Gebet einer Mutter

Kehrseite II Lieber Gott, ich weiß, dass ich alles falsch gemacht habe mit dem Geld. ...

Lieber Gott, ich weiß, dass ich alles falsch gemacht habe mit dem Geld.

Das hat auch die Frau von der Caritas gesagt. Leider habe ich jetzt ihren Namen vergessen, obwohl sie so nett zu mir war. "Mädele", hat sie gesagt, "du musst zuerst die Miete bezahlen und dann das Gas und den Strom, und dann musst du sehen, dass noch was auf den Tisch kommt für dich und das Kind!"

Ich habe geweint, weil ich mich so geschämt habe, wo ich es doch so fest versprochen hatte, mich um mein Baby zu kümmern. Aber die Frau von der Caritas hat mir sehr geholfen, denn sie hat gesagt, meine Mietschulden werden übernommen, damit ich und mein Gregor nicht aus der Wohnung raus müssen, und sie hat meine ganzen Kontoauszüge angeschaut.

Nur zum Schluss, als sie die letzte Abbuchung gesehen hat, da hat sie gebrüllt, ob ich denn ganz und gar verrückt geworden sei. Da hab ich wieder geweint, weil sie jetzt bestimmt denkt, dass ich eine schlechte Mutter bin, obwohl ich doch nur einen Monat säumig geblieben bin. Aber du weißt es, lieber Gott, dass ich nicht schlecht bin. Ich habe es ja Frau Gierig von der Versicherung versprochen. "Egal, was kommt, Frau Gierig", hab ich gesagt, "ich werde für meinen Jungen sorgen und immer pünktlich den Beitrag für seine Riester-Rente bezahlen!"

Wenn wir nicht schon heute anfangen, für unsere Kinder zu sorgen, dann werden sie später in die Röhre gucken. Das hat mir Frau Gierig ganz genau erklärt, und deshalb habe ich das auch ernst genommen mit den Abbuchungen.

Ich hab nur nicht verstanden, warum die Frau von der Caritas mich so angebrüllt hat, obwohl ich es ja wirklich nett finde, dass sie meine Schulden übernimmt.

Aber die Frau Gierig ist netter. Die hat lange bei mir zu Hause gesessen und mit den Fingerchen vom Gregor gespielt. Sie wird ihn bis in die Schulzeit begleiten, hat sie gesagt, und wenn er in der ersten Klasse ist, kommt sie mit der Lexikon-Reihe vorbei. Die kostet zwar über tausend Euro, aber ich kann sie auf Abzahlung kaufen, weil Frau Gierig meinen Gregor so ins Herz geschlossen hat. Ich soll nur immer schön dafür sorgen, dass die Raten pünktlich abgebucht werden können, und das mache ich auch, da kann die Frau Caritas reden, wie sie will. Selbst wenn ich mit meinem Baby ins Heim müsste, weil das Geld nicht mehr für die Miete reicht, aber eine schlechte Mutter will ich nicht sein. Amen.

Ingrid Weißbach, Schriftstellerin und Lektorin, geboren 1953 in Altenburg (Thüringen), lebt seit 1975 in Berlin. Geschieden, alleinerziehend, zwei Kinder.


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