Geert Wilders übt Spagat

Niederlande Die Rechtspopulisten der Freiheitspartei (PVV) listen auf einer Website die Kosten der Zuwanderung auf. Gleichzeitig schärfen die Rechtspopulisten ihr soziales Profil

Es geht um die umstrittenste Website des Landes, betrieben von der umstrittensten Partei des Landes. In den Niederlanden schließt sich seit dieser Woche ein bizarrer Kreis. Einige hunderttausend Klicks verzeichnete die URL www.watkostdemassaimmigratie.nl mit der Frage: Was kostet die Massenimmigration schon in den ersten drei Tagen. Rund 1.300 Reaktionen im Diskussionsforum unterstreichen, das die Partei damit offene Türen einrennt. Hier wird denunziert, was das Zeug hält: Kriminalität, Sozialhilfebetrug, jede Art von Leistungsbezug durch Muslime, die Surinamerin aus der Nachbarschaft, die "nie gearbeitet" hat, die türkische Ex-Frau eines Rotterdamers, die als Prostituierte tätig war und ihn mit turmhohen Scheidungskosten zurück ließ. In wenigen Tagen entstand eine gigantische Online-Kantine, in der sich alle, die schon immer die einfachsten Lösungen kannten, fortwährend gegenseitig selbst bestätigen. Kein Wunder, dass ein Teilnehmer dieses virtuellen Stammtischs den Parteivorsitzenden Geert Wilders bittet, den Tag für einen "Volksaufstand" zu bestimmen.

Stabil um 20 Prozent

Die Euphorie der PVV- Gemeinde ist statistisch belegbar: seit rund einem halben Jahr verzeichnet die Partei in den Umfragen stabile Werte um die 20 Prozent. Damit liegt sie jeweils knapp vor oder hinter den Christdemokraten, die im aktuellen Parlament deutlich die größte Fraktion stellen. Auch bei den Europawahlen konnte die PVV aus dem Stand diese Marke erreichen. Seither ist ihre Strategie auf die Parlamentswahl 2011 gerichtet. Nichts weniger als regieren will Geert Wilders und zu diesem Zweck verbreitert die PVV allmählich ihr Profil. Den Alleinvertretungsanspruch der Zuwanderungsgegner unterstreicht sie mit ihrer neuen Website. Darüber hinaus punktete Wilders in den vergangenen Monaten als Verfechter der Meinungsfreiheit – und das auch im akademischen Milieu.

Seit kurzem spielt die Freiheitspartei nun auch die soziale Karte. Schon immer hatte sie die Zustände im Pflegesektor in ihrem Programm, was sich im Wahlkampf 2006 im Slogan Mehr Hände am Bett ! manifestierte. Schlagzeilen und Stimmen machte man jedoch vor allem mit Xenophobie und Islamkritik. Ansonsten wurden Steuererleichterung, Senkung der Staatskosten und Eigenverantwortung gepredigt. In Zeiten der Krise verschiebt sich dies: so unterstützte die PVV einen Antrag auf eine Supersteuer für Bezieher von Boni. Zudem schlug Wilders bereits im Frühjahr vor, zur Stärkung der Kaufkraft jedem Bürger 400 Euro auszuzahlen.

Kosten der Zuwanderung

Neuestes Profilierungsobjekt sind die Regierungspläne, das Rentenalter von 65 auf 67 anzuheben. Bis zum Monatsbeginn hatten die Sozialpartner nach einer Alternative gesucht. Mit dem Rückzug der Arbeitgeber steht dem Anstieg nun nichts mehr im Weg. Bereits im Vorfeld schlug sich Wilders deutlich auf die Seite der Arbeitnehmer: "Wir werden das niemals unterzeichnen. Wer mit uns regieren will, soll wissen, dass wir das innerhalb einer Minute rückgängig machen werden." Agnes Jongerius, Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands FNV, kündigte an, bei wichtigen Themen "notfalls mit dem Teufel" gemeinsame Sache zu machen.
Der "Teufel" hat indes einen Plan, der für die meisten Gewerkschafter kaum akzeptabel ist: damit die Rente bleiben kann, wie sie ist, sollen die Kosten für die Integration "nicht-westlicher Allochthoner" eingespart werden. "Unsere Alten können zeitig aufhören zu arbeiten, wenn wir die Grenzen dicht machen. Vielleicht behalten wir sogar noch Geld über", sinnierte der PVV- Abgeordnete Sietse Fritsma.

Der ehemalige Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde hatte den Integrationsminister Eberhard van der Laan im Juli aufgefordert, die Kosten der Zuwanderung zu veröffentlichen. Seiner Partei bescherte dies einen Medienstunt, der die gesamte Sommerpause beherrschte. Da der Minister die Antwort schuldig blieb, macht die PVV diese Frage mit Hilfe der Website nun allgemein zugänglich. Daraus ergibt sich ein pikantes Szenario mit massivem Propagandapotential: Politiker, die eine Diskussion verweigern, obwohl diese den Menschen unter den Nägeln brennt – die Blaupause für eine Konjunktur niederländischer Rechtspopulisten, zumal van der Laan als Sozialdemokrat auch noch zum Lager des Lieblingsfeindes gehört. Der PVV kommt dies umso gelegener, je mehr man mit diesem beim Thema Rente übereinstimmt.

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