Eis aus Ziegenmilch ist so 2008 und Eis aus menschlicher Muttermilch (➝ Phobie) auch nicht unbedingt jedermanns Sache. Avocado, Basilikum, Gurke, Karotte, Parmesan, Rote Bohnen, Senf, Spinat – das sind die Eiskreationen dieses Sommers. Erste Reaktion: Muss das sein? Fakt ist: Bohnen sind in asiatischen Ländern seit jeher fester Bestandteil von Desserts und auch Avocados vertragen sich gut mit Zuckrigem. Doch möchte ich an einer (aufgrund der Hauptzutat deutlich teureren) Kugel lecken, die nach italienischem Hartkäse schmeckt? Vielleicht nicht unbedingt, aber natürlich geht es im knallharten Eisdielen-Wettbewerb (➝ Eisdiele) auch um Aufmerksamkeit. Und auf alle, denen eine ehrliche Kugel Stracciatella nichts mehr geben kann, wartet diesen Sommer ein richtig gruseliger Retro-Trend: knallblaues Schlumpfeis. Das ist so 2011 und passt auch farblich viel besser zum Sommerkleid als Senf. Sophia Hoffmann
Eiszeit nennt man für gewöhnlich Phasen, in denen politische Gegner ihre diplomatischen Beziehungen auf unter Null abgesenkt haben. Die Frostperioden rufen uralte Ängste über die unumkehrbare Vergletscherung der Welt auf, die nur mittels gesellschaftlicher Kraftanstrengung – vom Prager über den Moskauer bis hin zum Berliner Frühling, der mitten im November stattfand – überwunden werden kann. Erwarteten die Zeitgenossen Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich noch eine neue Eiszeit, veränderte sich mit der Erfindung des künstlichen Eises (➝ Kühltechnik) die Bewertungsskala: Die Kältetechnik versprach nun Überleben.
Nicht nur tiefgekühlte Lebensmittel, auch der kühle Habitus sicherte den in der anonymen Masse gefangenen Städtebewohner gegen die Zumutungen der Wärmezonen ab und gegen den Einfall des Mitleids. So erlebte die Eismetapher immer neue rhetorische Konjunkturen bis hin zum „eiskalten Schnitt“ während des Golfkrieges oder den Kältekult der Punkbewegung. Ulrike Baureithel
Gerade war ich mal wieder auf dem Land. Oder sagt man Provinz? Ist Land und Provinz eigentlich dasselbe? Egal. Dort jedenfalls, wo die Dinge nie retro werden können, sondern schlicht unsterblich sind, sah ich sie wieder: die Eisdielen der Vergangenheit. Sie bestanden aus oft nicht mehr als einem Fenster zur Straße. Bei warmem Wetter blieben sie den ganzen Tag geöffnet, und man musste vor ihnen eine Weile verharren, bis der Wirt, der eigentlich mit dem viel wichtigeren Bierzapfen beschäftigt war, kurz Zeit hatte, um dem Kind, das man war, ein Eis auszuschenken. Es roch stets ein wenig nach Bier, aber da die Worte Eis und Sonntag zusammengehörten wie Frühschoppen und Kirchgang, war man Teil einer höheren Ordnung. Heute bin ich eine geplagte Mutter vom Prenzlauer Berg, von der Kita nach Hause komme ich mit meinem Sohn an ungefähr 50 Eisdielen vorbei. Irgendwann kriegt er immer eins. Das Sonntagsgefühl ist mir so leider abhanden gekommen. Jana Hensel
Die großen Drei auf dem deutschen Eismarkt (➝ Nationalität) heißen Langnese, Schöller und Mövenpick. Doch es ist eine sehr ungleiche Familie, übertragen auf die Manns könnte man sagen: Langnese ist Thomas, der Kopf der Familie und Erfinder zeitloser Klassiker. Magnum, Nogger und Cornetto (➝ Granita) kennt jeder. Aber wer kennt Nucki, Caretta oder Himbi? Damit bestückt Schöller die Kioske und Kinos, denen die Langnese-Lizenz zu teuer ist. Schöller steht wie Sohn Klaus Mann im Schatten des übermächtigen Vaters, auf der vergeblichen Suche nach einer eigenen Identität. Und Mövenpick? Das wird am ehesten von Golo Mann verkörpert, dem feinen Herrn aus der Schweiz mit ausgeprägtem Sinn für Tradition. Schade nur, dass die Eisfamilie ihre Anteile schon lange an die Lebensmittelmultis Unilever und Nestlé verkauft hat. Mark Stöhr
