Für den Zweifel

Unsozial Verkehrswende, ja bitte. Aber nicht von oben
Ausgabe 22/2021

Urban, akademisch, links: Manchmal fühle ich mich wie ein Klischee, etwa im Straßenverkehr. Daran nehme ich per Drahtesel teil, zum Tochter-Kutschieren gibt es ein Lastenrad. Selten nutzen wir Carsharing, um Sperrgut in den Garten zu schaffen.

Auch kulturell bin ich kein Automobilist. Die deutsche Autobahn war mir nie „Freiheit“, sondern stets Stress. Der „Fahrspaß“ ist mir fremd, den andere ob Schubkraft oder Klang von Motoren empfinden – und die Ästhetik von Karosserien lässt mich kalt. Dennoch gibt es eine Art von Kritik am Auto, die mich auf die Palme bringt.

Das fiel mir vor Jahresfrist auf, als die Straße vor meinem Haus zur Fahrradstraße wurde. Anfangs, als der Durchgangsverkehr schon verboten, aber noch möglich war, wurde es Volkssport, regelbrechenden Autos hinterherzufeixen. Demonstrativ notierte man Kennzeichen oder stellte sich gar in den Weg, um ein inbrünstiges Wortgefecht zu führen. Selbst Kinder machten das. Und abends feierte man in der Außengastronomie diesen Heroismus. Zusätzlichen Anlass fand mein Widerwille jüngst in einem Fernsehbeitrag. Darin bot eine Neuköllner Kiezinitiative in Pollerkostümen dem Auto die Stirn. Höhepunkt war eine Kontroverse zwischen einer jungen biodeutschen Aktivistin und dem türkischstämmigen Fahrer eines getunten Gebraucht-BMW. Mir ging das Messer in der Tasche auf.

Aber warum? Es ist nicht leicht, das dingfest zu machen. Im zweitgenannten Fall ging es wohl um Sprechpositionen: Zuerst belehrt die Poller-Aktive mit sichtlichem Bildungshintergrund den Autofahrer, der eher nicht nach Abitur aussieht. Etwas später sagt sie in die Kamera, dass das alles natürlich kooperativ und sozialverträglich zu gestalten sei. War ihr eingefallen, dass „lebenswertere“ Viertel teurer werden? Dass es Blickwinkel gibt, aus denen ihr ökosoziales Treiben wie eine Landnahme wirkt? Noch diese Selbstreflexion ärgerte mich. Denn unbespiegelt blieb dabei, dass es natürlich sie ist, die hier „gestaltet“. Und nicht der Typ im BMW.

Anders lagen die Szenen vor meinem Haus im „besseren“ Teil von Berlin-Kreuzberg. Hier entspann sich die schärfste von mir beobachtete Auseinandersetzung zwischen einem alternativ-akademischen Twen und einem gediegenen Mercedes-Piloten, der sein Vater hätte sein können. Der weiße ältere Herr geriet in Rage, weil jemand seine Gewissheit störte, dass ihm niemand etwas kann. Und doch blieb ich emotional auf Äquidistanz. Es stieß mir bei dem jungen Mann wohl das Zuammentreffen moralischen Rechthabens mit auch formalem Im-Recht-Sein übel auf, das jene Blockwartpraktiken adelte.

Ich bin wie gesagt kein Auto-Fan. Jene Fahrradstraße kommt mir entgegen. Mein Bauchschmerz in diesen Fällen eignet sich also als Prüfstein für die Akzeptanz von Klima- und Verkehrswendepolitik. Im Neuköllner Fall störte mich ein politischer Widerspruch: Eine weiße, bürgerliche Frau erklärt einem migrantischen Mann, er verschandle die Stadt und schädige das Klima im globalen Süden. Schwieriger ist mein Verhalten zur Causa Fahrradstraße. Hier ist mein Widerwille primär sozialästhetischer Natur. Kann ich ein solches Geschmäcklertum überhaupt noch verantworten? Gegenfrage: Verbirgt sich in meinem vagen Gefühl nicht eine politisch relevante Ahnung? Die nämlich, dass auch politisch Richtiges nicht richtig politisch werden kann, solange es Größenordnungen der Distinktion dient? Eine Position, die nicht zuletzt auch persönliche Erhebung über andere signalisiert, ist den Massen immer ein Stück weit enthoben. Es ist eben der Ton, der die Musik macht.

Politisch gesprochen: Radikalität heißt nicht, andere Parteien bei programmatischen Zielvorgaben und Agenden zu überbieten. Wichtiger ist, solche Ziele längerfristig in eine populäre Haltung zu übersetzen, damit der Wandel wirklich „von unten“ kommt. Analog zum emissionsarmen Verkehr wird ja auch der Veganismus seine Klimawirkung erst dann entfalten, wenn er nicht mehr auf Appellen und Gewissensbissen fußt, sondern den Burgerbudengeschmack bestimmt. Leicht ist das nicht. Aber das hat ja niemand behauptet.

Info

Lesen Sie hier eine Widerrede von Timo Daum auf diesen Artikel

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Velten Schäfer

Redakteur „Debatte“

Velten Schäfer studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Afrikanistik in Berlin und promovierte in Oldenburg mit einer sportsoziologischen Arbeit. Nach einem Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland arbeitete er zunächst als freier Journalist. 2014 wurde er erst innenpolitischer und dann Wissenschaftsredakteur beim neuen deutschland. Anfang 2021 kam er zum Freitag, wo er sich seither im Debattenteil als Autor und Redakteur mit Fragen von Zeitgeist und Zeitgeschehen befasst.

Velten Schäfer

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden