„Gedeihen wie vor 1989“

Rumänien Im Bezirk Satu Mare setzen die cleveren Nationalisten der Partei AUR auf Protzbauten und so manches Luftschloss
Ausgabe 01/2021
Schaffe, schaffe ...
Schaffe, schaffe ...

Foto: Imago/AllOver

Immer wieder hatte ich in diesem rumänischen Bildband geblättert. Die Fotos zeigten dreistöckige Einfamilienhäuser, oft unverputzt und manchmal unbewohnt, ihre bäuerlichen Besitzer wohnten im Anbau daneben. Die meisten dieser schlichten Protzbauten standen in einer urrumänischen Auswanderergegend. Zu Weihnachten, als die vier Millionen Auslandsrumänen nach Hause kamen, fuhr ich nach Tara Oașului. Bislang hatten man dort rechtsliberal bis progressiv gewählt, doch bei der Parlamentswahl am 6. Dezember wechselten viele zur orthodox-nationalistischen AUR („GOLD“). Deren Gründer war mit einem Ladenhüter – Vereinigung Rumäniens mit Moldawien – herumgetingelt. Mit einer vor verbotenen Pilgerzügen krakeelenden Maskengegnerin landete er einen Wahlhit. AUR ist die erste Partei Europas, die dank Corona in ein Parlament einzieht, mit neun Prozent.

Iulian Câcău (25), AUR-Chef des Bezirks Satu Mare, lud mich ins Grenzdorf Tarna Mare. Seine Familie wohnte für Tage beim Schwager, der seit elf Jahren in Italien arbeitet. Ein unverputzter Neubau von normaler Größe, der erste Raum Lobby und Wohnzimmer zugleich. Darin eine weiße Festtafel, auch die hohen Stuhllehnen mit weißem Stoff überzogen. Der schmächtige Nationalist („wir sind reine Thraker und Daker“) schimpfte auf Soros-hörige „Neomarxisten“, die ungarische Minderheit und Mitbürger „aus Pakistan“. Er selbst war drei Jahre Migrant – in Wien, bei mir um die Ecke. Sein Onkel hatte „sich eine Zukunft geschaffen“ und führte ein Weingut im Burgenland. Câcău nahm wahr, dass mit dem Antritt von Kanzler Kurz Sozialleistungen strenger kontrolliert wurden. „Das hat mich gefreut, Kurz ist ein Patriot.“ Im Moment managt er ein Fruchtsaft-Franchise in Satu Mare. Ich ließ mir das Tara Oașului beschreiben. Oașaner seien die gläubigsten Rumänen und brächten ihre Musik überallhin mit. Historisch „waren wir freie Daker, lebten zurückgezogen in den Wäldern, sehr wild, seelenlos und blutrünstig gegenüber Feinden“. Auch würden Oașaner „leicht die Nerven wegschmeißen“. – „Sie auch?“ – „Nein, wir haben uns geändert.“

Haft und Verachtung

Câcău schlug immer wieder traurig kopfschüttelnd den Bildband auf. Er erkannte eine in Brüssel putzende Klassenkameradin. Eine Abschiedsszene, fotografiert vor dem Fernbus „Romania-Spania“, rührte ihn: „Das tut am meisten weh.“ Die großen Häuser erklärte er anfangs mit „den großen Familien der Oașaner“. Der Schwager und er hätten zwar nur ein Kind, dem er lieber „zwei, drei Hochschulen“ finanziere als so ein „absurdes“ Haus. Fünf bis sechs Kinder seien aber normal. Dann kreiste alles um den Begriff Stolz: „Wir sind gern stolz, die Mehrheit will das zeigen.“ Mit Blick auf eine Alte sagte er: „Sie hat bestimmt 40 Jahre im Westen gearbeitet, ihr Rücken ist hin, aber am Haus sieht jeder, wie fleißig sie ist. Oașaner haben Rumänien würdig im Ausland vertreten.“ Der ernste Jungpolitiker sah auf den Fotos, was ich nicht sah – etwa dass nur Frauen Teile von Tracht trugen, Männer nie.

Zunächst meinte ich mich verhört zu haben, dann aber lobte er tatsächlich Ceausescu. Unter „dem einzigen starken Führer, den Rumänien hatte, gab es ein sehr reiches Land“. Sie seien zwar „keine Kommunisten, wir sind pro-europäisch“, doch „soll das Land gedeihen wie vor 1989“. Sars-CoV-2 hielt er für ein „im Interesse Chinas erfundenes Virus“. Stolz zeigte er ein Foto des kleinen Sees von Tarna Mare, „das war eine Goldmine“, die unpatriotischen Regierenden behinderten die Nutzung dieses Kleinods. „Wir haben alles in diesem Land, das Schwarze Meer, Berge, Gold ...“

Als ich mein Notizheft zugeklappt hatte, setzte sich der Schwiegervater dazu. Lächelnd erzählte er von der Zeit, als die Drecksarbeit im Westen noch illegal war: Misshandlung in Eiswasser durch ungarische Polizisten, fünf Tage Haft in Österreich, Verachtung in Italien. Er saß im ärmellosen Anorak an der weißen Tafel, den legte er an den Feiertagen nicht ab. Auch Iulian Câcău ist im Herzen Gastarbeiter geblieben. AUR will die Auswanderer heimholen, „mit klaren Projekten wie in Polen“, einstweilen fehlt Câcău in Rumänien die „finanzielle Stabilität“. Sogar der Bezirkschef der aufstrebenden AUR-Nationalisten erwägt daher eine Rückkehr nach Österreich.

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