Ist die deutsche Filmbranche bereit, sich an ihren Filmen messen zu lassen?
Foto: Westend61/ImAgo
Kino kann begeistern, verbinden, anregen, die Welt in Frage stellen und uns selbst gleich mit. Doch in Deutschland ist das Kino wirtschaftlich und künstlerisch tief gespalten: Herausragende Filme gibt es in beiden Bereichen zu wenige, stattdessen zieht sich ein Graben zwischen Kunst und Kassenschlager, unter dem Innovationen stark leiden. Kulturstaatsministerin Grütters hat nun einen „Diskussionsentwurf“ des neuen Filmförderungsgesetzes vorgelegt. Diskussionsstoff gibt es in der Tat. Es steht aber zu befürchten, dass ein Streit über das Klein-Klein der Paragrafen ausbricht – immerhin finden sich im Entwurf mehr als doppelt so viele Paragrafen als bisher. Dabei ist das Grundsätzliche noch immer nicht geklärt: Ist die deutsche Filmbranche
he bereit, sich an ihren Filmen messen zu lassen und ihre Zahlen offenzulegen?Wenn wir es ernst meinen mit der Reform und dem Wunsch nach einer vielfältigen Filmlandschaft, dann muss sich das Kino von seinen Abhängigkeiten emanzipieren: von Fernsehsendern, der überbordenden Bürokratie des Antragswesens und einseitig besetzten Gremien mit, wenn überhaupt, einer Minderheit an FilmemacherInnen. Der Entwurf der Kulturstaatsministerin, die Vergabegremien der Filmförderungsanstalt radikal zu verkleinern, geht grundsätzlich in die richtige Richtung, macht es an der entscheidenden Stelle aber sogar schlimmer: Zwar soll der Vorschlag den Einfluss von Verbandsvertretern und Proporz-Geschachere eindämmen, gleichzeitig würde er die Macht von Funktionären und Juristen stärken. Das kann nicht im Interesse des Kinos sein.Transparenz und VertrauenBrauchen Kreative allen Ernstes staatliche Stellen und Anstalten öffentlichen Rechts, die vorgeben, besser als FilmemacherInnen zu wissen, wie Filme zu sein haben? Im Gegenteil: Sie brauchen UnterstützerInnen, die verstehen, welche Freiheiten und welche Rahmen für die Kreativität förderlich sind. Es wird immer wieder offenkundig, dass Vielfalt verhindert wird und gegen den Willen von KünstlerInnen das Niveau abgesenkt wird. Dem darf die Filmförderung nicht länger Vorschub leisten. Unabhängigkeit im Geist und in der Struktur soll dem Kino einen neuen Atem und der Förderung eine branchenübergreifende Legitimität verleihen. Künstlerische und wirtschaftliche Wagnisse müssen künftig angemessen belohnt werden, denn nur dann kann sich das deutsche Kino nachhaltig das Interesse seines Publikums sichern. Die Förderung muss daher auch offen dafür sein, das zu unterstützen, was sich nicht bereits im Vorhinein als bewährtes Rezept die Finanzierung durch den Fernseh- und Verleih-Markt sichern konnte.Gleichzeitig dürfen nicht neue inhaltliche Vorgaben entstehen, denn die Filmförderung hat nicht den Auftrag, Filme für die politische Repräsentanz Deutschlands entstehen zu lassen. Eine selbstbewusste und offene Gesellschaft, der Kultur am Herzen liegt, tut gut daran, die Selbstverwaltung der Kunst zum Prinzip zu erheben.Bisher regiert in Deutschland ein Geflecht an wirtschaftlichen Maßnahmen, die am Erhalt der Branche, aber nur an diffusen Evaluierungen interessiert sind. Das spielt den Kritikern in die Hände. So richtig und wichtig sie sind: Standortfaktoren, die auf das Hier und Jetzt von Arbeitsplätzen, Nachwuchsausbildung und die regionale Bindung der Branche ausgerichtet sind, müssen erweitert werden um eine mittel- und langfristige Strategie. Die Investitionen sollen es den FilmemacherInnen erlauben, freier zu denken, fairer zu wirtschaften und dabei die Zukunft im Blick zu haben. Das Filmförderungsgesetz kann und muss dafür die notwendigen Impulse geben.Die Grundlage für all das ist Ehrlichkeit. Die richtigen Signale kann die Filmförderung nur senden, wenn sie die Mittel nicht weiter geheimniskrämerisch verwaltet, als sollte