Die schönste Gelegenheit für eine Portion Eis ist ein Frühstück. Wenig kann mir den bevorstehenden Tag so versüßen wie eine Granita al Caffé mit etwas geschlagener Sahne und einer Brioche an einem Kai in Sizilien – eigentlich nichts anderes als ein Cappuccino zum Cornetto, nur in einem anderen Aggregatszustand, aber auf den kommt es an. Denn zu keinem Zeitpunkt ist der leichte Kopfschmerz, der zu hungrig gegessenes Eis erzeugt, erfrischender als um 6 Uhr morgens, bevor die Fähre ablegt. Jörn Kabisch
Bis der Kühlschrank im ausgehenden 19. Jahrhundert seinen Siegeszug antrat, dominierte Jahrtausende lang eine Kühltechnik: In so genannten Eiskellern, unterirdischen Gruben und Räumen lagerte man im Winter Schnee und Eis ein, um im Sommer ein Kühlmittel zu haben. Andernorts holte man große Eisblöcke aus den Bergen, wie in Japan. Dort erklärte der Kaiser den 1. Juni sogar zum Tag des Eises.
Römerchef Nero höchstselbst erfand den Weinkühler. Fortan musste der Rebensaft nicht mehr mit Eis verdünnt werden, das in Stroh gelagert dem Getränk eine muffige Note bescherte. Übel rochen auch die ersten industriellen Kühlschrankgenerationen, weil sie mit beißendem Ammoniak betrieben wurden. Ersatzstoffe ermöglichten ab den 1920ern ihre Verbreitung in Privathaushalten – sie hatten allerdings auch ihre Nachteile. Den ersten Kühlschrank ohne ozonschädigendes FCKW entwickelte 1992 die sächsische Firma dkk Scharfenstein, die heute unter der Marke Foron firmiert. Tobias Prüwer
Wer schon mal eine Ratte in der Kanalisation sitzen hatte, die sich durch die Rohre Richtung Keller fräst, weiß, wie es sich anhört: Kratzeis. Ein hartes Scharren, das die Menschen im Sommer an den Winter denken lässt, wenn die Autoscheiben von Eis bedeckt sind. Und viel mehr ist Kratzeis auch nicht: gefrorenes Wasser in einem Becher mit Unmengen Zucker und künstlichen Aromen.
Auf den Markt gebracht wird es von einem Düsseldorfer Unternehmer, der damit sicherlich ein kleines Vermögen macht. Denn KratzKratzKratz ist der Sound der Busse, U-Bahnen und öffentlichen Plätze. Vor allem Teenager mit Hang zur Hyperaktivität hacken auf die Eisklumpen ein. Dabei wäre die Frage interessant, ob sie Kratzeis essen, weil sie so zapplig sind, oder ihre Zappligkeit vom Kratzeis kommt. Es enthält nämlich Azofarbstoffe, die unter dem Verdacht stehen, bei Jugendlichen zu Aufmerksamkeitsstörungen zu führen. Vielleicht sollte der Hersteller einmal über die Geschmacksrichtung Ritalin nachdenken. MS
Wer verkauft eigentlich „original deutsches Eis“? Niemand. In Deutschland werben alle mit „original italienischem Eis“. Welche Massen da wohl über die Alpen transportiert werden! In Wirklichkeit darf hierzulande jeder – auch ohne Nachweis – mit italienischem Eis werben, erklärt die „Union der italienischen Speiseeishersteller“ (Uniteis). Wer in den Verband eintreten will, muss zehn Jahre Berufserfahrung oder eine Ausbildung vorweisen. Ein italienischer Pass wird nicht benötigt. 95 Prozent der Mitglieder sind dennoch Italiener, Tendenz fallend. Uniteis repräsentiert 2.200 Eisdielen, das sind zwei Drittel von allen Eiscafés, die nicht-industriell hergestelltes Speiseeis verkaufen. Das kommt übrigens garantiert nicht aus Italien: Es muss frisch hergestellt werden – nach italienischem Vorbild. Felix Werdermann
Lady Gaga hat eine spezielle Beziehung zu Speiseeis. Als eine Londoner Eisdiele (➝ Eisdiele) eine ihrer Sorten "Baby Gaga" nannte, klagte sie gegen den Betreiber. Denn bei "Baby Gaga" handelte es sich um Eis aus Muttermilch, und das würde laut der Sängerin "Brechreiz hervorrufen". Das Eis wurde auch vom Markt genommen. Aber nicht wegen der Gaga, sondern weil geprüft werden musste, ob es gesundheitsschädlich ist (➝ Vanille). Ist es nicht und so kehrte es in einer limited edition wieder zurück, allerdings unter dem Namen "Baby Googoo".
