Achsenbruch Frankreich hat massive wirtschaftliche Probleme, ein Kunjunkturschub ist nicht in Sicht. Am Umgang mit diesem Land könnte sich das Schicksal des Euro entscheiden
Zum zweiten Mal seit 2009 ist Frankreich in der Rezession gelandet, sein Export schrumpft, seine Handels- und Leistungsbilanz ist negativ, die Staatsverschuldung steigt auf über 92 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) trotz Sparpolitik. Kein Wunder, dass sich die Arbeitslosigkeit mit über fünf Millionen Betroffenen (11 Prozent) rapide dem Rekordniveau von 1997 nähert, während die Jugendarbeitslosigkeit mit 26,5 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt (s. unten). Nur Deutschland ist fürs Erste haarscharf, mit einem Wachstum von 0,1 Prozent im Vergleich zum IV. Quartal 2012, an einer Rezession vorbeigeschrammt. Und das auch nur dank des plötzlichen Umschaltens von Angstsparen auf Angstkonsum.
Die unheilvolle Kombination von Deflation – ausgel
; ausgelöst durch eine Austeritätspolitik in fast allen Euro-Staaten – und Inflation – verursacht durch eine Geldpolitik der EZB, die Banken mit Billigkrediten zuschüttet – hat zu neuer Stagflation geführt. Das heißt, es gibt eine Stagnation in der „realen“ Ökonomie und einen Preisboom bei Immobilien und Finanzanlagen, besonders Aktien. Die deutsche Kanzlerin tut in dieser Lage, was sie perfekt beherrscht, sie wartet ab und auf den nächsten EU-Gipfel Ende Juni, der ihr im Januar während des Davoser Weltwirtschaftsforums angekündigtes Lieblingsprojekt, den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, absegnen soll. Damit wäre das Austeritätsregime samt Schuldenbremse für die gesamte EU festgeschrieben, alternativlos und unumkehrbar. Keine Überraschung, wenn sich mancherorts nationale Fluchtreflexe regen.Da war es schon viel, dass François Hollande vor Tagen den Versuch unternahm, die deutsch-französische Achse wieder zum Laufen zu bringen. Er offerierte unter dem Label einer europäischen Wirtschaftsregierung Angela Merkel erneut eine Kehrtwende, bei der es Kooperation statt Konkurrenz und Beschäftigungspolitik statt Schuldenabbau geben soll. In Frankreich kippt die Stimmung dramatisch, die einst europafreundlichen Franzosen geben sich derzeit euroskeptischer als die Briten. Nur mehr 41 Prozent erwarten noch „etwas Gutes von der EU“.Gescheiterter HoffnungsträgerPräsident Hollande ist mit einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung und einer klaren Majorität im Senat ein mächtiger Mann. Die deutsche Kanzlerin kann von dieser Machtfülle nur träumen, doch nützt sie dem Sozialisten im Elysée-Palast eher wenig. Frankreich, das Land, in dem der moderne Staat und die Nation erfunden wurden, ist keine Nationalökonomie mehr und muss einer eigenen Finanzpolitik abschwören. Ob Hollande seine Wahlversprechen erfüllt, entscheidet sich in Brüssel ebenso gut oder schlecht wie in Paris. Als Hoffnungsträger der Linken wollte dieser Präsident eine Trendwende im Euro-Krisenmanagement bewirken und Merkels Fiskalpakt neu verhandeln. Erreicht hat er ein als „Europäischer Wachstumspakt“ deklariertes Zusatzprotokoll, dessen Finanzmasse für einen wirksamen Konjunkturimpuls in der Eurozone von Anfang an lächerlich war. Hollande wollte die explodierende Jugendarbeitslosigkeit aufhalten und die seit Jahren fortschreitende Deindustrialisierung umkehren, die sein Land seit 2003 etwa 750.000 Arbeitsplätze gekostet hat. Zudem sollte es einen stabilisierten Haushalt geben, um sich wieder für ein im Januar 2012 eingebüßtes AAA-Spitzenrating zu empfehlen.Anders als in der Währungsunion üblich wird das französische Budget 2013 mehr durch erhöhte Steuern (ca. 20 Milliarden Euro) und weniger durch gekürzte Ausgaben (ca. zehn Milliarden) saniert. Hollande folgt damit nur zum Teil den Ratschlägen der von ihm selbst eingesetzten Kommission unter EADS-Chef Louis Gallois und verweigert sich dem von der EU-Kommission gewünschten „Wettbewerbsschock“. Es kommt daher zu keiner radikalen Abkehr von der bisherigen