Gebrochenes Rohr

Kommentar Freitag-Autor Uri Avnery über den New Yorker Nahost-Gipfel und Barack Obamas zögernde und nachgiebige Politik gegenüber Israel und die Fortsetzung des Siedlungsbaus

In einem alten Sprichwort heißt es: eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Premier Netanjahu hat Barack Obama beim ersten Schritt ein Bein gestellt. Und der Präsident der USA ist gestolpert. Der Dreier-Gipfel von New York fand zwar tatsächlich statt, aber anstelle ­eines leuchtenden Erfolges der US-Regierung wurden wir ­Zeugen einer demütigenden Demonstration von Schwäche. Nachdem Obama sich gezwungen sah, den erwünschten Siedlungsstopp aufzugeben, wurde das Treffen leer und inhaltslos.

Mahmud Abbas war gegen seinen Willen dorthin gezerrt worden, doch konnte der palästinensische Führer die Einladung Obamas, seiner einzigen Stütze, nicht ausschlagen. Nun wird er dafür einen hohen Preis zahlen: Die Palästinenser, die gesamte arabische Welt haben seine Schwäche gesehen. Und Obama, der noch am 4. Juni in Kairo eine leidenschaftliche Rede an die muslimische Welt hielt, sieht wie ein gebrochenes Rohr aus. Netanjahu hat gewonnen und zwar haushoch. Er hat nicht nur gezeigt, dass er kein „Grünschnabel“ ist (ein Wort, das er ständig benutzt), sondern seinem Volk bewiesen, Obama ist nichts als ein Papiertiger. Der Siedlungsbau kann ungehindert weitergehen. Die Verhandlungen mit den Palästinensern, die beginnen werden, falls sie überhaupt beginnen, können bis zum Kommen des Messias weitergehen. Es wird nichts dabei herauskommen. Für Benjamin Netanjahu ist die Friedensgefahr erst einmal ­gebannt, mindestens für den Augenblick.

Es lässt sich kaum verstehen, wie der US-Präsident in diese peinliche Lage geraten konnte. Machiavelli sagte einmal, man solle einen Löwen nicht reizen – es sei denn, man könne ihn auch töten. Netanjahu ist nicht einmal ein Löwe, sondern nur ein Fuchs. Warum bestand Obama auf dem Abbruch des Siedlungsbaus, wenn er nicht in der Lage war, Netanjahu zu zwingen, dem Rechnung zu tragen? Bevor man solch eine Kampagne beginnt, muss ein Staatsmann das Aufgebot der Kräfte abschätzen: Welche habe ich? Welche arbeiten gegen mich? Wie entschlossen ist die andere Seite? Inwieweit bin ich gewillt, meine Macht einzusetzen? Obama hat für seine Nahost-Politik eine Menge fähiger Berater, die von einem abgebrühten und erfahrenen Diplomaten wie George Mitchell geführt werden. Wie kam es, dass sie versagten?

Das Arsenal der Druckmittel, über die Obama verfügt, ist ­unerschöpflich: von einer Drohung, vom Vetorecht bei der nächsten Palästina-Debatte im Sicherheitsrats keinen ­Gebrauch zu machen, bis zur Entscheidung, die nächste Waffenlieferung nach Israel zu verzögern. James Baker, 1992 Außenminister von George Bush sen., drohte damit, die US-Garantien für Israels Anleihen im Ausland zurückzuhalten. Das genügte, um den damaligen Premier Shamir zur ­Madrider Konferenz zu bringen. Es scheint, dass Obama nicht in der Lage oder nicht willens ist, solchen Druck auszuüben, weder im Geheimen noch hinter den Kulissen. In dieser ­Woche hat er der amerikanischen Flotte im Mittelmer sogar erlaubt, mit der israelischen Luftwaffe größere gemeinsame ­Manöver abzuhalten.

Kommentar


Uri Avnery über den New Yorker Nahost-Gipfel

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