungskräften angeleitet wurden. In der Hochzeit des Kalten Krieges hatte Gladio in Deutschland 500 Mitarbeiter.

Was hatten diese Mitarbeiter zu tun?

Es gab unterschiedliche Aufgaben. Die Beschaffungshelfer etwa sollten bei einer militärischen Intervention des Gegners Informationen über die Lage im Land zusammentragen, die dann über ein Informantennetz an politische und militärische Entscheidungsträger weitergeleitet werden sollten. Verbindungs- und Weiterleitungsquellen wiederum dienten dazu, gefährdete Personen oder solche mit einem besonderen Auftrag durchs Land zu schmuggeln. Auch sollten sie für Sabotageakte vorgesehene Agenten oder Einzelkämpfer an deren Einsatzorte schleusen.

Sollten die Schläfer an diesen Sabotageakten auch mitwirken?

In begrenztem Umfang schon, aber sie sollten nie selbstständig handeln. Dafür gab es Spezialkräfte. Wir hatten den Gladio-Helfern sogenannte Dauerverstecke eingerichtet, die unter anderem eine Funkausrüstung, Deckpapiere und Geld enthielten. Im Spannungsfall wären diese Verstecke noch mit Waffen und Sprengstoff aufgefüllt worden.

Wer wurde als Gladio-Helfer angeworben?

Der Typ Erika Mustermann, ganz normale Durchschnittsbürger also. Keine Prominenten, keine Führungskräfte. Übrigens auch keine politischen Aktivisten und Extremisten gleich welcher Ausrichtung, weil die im Ernstfall gleich in den Fokus des Feindes gerückt wären. Ich habe allerdings gehört, dass Gladio in früheren Jahren zu solchen Leuten durchaus Verbindungen unterhielt.

Glauben Sie, dass das deutsche Gladio-Netz im Ernstfall funktioniert hätte?

Damals war ich davon überzeugt. Heute weiß ich aber, dass es der Osten relativ schnell ausgeschaltet hätte. Die Stasi, das kam nach dem Ende der DDR heraus, hatte schon seit den siebziger Jahren unser Gladio-Netz voll im Blick.

Das Gespräch führte Andreas Förster

Norbert Juretzko , 59, war zwischen 1984 und 1999 Mitarbeiter des BND. In zwei Büchern arbeitete er kritisch Operationen und Arbeitspraktiken des Geheimdienstes auf. In einem vom BND angestrengten Prozess wegen Geheimnisverrats wurde der Buchautor 2006 freigesprochen

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