Heilige Kühe werden in einer Krise wie dieser reihenweise geschlachtet. So hat Finanzminister Olaf Scholz die schwarze Null und die Schuldenbremse fürs Erste entsorgt. Nun fällt sogar die geheiligte Konditionalität, die im Grundsatz aller bisherigen Euro-Rettungspolitik bestand: Gelder gibt es nur gegen Auflagen, was stets auf „Reformen“ nach neoliberalen Rezepten hinauslief. Jetzt steht ein Kreditpaket von 500 Milliarden Euro vor allem aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Aussicht, von dem sich mutmaßlich ohne Gegenleistung profitieren lässt. Italiens Regierung scheint dem nicht vollends zu trauen und verzichtet laut Premier Conte auf ESM-Zuwendungen von 39 Milliarden Euro.
Nach dem vorösterlichen Verhandlungsmarathon
gsmarathon hatten die Pragmatiker unter den EU-Finanzministern mit den gefundenen Regelungen einen kleinen Sieg errungen. Dank Mario Centeno, dem Eurogruppenchef, auch dank Scholz. Wenn die ESM-Kredite fließen, soll das derzeit allein an die Bedingung gebunden sein, sie für Gesundheitskosten zu verwenden, die sich direkt oder indirekt aus der Pandemie ergeben. Hinzu kommen Zuschüsse der Europäischen Investitionsbank und ein teilweise kreditfinanziertes Kurzarbeitergeld, das Deutschland schlecht ablehnen konnte. Vertagt wurde der Streit über einen europäischen Wiederaufbaufonds, der nach den Vorstellungen in Paris, Rom und Madrid durch gemeinschaftliche Anleihen der Euroländer finanziert werden soll. Dagegen haben sich besonders die Niederlande – mit Rückendeckung von Kanzlerin Merkel – verwahrt. Immerhin, die Idee ist nicht tot, die Debatte erst recht nicht.Eurobonds wurden erstmals 2011 von der EU-Kommission unter dem damaligen Präsidenten Manuel Barroso ins Gespräch gebracht. Es gab eine lebhafte Debatte, die Angela Merkel mit einem kategorischen „Nein“ beendete. Kurz darauf rettete der Italiener Mario Draghi auch ihren Hals, indem er die von ihm geführte Europäische Zentralbank entgegen deutschen Vorbehalten kurzerhand zum „Kreditgeber der letzten Instanz“ erklärte. Bis heute stärkt die EZB allen Euroländern den Rücken, indem sie deren Anleihen aufkauft. Jetzt erst recht, trotz des anschwellenden Wehgeschreis aus Deutschland. Ohne viel Aufhebens davon zu machen, verfährt der ESM seit 2012 kaum anders.Die Wut weicht der EinsichtEinige Nordländer, mit den Niederlanden an der Spitze, stemmen sich mit dem Glaubenseifer, der einer besseren Sache wert wäre, dagegen. Die Ökonomenzunft wiederum ist gespalten, nicht zuletzt in Deutschland. Selbst Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), hat sein Damaskus erlebt. Vor Jahren noch wütete er gegen Eurobonds mit dem zutreffenden Argument, derartige Anleihen würden die nationale Souveränität der Mitgliedsländer einschränken. Was durchaus gewollt war. Inzwischen hält Hüther „Corona-Bonds“ für sinnvoll und notwendig, weil es dabei nicht um eine Banken- oder Staatenrettung, sondern um einen Katastrophenfall geht, den kein Land zu verantworten hat.Werden mit Eurobonds Schulden „vergemeinschaftet“, wie die Gegner in Berlin und Den Haag unverdrossen behaupten? Solche Varianten wurden 2011/12 in der Tat vorgeschlagen, beschränkt auf den Teil der Staatsschulden, der die Grenze der erlaubten 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) überstieg. Nur zwingend ist das nicht. Eurobonds lassen sich nutzen, ohne Altschulden zu ersetzen. Gemeinschaftsanleihen der Eurozone können ohne Weiteres neben den Kreditaufnahmen der Euroländer bestehen. So wie in Deutschland Anleihen des Bundes neben solchen der Länder und Kommunen existieren. Momentan spricht alles dafür, sie für große Gemeinschaftsprojekte einzusetzen, angefangen mit einem Investitionsprogramm, um einen Neustart der EU-Ökonomien nach der Corona-Krise zu sichern. Alles, was mit europäischer Klima-, Sozial-, Gesundheits- oder Verkehrspolitik zusammenhängt, kommt dafür infrage.Eurobonds sind von anderem Kaliber als herkömmliche nationale Anleihen. Schließlich bringen 19 Euroländer ein erheblich größeres ökonomisches Gewicht auf die Waagschale als der derzeit beste Schuldner, Deutschland, allein. Das ist der springende Punkt: Wer sich an Null- bzw. Negativzinsen freut, wie sie die Bundesrepublik derzeit für ihre Anleihen zahlt, fürchtet die Konkurrenz der Gemeinschaft. Eurobonds hätten auf den Finanzmärkten ein ähnliches Gewicht wie „US-Treasury Bonds“. Die Anleger würden sich darum reißen. Das hieße keineswegs, dass deutsche Staatspapiere verlieren. Nicht einmal, dass die Zinsen dafür um einige Promille steigen – oder die für Anleihen Italiens um einige Promille sinken müssten –, beide spielen nicht in der gleichen Liga wie Eurobonds. Damit würden die Euroländer an den internationalen Finanzmärkten Kapital einsammeln, das ihnen die europäischen Anleger allein nicht offerieren können. Und was dann damit geschieht, obliegt der Gemeinschaft – der Währungsunion oder der EU überhaupt. Es handelt sich eben nicht um Kredite, die einige EU-Länder anderen zukommen lassen. Folglich gibt es keine Konditionen, die Gläubigerländer Schuldnerländern auferlegen könnten. Mit den sattsam bekannten „Reformen“, den von außen erzwungenen Privatisierungen, Renten- und Lohnkürzungen wäre es vorbei.Bevor sie Eurobonds auflegen, müssten sich die Euroländer freilich auf einiges von dem verständigen, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seit Langem vorschlägt: eine gemeinsame institutionelle Form, ein gemeinsames Budget, einen gemeinsamen Finanzminister – worüber die EU-Kommission und das EU-Parlament mitzuentscheiden hätten. Dabei könnte es passieren, dass nicht mehr die wirtschaftlich stärksten oder lautesten Mitglieder das Sagen haben, sondern vielleicht eine Mehrheit, die nicht am deutschen oder niederländischen Wesen zu genesen wünscht. Mit den Eurobonds bekäme Euroland eine eigene finanzielle Hoheit, die sich von jener der Mitgliedsländer unterscheidet. Also eine partielle Teilung der Finanzgewalt wie in jedem föderativen System der Welt. Für klar definierte Gemeinschaftsaufgaben und für Katastrophen wie im Augenblick durchaus von Vorteil.
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