Für immer Kind

Komödie 20 Jahre nach ihrem Erfolg sind Jim Carrey und Jeff Daniels wieder „Dumm und dümmehr“ – oder noch
Ausgabe 46/2014

Darf man die eigene Leiche fleddern? Nur zu. Harry (Jeff Daniels) und Lloyd (Jim Carrey) fleddern, was immer ihnen gefällt. Sie gehen über Leichen, sie mögen den Spaß je gröber, je lieber, und je augenblicklicher die Erfüllung, desto größer ist ihr Gefallen. Sie kennen keine ethische Richtschnur, weil sie nie aus der Phase des Wunschprinzips in jene des Realitätsprinzips gelangt sind, in der unsereiner seinen mühsamen Alltag verbringt. Harry und Lloyd sind dumm und dümmer, aber wir haben sie uns als glückliche Menschen vorzustellen: Sie stecken fest in einer ewigen Infantilität und wandeln so als Verfremdungseffekt durch eine Welt, von der sie wenig begreifen, in der sie ohne Arg manches zerstören, ohne dass sie dabei ihre Unschuld verlieren: Was Schuld ist, wissen sie nicht.

Dumm und dümmer war 1994 eine Blaupause jenes Lowbrow-Humors, der seither in Hollywood dominiert. Jim Carrey gab ihm eine Knautschzone als Gesicht, Peter und Bobby Farrelly schmierten Cameron Diaz Sperma ins Haar und führten auf so unerschrockene wie oft genug intelligente Weise den Hollywood-Humor in zuvor wenig erforschte Zonen der Geschmacklosigkeit. Die Traditionslinie reicht vom frühen Stummfilm-Slapstick über Jerry Lewis zu Jim Carrey und hat mit Screwball und Sophistication nichts zu tun. Nicht Witz, sondern Stumpfheit ist hier die Waffe, die Komik verdankt sich nicht der subtilen Gagkonstruktion, sondern dem brutalen Übertrampeln von Grenzen des Geschmacks. Die Komik-Erfolgsmodelle Adam Sandler und Judd Apatow haben sich, auf ihre je eigene andere Art, in den so erschlossenen Territorien eingerichtet. Ihr Forschungsinteresse ist aber anders gelagert als bei den Lowbrow-Radikalinskis Bobby und Peter Farrelly.

Deren Erfolgskurve zeigt freilich seit einer Weile nach unten. Sie gingen zuletzt mit einer Hommage an die Stummfilmprimitivisten The Three Stooges sehr tief und ohne größere Resonanz ins Komikarchiv. Auch Jim Carrey ist von seinen Glanzzeiten weit entfernt. Die Propheten gelten im eigenen Land nicht mehr viel. Was lag da näher als die popkulturell problematischste und zugleich einträglichste Form der Kapitulation der Zukunft vor der Vergangenheit: Karriere im Arsch, also eine Reunion im Sequel. So kehrte man nach 20 Jahren zu Dumm und dümmer zurück, einem Film, der in der Zwischenzeit zu so etwas wie einem Klassiker gereift ist. Umso mehr, als die Sorte Humor, die ihn ausmacht, inzwischen so allgegenwärtig wie darum auch tot ist.

Einerseits ist Dumm und dümmehr durchaus konsequent: Harry und Lloyd haben sich in der Zwischenzeit null weiterentwickelt; dumm bleibt dumm, da helfen keine Pillen. Alles, was Plot ist – irgendwas mit Nieren, möglicher Tochter, Wissenschaftlerkongress –, dient nur als Bühne für halbletal und totalfäkal orientierte Torheit. Auf folgerichtige und manchmal nur gerade noch so komische Weise geht es nun um körperlichen Verfall, Altern und Tod. Andererseits liegt gerade darin das metathematische Eingeständnis, dass alle Beteiligten im Museum ihres längst nicht mehr frischen Erfolgs unterwegs sind.

Das Problem ist nicht, dass Harry und Lloyd mit 50 noch sind, was sie mit 30 schon waren, nämlich ganz und gar infantil. Das Problem ist vielmehr: In Wahrheit wird die eigene Leiche gar nicht gefleddert, sondern einbalsamiert. Bis ins letzte Detail von Ausstattung, Referenzen und Gags inszeniert sich das Sequel als Hommage an das Original. Damit aber wird der Wiederholungszwang des Infantilen, der als Verfremdung der Wirklichkeit einst einen verstörend komischen Effekt gemacht hat, zum Formprinzip der eigenen Komik – und damit zur Pathologie nicht der Helden, sondern der Form. Wo Anarchie war, sind nun alte Säcke. Das ist vielleicht der Lauf der Welt. Aber schön ist es nicht.

Dumm und dümmehr Bobby und Peter Farrelly USA 2014, 11o Minuten

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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