bloß niemand die Zahlen unabhängig evaluieren. Auch der Diskussionsentwurf der Beauftragten für Kultur und Medien sieht nur vorsichtige Schritte in dieser Hinsicht vor. Dabei gibt es ein einfaches Mittel für Transparenz, das in Frankreich längst erfolgreich praktiziert wird: ein zentrales Filmregister, bei dem öffentlich geförderte Produktionen alle ihre Verträge hinterlegen müssen, die somit Details über Gesamtbudget, Beteiligungen von Sendern und Koproduzenten sowie Arbeitsbedingungen offenbaren. Es ist ein Skandal, dass sich das bisherige Gemauschel so lange hat halten können.Neues ReferenzsystemDabei ist Transparenz nicht nur zeitgemäß, sondern auch dringend nötig. Denn egal wohin man blickt, kein Teilnehmer der Branche ist bereit, mit konkreten Zahlen zu hantieren: Wenn die Produzentenallianz vorrechnet, wo der Umsatz von Besuchermillionären landet und weshalb Rückflüsse an die Filmförderungen oftmals ausbleiben, dann geschieht dies ausschließlich auf Grundlage von „Durchschnittswerten“, die keinen Produzenten und keinen Verleiher schlecht dastehen lassen. Ehrlichkeit sieht anders aus. Erst detaillierte Aufschlüsselungen der Zahlen werden erkennen lassen, wie wirtschaftlich die sogenannte wirtschaftliche Förderung tatsächlich ist – nämlich im Verhältnis zur gesamten Investition. Wenn die Filmförderungsanstalt es ernst meint mit ihrem Ansatz, den marktwirtschaftlichen Erfolg, der das deutsche Kino befördert, zu belohnen, dann darf sie sich nicht länger hinter Betriebsgeheimnissen verstecken. Auch wenn es manchen schmerzen wird, den deutschen Film als Ganzes wird es stärken.Transparenz ist aber nur der notwendige erste Schritt. Auf dessen Grundlage gilt es, ein kluges und flexibles System aufzubauen, das das Potenzial freisetzt, das in Deutschland regelmäßig versandet. Zu oft und zu lang müssen Regisseurinnen und Regisseure wie Anfänger ihre Qualifikation unter Beweis stellen. Zwischen der breit aufgestellten Nachwuchsförderung und der Förderung bereits etablierter FilmemacherInnen muss eine Brücke gebaut werden. Dafür gibt es einen einfachen Schlüssel: Vertrauen in die FilmemacherInnen. Vertrauen ist in kreativen Prozessen schließlich das A und O – weil es darum geht, Visionen zu entwickeln und für die Zukunft, also ins Unbekannte hinein zu produzieren. Die richtige Förderkultur kann hier – wie es in der Fernsehkultur der öffentlich-rechtlichen Anstalten früher selbstverständlich war – Wunder bewirken, weil sie die so wichtigen Signale dafür setzt, was im Kino möglich ist.Ein den Kreativen zugewandtes System sollte zusätzlich zur bewährten Projektförderung verschiedenen FilmemacherInnen und Kollektiven freie Produktionsmittel für mehrere Jahre zur Verfügung stellen – wie es beispielsweise das National Film Board in Canada sehr erfolgreich macht. Ergänzend muss ein umfassendes kulturelles Referenzsystem aufgebaut werden, das an die Stelle der bisher sehr selektiven Festival- und Auszeichnungsliste einen breiteren Ansatz verfolgt, der auch den veränderten Rezeptions- und Verbreitungswegen Rechnung trägt. Immerhin entwickeln Kultfilme oft erst über Jahre und Jahrzehnte ihre Wirkung, ihre Reputation und ihren – auch wirtschaftlichen – Erfolg.Es ist viel zu tun, keine Frage. Es ist aber vor allem eine Chance: Denn die Filmförderung kann einen entscheidenden Beitrag zu einer lebendigen, vielfältigen und erfolgreichen Filmlandschaft leisten. Gefordert ist eine langfristige Vision, Durchhaltevermögen und viel Vertrauen in die FilmemacherInnen. Ich bin überzeugt davon, dass sich das Kino in Deutschland dann frei, fair und nachhaltig entwickeln wird und wir uns wundern werden, was mit dem richtigen Ansatz und den richtigen Maßnahmen alles möglich ist. Das Kino verdient es und die FilmemacherInnen auch!Placeholder authorbio-1
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