Ganz ohne Krawatte

Der Trinker Darf’s ein Beaujolais Primeur sein? Der Trinker Klaus Kosok beantwortet an dieser Stelle alle Fragen rund um den Weingenuss. Heute: die Kunst des geselligen Lebens
Ganz ohne Krawatte

Illustration: Otto

„It’s the event of the year!” Schlagzeilen solcher Art sprechen vom dritten Donnerstag im November, an dem seit 1951 der Beaujolais Nouveau in den weltweiten Handel kommt. Und sie künden vom alljährlichen Round-up elektrisierter Freaks, die sich tage- bzw. nächtelang bei Wein, Musik und Rummel um den Verstand reden, tanzen und auch trinken. Nicht umsonst nennt der Figaro den BN ein global wirksames „soziales Schmiermittel“. Der Hype erfasst mit kultischer Regelmäßigkeit Metropolen und ihre Yuppietempel genauso wie kleine Bistros auf plattem Lande, in denen sich zum Wein gern Zwiebelsuppe, Akkordeon und Chanson ge­sellen. Der Primeur findet sich „where people live in the moment and love life“, konstatiert Graffiti-Idol Mr. Kaves als Stargast der Bojo-Megaparty im mondänen Beverly Hills. Aber auch an weniger illustren Orten zelebriert man Beaujolais Nouveau Nights mit allem frankophilen Drum und Dran.

Dabei ist kein Wein der Welt so verschrien wie der BN. Selbst die Franzosen nennen ihn „malin“, einen Schelm. Der globale Schimpf ist unterdessen ebenso Standard wie das globale Fest. Zwar leert die Welt jährlich ca. 60 Millionen Flaschen Primeur, doch das, was er bietet, gilt bei vielen als Schnellschuss, gar als Zumutung, wenn zum oftmals platten Geschmack die Bescherung des finalen Kopfschmerzes hinzukommt.

Das hat damit zu tun, dass der Wein in nur sechs Wochen her­gestellt und also manches Risiko auf kurzem Wege beseitigt wird. In vielen Kellern sind Erhitzung, Enzymzusatz, Hefeimpfung und scharfe Stabilisierung die Regel, was das Produkt standardisiert, aber nicht hebt. Vor allem sein oft penetrantes Aroma von Bananen und Drops ist für Kenner alles andere als attraktiv. Häufig verdankt sich dieser Duft speziellen Industriehefen, deren Einsatz manch diskrete Note verhunzt, die Gamay-Traube und Kohlensäuremaischung ansonsten er­geben (z.B. Veilchen, Rose, Johannisbeere, Erdbeere und Kirsche).

Discounter? Winzer!

Was im November mit teils schrillen Etiketten als BN in Supermärkten, Bistros, Restaurants und Weinshops ankommt, ist oft magerer Abklatsch von Wein und als Discountware den jährlichen Klamauk nicht wert. Vermutlich sind die weltweiten Vergnügen mit dem Primeur auch nicht vinophilen Ursprungs, sondern Folgen einer unersättlichen Lust nach Entbindung vom Alltag, der manches rüde Mittel recht ist. Dabei vermag ein Beaujolais Nouveau, der gut gemacht ist, für Monate genussreich zu sein: In diesem Fall belebt er mit seiner natürlichen Leichtigkeit, jugendlichen Frische und aromatischen Transparenz, mit seinem bodenständigen Charme die eine oder andere fidele Stunde am Tisch, wohin er seinem Wesen nach gehört. Im Herbst zaubert ein solcher Wein Anklänge des neuen Jahres herbei und erzeugt so mitten in lichtarmen Zeiten lichte Augenblicke der convivialité, des geselligen Lebens.

2011 fällt ein guter Nouveau mild, dabei konzentriert und fruchtig wie selten aus. Die Trauben wurden in gesundem Zustand geerntet, und der Most durchlief eine problemlose Gärung. Um an die entsprechenden Weine zu kommen, muss man allerdings zu den Winzern selbst fahren oder einen kompetenten Händler ausfindig machen. Mit dem Sprung um die nächste Ecke und bloß zwei Euro in der Tasche wird man in der Regel nur die etwas andere Banane ergattern. Wenn sie nicht schon ausverkauft sind, sollte man sich zum Beispiel an Weinen von Descombes oder Perrin versuchen. Hat man die entsprechenden Tropfen im Glas, kann man ganz ohne Hype, ganz ohne Scham, aber mit plaisir ein Stündchen innehalten, und das, wie man im Beaujolais sagt, ganz ohne Krawatte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

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