Gebranntes Kind

Erklärungsbedarf Siegfried Scheffler, ostdeutscher Landesgruppensprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die "Chefsache Ost" in den Zeiten rot-grüner Reformpakete

FREITAG: Die Bundesregierung hat - wie das der Kanzler nennt - das größte Reformwerk der Geschichte vorgelegt. Sind Sie als Sprecher der ostdeutschen SPD-Abgeordneten so zufrieden wie der Kanzler?
SIEGFRIED SCHEFFLER: Wenn wir das auf den Hartz-Vorschlägen aufbauende Reformpaket und begleitende Maßnahmen wie die Finanzreform nehmen, waren es notwendige Schritte. Ob die Neuen Länder zu 100 Prozent davon profitieren werden, drüber müssen wir noch diskutieren.

Machen wir es konkreter. Was fordern Sie?
Es ist ja nicht unbekannt, dass besonders durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II strukturell eine Benachteilung der ostdeutschen Länder gegeben ist, weil auch bei der Gemeindefinanzreform - konkret bei der Gemeindewirtschaftssteuer - weniger Geld im Osten hängen bleibt. Hier muss man noch einmal verhandeln. Als Landesgruppensprecher Ost habe ich alle Länder bereist, um zu sehen, wo die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist. Wir haben Regionen mit 30 bis 40 Prozent Erwerbslosigkeit. Da muss es Stabilisatoren oder Hilfen geben.

Sehen Sie keinen Anlass, etwas schärfere Töne anzuschlagen? Der Landesvorsitzende der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, befürchtet ein weiteres Ausbluten des Ostens, weil die Steuerreform, also die Senkung der Steuersätze, weniger wirken wird als im Westen aufgrund der geringeren Einkommen. Auch das Arbeitslosengeld II - oder man kann auch sagen die faktische Streichung der Arbeitslosenhilfe - wird den Osten viel stärker belasten.
Da stimme ich ausdrücklich zu und habe das auch in Schreiben und persönlichen Gesprächen - gerade auch hinsichtlich der Zumutbarkeitsregeln - deutlich artikuliert. Man kann nur mit etwas drohen, wenn auch tatsächlich Arbeitsplatzangebote vorhanden sind. Bei den Zumutbarkeitsregelungen müssen wir uns noch etwas einfallen lassen. Da wird die Drohkulisse so nicht akzeptiert.

Vor zweieinhalb Jahren sagte Wolfgang Thierse, dass der Osten auf der Kippe stehe. Wo steht er jetzt?
Jetzt liegt das Reformpaket gerade zwei Wochen auf dem Tisch. Wir werden dadurch in den Neuen Bundesländern auch Verbesserungen erzielen. Dort, wo bestimmte Dinge nicht wirken - und ich sage das ausdrücklich, weil ich als Landesgruppensprecher Ost ein gebranntes Kind bin - wie etwa bei dem Job-Floater "Kapital für Arbeit" - müssen wir negative Erfahrungen zur Kenntnis nehmen und Nachverhandlungsbedarf artikulieren.

Sie erwähnen Hartz. Die anderen Maßnahmen, die auf den Weg gebracht worden sind wie Personal-Service-Agenturen und Ich-AGs haben nach einer jüngsten Untersuchung von Nürnberger Arbeitsmarktforschern so gut wie nichts gebracht.
Ich denke bei den Mini-Jobs und den Ich-AGs müssen wir die nächsten zwei, drei Jahre abwarten, ob die letztendlich wirklich positiven Zahlen auch erreicht werden. Bei den Personal-Service-Agenturen ist bislang noch nicht der große Erfolg zu verbuchen. Deshalb wollen wir ja bei Hartz III und IV noch Verbesserungen.

Ist Ostdeutschland noch Chefsache oder hat das die Bundesregierung als unlösbares Problem abgehakt?
Ich denke schon, dass es Chefsache ist und bleibt. Das zeigt sich nicht zuletzt durch die permanenten Konsultationen zwischen dem Kanzler und - ich sage das in Anführungszeichen - dem Ostminister Manfred Stolpe.

Noch einmal auf Ganz-Deutschland bezogen. Sind Sie als ostdeutscher SPD-Abgeordneter, der ja vor längerer Zeit auch eine bestimmte Vorstellung von der Sozialdemokratie hatte, einverstanden mit einem Kurs, der doch mit dem Stichwort "Sozialabbau" nicht ganz unzutreffend beschrieben ist?
So pauschal würde ich das nicht stehen lassen. Wir brauchen Reformen, um unsere Zukunftsfähigkeit zu sichern. Das ist notwendig. Damit sind Einschnitte und Härten im sozialen Netz - ich denke auch an die Gesundheitsreform - verbunden, auch müssen wir uns von Althergebrachtem trennen. Ich nenne nur das Stichwort "Subventionsabbau". Ob wir das immer alles so richtig machen, das ist eine andere Frage. Dennoch würde ich das nicht unter dem Begriff "Sozialabbau" fassen. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Land auch künftig regierbar bleibt. Um den Staatshaushalt zu konsolidieren, sind Einschränkungen notwendig.

Glauben Sie, dass die ostdeutschen Wähler 2006 so etwas honorieren können?
Wenn man das vernünftig erklärt, denke ich das schon.

Das Gespräch führte Jan-Malte Schacht

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