Loyalität gegenüber Wladimir Putin ist seine Agenda, ein Pokerface sein Markenzeichen und das Auflaufenlassen von Journalisten Teil seiner jahrelangen Routine. Alexej Miller (60), seit diesem Jahr „Held der Arbeit“ der Russischen Föderation, ist Vorsitzender der Geschäftsführung und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates von Gazprom, dem mehrheitlich staatlichen Energiekonzern Russlands. Geboren 1962 im damaligen Leningrad absolvierte er ein Studium am Institut für Ökonomie und Finanzen im heutigen Sankt Petersburg. Zur Zeit der Perestroika unter Michail Gorbatschow war er Mitglied des Klubs „Synthese“ beim Leningrader Jugendpalast. Dort trafen sich junge Ökonomen im Umfeld des Kommunistischen Jugendverbandes Komsom
somol, um Pläne zum wirtschaftlichen Umbau der Sowjetunion zu entwerfen.Dabei ging es letztlich darum, Filetstücke der Staatswirtschaft zu profitablen Unternehmen in einer kapitalistischen Ökonomie zu machen. Anatolij Tschubais, der informelle strategische Kopf des Leningrader Klubs, avancierte ab 1992, nachdem sich die Sowjetunion selbst auflösen musste, zum Privatisierungsminister unter dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin und dessen Premier Jegor Gaidar, der die russische Ökonomie einer Schocktherapie aussetzte und Millionen Menschen über Nacht verarmen ließ. Nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine setzte sich Tschubais in den Westen ab.Das kam für Miller nie in Frage. Von 1991 bis 1996 war er im Komitee für Außenwirtschaftsbeziehungen der Petersburger Stadtregierung, um in diesem Gremium unter dem für die Außenbeziehungen der Stadt zuständigen Vizebürgermeister Wladimir Putin zu arbeiten. In jener Zeit der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals in Russland entstanden persönliche Bindungen, die später allen Belastungen standhielten. Da es Miller verstand, in dem von kriminellen Gruppierungen durchsetzten Milieu der wilden Privatisierungen die Kontrolle über Seilschaften und Finanzströme zu sichern, konnte das den nächsten Karriereschritten nur förderlich sein. Im Jahr 1996 wurde er Direktor für Entwicklung und Investitionen im Hafen von St. Petersburg. Miller behielt stets die Übersicht und blieb bis zu seinem Ausscheiden 1999 im Amt, ohne Schaden zu nehmen – anders als etwa Michail Manewitsch, der einst ebenfalls zum Klub „Synthese“ gehörte hatte. Der brachte es zwar zum Petersburger Vizegouverneur, starb jedoch im August 1997 in seinem Dienst-Volvo unter den Schüssen eines Auftragsmörders. Dass es Miller gelang, die Landungskais im Mündungsdelta der Newa auch in stürmischer Zeit unter Kontrolle zu halten, hielt ihn stets im Blickfeld Wladimir Putins. Erst recht, als der zum Jahreswechsel 1999/2000 Jelzin ablöste und zum Präsidenten Russlands aufstieg.Miller ereilt zunächst die Berufung zum Vize-Energieminister, bevor er 2001 Geschäftsführer von Gazprom wird, an seiner Seite die bewährte Hauptbuchhalterin Jelena Wassiljewa aus dem Petersburger Hafen und einige Miller-Epigonen, Männer mit randloser Brille und dem Pokerface des Chefs. Der Crew gelingt es, die von Liberalen in Parlament und Regierung favorisierte Entflechtung von Gazprom in konkurrierende Firmen zu verhindern. Virtuos versteht es Alexej Miller, Gazprom als weltoffenes Unternehmen einer modernen Marktwirtschaft zu präsentieren. „Wir lieben und respektieren unsere Kunden“, sagte er 2011 in einem Interview. Zugleich versteht er es, Oligarchen wie dem Mogul Wiktor Wekselberg den Zugang zum von seinem Konzern genutzten Pipeline-System zu versperren.Das staatliche Monopol der russischen Energiewirtschaft wird gewahrt wie ein Heiligtum, wofür es nicht zuletzt den Segen der Russisch-Orthodoxen Kirche gibt. Im September 2021 lobt Patriarch Kirill als deren Oberhaupt bei einem Gottesdienst, an dem Miller teilnimmt, den Anteil von Gazprom an der „Wiedergeburt Russlands“, einschließlich der „geistigen Wiedergeburt“. Dafür, dass Miller auch weltliche Würdigung erfährt, sorgt der Präsident. Als treuester Gasmann erhielt Miller den Orden „Für Verdienste gegenüber dem Vaterland“ in allen vier Stufen, dazu noch die nach dem zaristischen Ministerpräsidenten Pjotr Stolypin benannte Medaille.In der Präsidentenadministration wie im Gazprom-Management ist es alles andere als ein Geheimnis, dass Miller die Geschäftspolitik von Gazprom seit zwei Jahrzehnten unter vier Augen mit Putin bespricht, mal offiziell, vor laufenden Kameras, mal ohne Protokoll. Miller wusste immer, dass etwa der Gaspreis für Nachbarländer wie Belarus, die Ukraine oder Moldawien stets ein politischer Wert war. Je besser die Beziehungen der jeweiligen Regierungen zum Kreml, desto günstiger der Preis.Für Alexej Miller selbst hat sich das Kommando über eine staatskapitalistische Struktur wie die von Gazprom gelohnt. Die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazin Forbes stufte ihn im November 2012 als einen der am besten bezahlten Topmanager des Landes ein. Nach Schätzungen des Blattes verdiente Miller seinerzeit 25 Millionen Dollar im Jahr. Ein Team des inhaftierten Putin-Gegners Alexej Nawalny und der Investigativplattform „Projekt“ behauptete im Juni 2022, Miller gehöre in einem Moskauer Vorort ein luxuriöses Anwesen mit 8.500 Quadratmetern Wohnfläche, das einen geschätzten Wert von gut 240 Millionen Dollar habe. Auf dem weitläufigen Areal, so die Behauptungen, grasten teure Rennpferde. Miller hat das weder bestätigt noch dementiert. Dass er aus seiner Sicht frühzeitig auf das für ihn politisch richtige Pferd gesetzt hat, steht außer Frage.