Lady Gaga wiederum ließ den Verzehr von Eis grundsätzlich verbieten: Ab 30 Minuten vor Beginn ihrer Konzerte darf kein Eis verspeist werden. Vermutlich aus Angst vor einer neuerlichen Attacke, wurde sie doch schon einmal von einem Fan mit Kugeln beworfen. Sina Gesell
Für manche ist es ein Grund (der einzige), die DDR zurückzuwollen. Es gab dort Schoko, ➝ Vanille und Frucht – oder halbe-halbe, für 80 Pfennig. Man braucht nur Milch und Zucker für Softeis. Eigentlich. Damit es frisch und milchig (und nicht süßlich-klebrig wie bei McDonald’s) schmeckt, bedarf es aber auch spezieller Maschinen. Am Berliner Alexanderplatz standen sie in einer der letzten Softeis-Buden des Ostens (➝ Eisdiele), die mit der Rezeptur „weniger Luft, mehr Eis“ auch nach der Wende noch Touristen lockte. Bis sie dicht machte. Nun werben Café-Betreiberinnen bei eBay mit einer „Original-DDR-Softeismaschine“. Nur: Was heißt echt? Das Softeis wurde Mitte des 20. Jahrhunderts in Großbritannien erfunden, und zwar von einem Team, dem auch die spätere britische Premierministerin Margaret Thatcher angehörte. Vom Klassenfeind! Maxi Leinkauf
Chemiker hassen Vanille-Eis. Nicht, weil sie die Zutaten der üblichen Eismarken kennen, sondern weil sie als Student alle mal künstliches Vanillin synthetisieren mussten. Der gelinde gesagt penetrante „Duft“ geht nie mehr aus dem Kittel raus und macht völlig indifferent gegenüber der Frage, ob Vanille-Eis echte Vanille oder Vanillearoma, also Vanillin, enthält – lieber gar keine Vanille. Anders Verbraucher und Warentester: In Vanille-Eis muss „echte“ Vanille sein, sonst ist das Betrug – selbst wenn echte Bourbon-Vanille aus Orchideen kaum weniger Vanillin enthält als sogenannter Vanillezucker (korrekt: Vanillinzucker), den schon Oma fürs selbstgemachte Vanilleeis benutzte. Was zur Folge hat, dass es laut Stiftung Warentest schlicht kein brauchbares Vanilleeis gibt – abgesehen von einer Sorte für elf Euro pro Liter. Kathrin Zinkant
In Zeiten des 3-Sterne-Faches ist selbstgemachtes Eis die einfachste Sache der Welt. Machen Sie ein Experiment: Öffnen Sie das TK-Fach ihres Kühlschranks und nehmen Sie, was Ihnen ins Auge fällt. Vielleicht finden Sie noch etwas Spinat mit leichtem Frostpelz. Ab damit in den Mixer (ein Zauberstab tut es auch) und einen guten Schuss Sahne dazu – oder noch besser einen Becher Ziegenjoghurt und eine gute Prise Salz. Innerhalb von Minuten haben Sie eine dunkelgrüne Creme, eben Eis (➝ Ausdifferenzierung). Servieren Sie sie zu frisch gemachten Crêpes – eine tolle Sommervorspeise. Etwas konventioneller lassen sich so (also durch Zugabe von etwa 30 Prozent zimmerwarmer Flüssigkeit wie Wasser, Sahne oder Milch) auch gefrorenes Obst oder Kaffee (➝ Granita) schnurstracks in bestes Eis verwandeln. Das ist schönstes Action-Cooking. Und für den Mixer ein echter Belastungstest. JK
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