Nach dem Rücktritt Adolf Muschgs als Präsident der Akademie der Künste stellt sich für die Institution wieder mal die Sinnfrage: Wozu braucht man eine Akademie? In den letzten zwei Jahren konnte man zuweilen den Eindruck gewinnen, die einzig richtige Antwort sei: Um auf sie einprügeln zu können. Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg war der willkommene Sack, wo es eigentlich um die ungeliebte Hauptstadt Berlin ging. Das neue Akademie-Glashaus am Pariser Platz verführte dazu, über die Sinnfrage moderner Architektur zu grübeln. Ein teures urbanes Gesamtkunstwerk, aber nur schwer als zweckvoller Raum nutzbar. Die Akademie gab aber auch die Folie für Reflexionen über die noch nicht oder nur quälend vollendete Einheit und das
das lähmende Gefühl einer Gesellschaft, auf der Stelle zu treten und den Anschluss an eine gefühlte Entwicklung zu verpassen. Manche Kritik erinnerte an das hysterische Geschrei nach einem ersten Jahr deutsche Einheit, wo denn der große Wenderoman bleibe.Die Akademie durchlebte in den vergangenen Jahren en miniature alle innerdeutschen Konflikte. Dazu gehört auch der von bundesstaatlicher Einheit und Föderalismus, übersetzt in eine Künstlersozietät von sechs weitgehend autonomen Sektionen und einem Präsidenten. Der Kern der Vorwürfe des jetzt zurückgetretenen Adolf Muschg ist die Behauptung, die Direktoren der Sektionen seien reformresistent. Nun wird seit zwei Jahren nichts anders getan, als in vielen kleinen Schritten Reformen umzusetzen: Einrichtung eines koordinierenden Programmausschusses und eines kommissarischen Programmbeauftragten; ein neues Gesetz, das die Akademie in die Trägerschaft des Bundes überführt; eine neue Satzung.Als nächstes stehen auf der Agenda: die Wahl eines Programmbeauftragten; die Entscheidung, wie denn unter dem neuen Gesetz das Verhältnis vom Archiv, das bisher eine Stiftung war und Stammhaus, in dem die Sektionen ihre Programme machen, geregelt werden soll; wie das Programmangebot, das derzeit als unüberschaubarer Gemischtwarenladen mit vielen Preziosen wahrgenommen wird, zu einem Diadem geschmiedet werden kann; und wie eine Akademie als Arbeitsakademie funktionieren kann, deren Mitglieder nach ihrem möglichst weltweiten Ruhm gewählt worden sind und als Künstler viele andere Dinge zu tun haben. Last but not least: Wie passt zu dieser wünschbaren Akademie ein Präsident, der seine Funktion nur nebenberuflich ausübt und nur sporadisch in Berlin ist?Es gibt auf alle diese Fragen mehr als nur eine Antwort. Deshalb sollte feststehen: Am Prinzip eines kollegialen Föderalismus darf nicht gerüttelt werden. Eine präsidiale volonté générale, die eingeführt wird, nur um "schlagkräftig" zu sein, vernichtet den Reichtum, den sie zu schützen vorgibt. Natürlich kann die Dominanz der Eigeninteressen zu Sektionsegoismen führen. Das war in der Vergangenheit ein Problem. Aber in den drei Jahren meiner Mitgliedschaft im Senat habe ich von einer "Erbhofwächtermentalität mit Corpsgeist" (A. Muschg) der Sektionsdirektoren nichts gemerkt.Noch mal die Frage: Wozu braucht man eine Akademie? Die unbefriedigendste Antwort lieferte Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion: die Akademie solle sich vor allem auf die Ergänzung und Pflege ihrer Archivschätze konzentrieren. Damit spricht er all jenen aus dem Herzen, die von der Kunst nichts als nationale Repräsentanz verlangen. Der Widerstand dagegen eint die Mitglieder. Ansonsten ist die Diskussion offen. Ganz klar ist, dass die Künste nicht symbolisch die Probleme lösen können, vor denen die Politik sich drückt. Sie sind mehr als eine Sinnfindungsagentur für eine ratlose Gesellschaft. Die verlangt die Quadratur des Kreises: den Glamour des Symbolischen, den ein Präsident ebenso liefern soll wie auf der anderen Seite geduldige Kärrner- und Entwicklungsarbeit im Innern.Adolf Muschg hatte als Präsident mehr finanzielle Mittel und Handlungsspielraum als jeder andere vor ihm. Kein Gesetz und keine Satzung, auch nicht die Sektionsdirektoren, hindern den Präsidenten, die Impulse für das Programm zu setzen, die er sich vorgenommen hat. Dass er trotz starker öffentlicher Präsenz so wenig von den Vorstellungen verwirklicht hat, mit denen er angetreten war, ist seine persönliche Tragik. Schriftsteller sind eher einsame Arbeiter und sie halten das Wort, vor allen Dingen das schöne Wort, oft schon für die Tat.Jutta Brückner, geboren 1941 in Düsseldorf, ist Professorin für Film und Videoarbeit an der Universität der Künste in Berlin. Seit 2003 ist sie stellvertretende Direktorin der Akademie der Künste in der Sektion Film- und Medienkunst.