Gasstreit freut die Atomlobby

Wunschdenken Immer wenn Russland den Gashahn zudreht, fordern AKW-Befürworter längere Laufzeiten. Auch angesichts der Bundestagswahl wittern sie Morgenluft

Kalte Wohnungen in Serbien und Bulgarien, hitzige Debatten in Deutschland. Angesichts des Erdgasstreits zwischen Russland und der Ukraine verlangen Berliner Politiker eine Renaissance der Atomenergie in Deutschland. Die Bundesrepublik dürfe nicht energiepolitisch einseitig abhängig werden, fordert der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle. Die Bundesregierung müsse daher den Atomkraft-Ausstiegsbeschluss rückgängig machen. Die CSU/CDU plädiert ohnehin für eine Verlängerung der Laufzeiten, hofiert von deutschen Energiekonzernen. Der neuerliche Gasstreit mit Versorgungsengpässen in Südosteuropa kommt der Lobby gerade recht, das Deutsche Atomforum wird sich am 4./5. Februar zu ihrer Wintertagung in Berlin versammeln. „Wenn es beim Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bleibt, werden die Risiken für eine sichere Stromversorgung Deutschlands unweigerlich steigen", warnt Walter Hohlefelder, Präsident der Organisation. "Kernenergie bedeutet eine sichere Stromversorgung und auch weniger Abhängigkeit Deutschlands. Der aktuelle Gasstreit zeigt, wie nötig auch in Zukunft ein breiter Energiemix unter Einschluss der Kernenergie ist."

Die Energiekonzerne erzielen mit ihren Kernkraftwerken außergewöhnlich hohe Renditen, können aber gegenwärtig nur im Ausland nuklear expandieren. Dort beteiligt sich etwa die Essener RWE AG an neuen Kernenergie-Offensiven, u. a. in Südosteuropa. Heftige Kritik von Umweltverbänden am Bau von RWE-Atomkraftwerken in Erdbebengebieten führt inzwischen zu Auseinandersetzungen in der Konzernspitze. Nicht weniger umstritten sind die grundsätzlichen Pläne zur atomaren Expansion: Eine RWE-Tochterfirma bereitet den Bau mehrerer Atommeiler in Großbritannien vor. Bisher sind es nur Pläne, und sie rufen die Kritiker auf den Plan. AKW-Initiativen und Umweltverbände wollen das Hotel Maritim, den Tagungsort der Lobby, demonstrativ umzingeln.

Erstmals seit 42 Jahren wurde im Jahr 2008 weltweit kein einziges neues AKW in Betrieb genommen. Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Energieversorgung ist auf unter 2,5 Prozent gesunken. Seit Jahren wird von interessierter Seite eine Renaissance der Atomenergie behauptet, um so die Atomakzeptanz zu erhöhen. Die jetzt veröffentlichte Atomkraftstatistik der internationalen Atomenergieagentur IAEA zeigt, dass dies bisher nur Wunschdenken ist. Insgesamt sind 43 Atomkraftwerke in Bau Zum Vergleich: 1993 waren 70 in Bau und 1999 waren es 36. Im Jahr 2008 wurde mit dem Bau von zehn neuen AKW begonnen: zwei davon in Russland, zwei in Südkorea und sechs in China.

In Deutschland sind offiziell 17 Atomreaktoren in Betrieb: sechs als veraltete Siedewasserreaktoren (nur ein Hauptkreislauf) und elf Druckwasserreaktoren (zwei Hauptkreisläufe). Zwei Atomkraftwerke des alten Typs – Brunsbüttel und Krümmel – standen allerdings das ganze Jahr still. Nachdem sie im Sommer 2007 fast gleichzeitig wegen externer Störungen vom Netz mussten, fand man in den abgeschalteten Anlagen Schäden an wichtigen Armaturen (Absperrschieber und -klappen). Bei beiden Anlagen war wenige Jahre vor den schwerwiegenden Störfällen die Leistung durch Umbauten im Turbinenbereich erhöht worden. Die Reparatur dieser unerwarteten Schäden gestaltet sich nach Firmenangaben sehr schwierig. Trotz des Stillstands der zwei AKW wird Deutschland im Jahr 2008 einen großen Stromexportüberschuss erzielen. Voraussichtlich etwa 20 Milliarden Kilowattstunden – so viel wie zwei Atomreaktoren produzieren.

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