Lohnpolitik, die Produktivitätszuwachs auch an die Beschäftigen weitergibt, und zu keinem Bruch mit dem bisherigen Arbeitsmarktregime. Stattdessen werden die Unternehmen steuerlich entlastet und die Abgaben für Vermögensbesitzer wie „Bestensverdiener“ (Reichensteuer) gestreckt. Strukturreformen nach dem Muster der Agenda 2010 in Deutschland, die nach geltender neoliberaler Dogmatik die entscheidenden sind, bleiben für Hollande obsolet. Sollte sich eine sozialistische Regierung dazu durchringen, würde sie sich selbst verleugnen und mit vielen Traditionen und sozialen Institutionen des Landes brechen. Kein Präsident der Linken kann so mit den Gewerkschaften oder der eigenen Partei umgehen, wie sich das einst Gerhard Schröder gegenüber dem DGB und der SPD geleistet hat. Für das Euro-Krisenmanagement heißt das, Frankreich kann nicht wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Zypern behandelt werden. Die Grande Nation und ihre Ökonomie sind ein paar Nummern zu groß für jeden Rettungsschirm und jede Troika – nicht nur „too big to fail“, sondern auch „too big to save“. Gleichsam gilt, ohne Frankreich geht nichts in der Eurozone – gegen Frankreich schon gar nicht.Es sei denn, man riskiert den Euro-Ausstieg von Ländern Südeuropas, inklusive Frankreichs. Für Deutschland mit seiner in extremer Weise auf den Export ausgerichteten Produktionsstruktur (der Anteil des Außenhandels am BIP liegt heute bei mehr als 50 Prozent und ist mit der Währungsunion weiter gestiegen) würde das harte Anpassungen heraufbeschwören.Insofern gibt es die Option: Frankreich dem Austeritätskurs unterwerfen, tiefer in die Rezession stoßen und damit eine politische Stimmung erzeugen, die das Währungssystem für sozialen Abstieg verantwortlich macht und zum nationalen Ausstieg drängt. Naiv zu glauben, der Weg in die Euro-Union sei unumkehrbar.Achsenschwester in BerlinUnd es gibt die Alternative: eine von Paris ausgehende andere Europapolitik der solidarischen Integration, der Konvergenz statt Divergenz, eines harmonisierten statt radikalisierten Wettbewerbs in der Eurozone sowie einer koordinierten Fiskalpolitik. Im Umgang mit diesen Positionen – man könnte auch sagen, im Umgang mit Frankreich – entscheidet sich das Schicksal der Gemeinschaftswährung.François Hollande sieht sein Land ausdrücklich als Vermittler zwischen Nord- und Südeuropa. Von einer Südeuropäischen Liga unter französischer Führung ist hingegen keine Rede. Schließlich zählten Franzosen – man denke an Jacques Delors, von 1985 bis 1995 Präsident der EG-Kommission, oder Valéry Giscard d‘Estaing, von 2001 bis 2005 Präsident des EU-Verfassungskonvents – jahrelang zu den inspirierenden Ideengebern der Union. Paris sollte sich durch eine von nationalen Egoismen geprägte Politik nicht beeindrucken lassen. Schließlich kann Hollande der Achsenschwester in Berlin zur Abwechslung ein paar Reformen für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft vorschlagen, die den Deutschen und dem Euro nützen würden. In Frage kämen eine 35-Stunden-Woche oder ein flächendeckender Mindestlohn wie in Frankreich, eine effektive Familienpolitik, die berufstätigen Müttern tatsächlich hilft und zwar flächendeckend. Nicht zufällig hat Frankreich eine höhere Geburtenrate und Frauenerwerbsquote als Deutschland, und das nicht dank prekärer, sondern vollwertiger Jobs.Angela Merkel wartet auf den Ausgang der Bundestagswahl im September. Bleibt ihr das Amt erhalten, könnte danach ein Kurswechsel fällig sein, sofern sie ihren Leitspruch ernst nimmt: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Man wird ihr mehr denn je entgegenhalten: Europa ist wichtiger als ein Euro, wenn der zum Opfer ideologisch gefärbter Vorstellungen über die Wirtschaft und die EU zur Arena eines Wettbewerbs zwischen den Nationen wird, bei dem es Verlierer geben muss. Sollte eines nicht fernen Tages Frankreich unwiderruflich dazu gehören, wäre es mit einem vereinten Europa vorbei.
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