Zum Amüsement der Libertins

Streaming Der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von 1782 ist ein Spiel aus Intrigen und menschlichen Abgründen. Die Serienadaption von Lionsgate+ liefert jetzt eine „origin story“ zu den legendären Libertins. Und verdreht das Thema des Originals
Ausgabe 45/2022

„Das ist keine Liebe. Sondern Krieg“, prangt als Leitspruch auf dem Promo-Bild von Gefährliche Liebschaften,der neuen Serienadaption von Choderlos de Laclos’ 1782 erschienenem Briefroman. Und obgleich in der Liebe und im Krieg sprichwörtlich alle Mittel recht sind, beschränkt sich die Protagonistin Camille (Alice Englert) hier vornehmlich auf das der kompromittierenden Korrespondenz, um sich den Aufstieg in der vorrevolutionären Pariser Gesellschaft zu sichern.

Das hat die zu Beginn der Serie noch im Bordell arbeitende, mittellose Camille ihrem Ex-Freund Valmont (Nicholas Denton) abgeschaut. Der junge Geck umgarnt adelige Damen und lässt sich von ihnen explizite Liebesbriefe schreiben, mit denen er sie später erpressen kann. Valmont sieht trotz adeliger Herkunft keinen anderen Weg für sich: Mit dem Tod seines Vaters ist das Familienvermögen in die Hände seiner Stiefmutter Ondine (Colette Dalal Tchantcho) übergegangen. Diese hat ihm nur ein paar Porzellankätzchen überlassen und ihn dazu verdammt, sich für seinen Lebensunterhalt zu verdingen.

Wer die bekannte Filmadaption Gefährliche Liebschaften (1988) von Stephen Frears gesehen oder gar Choderlos’ berühmten Roman selbst gelesen hat, wird sich über den Aufstiegsplot in der ersten Serienstaffel wundern. Zwar agieren Valmont und die Marquise de Merteuil in der Vorlage in ähnlicher Form als diabolisches Duo – aber doch aus ganz anderen Motiven. In der Vorlage haben sie es explizit auf Genugtuung und Zerstreuung abgesehen, und nicht etwa auf gesellschaftlichen Aufstieg oder finanziellen Gewinn. Als Repräsentanten des französischen Schwertadels haben sie Letzteres gar nicht nötig. Choderlos’ Thema war das Intrigenspiel vermögender Libertins und ihre scheinbare Erhabenheit über jegliche Vorwürfe der Amoralität.

Was sich als Handlung in den acht opulent ausstaffierten Folgen der Serie Gefährliche Liebschaften erstreckt, ist Showrunnerin Harriet Warner zufolge erst der Auftakt zu den Geschehnissen des Romans, gewissermaßen also die „Origin Story“ der beiden Intriganten.

In der Serie also verbündet sich Camille beim Versuch, sich an Valmont zu rächen, mit der von ihm geprellten Geneviève de Merteuil (Lesley Manville). Diese nimmt Camille unter ihre Fittiche, fantasiert ihr eine vornehme Herkunft herbei und gibt ihr klare Anweisungen, bevor sie sich selbst aus Liebeskummer in den Tod stürzt: „Räche unser Geschlecht und erobere ihres.“ Camille tut zwar weitgehend wie ihr geheißen, kämpft dabei aber auch um ihre Existenz: Früh verwaist, verlor sie als junge Frau eine Anstellung als Zofe und ist nun dem Bordell gemeinsam mit ihrer besten Freundin und künftigen Kammerdienerin Victoire (Kosar Ali) entflohen.

Diese Herangehensweise an eine Ursprungsgeschichte von Valmont und der später zur Marquise der Merteuil aufsteigenden Camille macht das, was die Vorlage klar vermieden hat: Sie zielt auf die Empathie des Publikums ab. Die Hauptfiguren sollen in ihrem Denken und Fühlen möglichst nahbar und ihre Taten verständlich erscheinen, damit wir an ihrem Schicksal interessiert bleiben. Doch diese Unterwanderung der Vorlage raubt dem Stoff auch seine besondere Strahlkraft: Das Intrigenspiel der um Aufstieg und Überleben kämpfenden Camille und Valmont ist viel weniger unterhaltsam als der selbstgefällige Zynismus der Originalfiguren. Wer die grandiose Glenn Close als machiavellistische Marquise in Frears’ Verfilmung erlebt hat, wird die Figur in der von Alice Englert bemüht, aber grobschlächtig gespielten Camille kaum wiedererkennen.

Eingebetteter Medieninhalt

Auf der anderen Seite entgeht der Serienadaption aber auch die besondere Tragik des Originals: Valmont und die Marquise haderten nicht mit ihren Taten, sondern damit, dass sie entgegen eigener Erwartungen das Menschliche in sich selbst entdeckten. Zu seiner eigenen Bestürzung entwickelte Valmont Gefühle für die Frau, die er nur zur Belustigung verführen wollte. Und die Marquise musste beim tiefen gesellschaftlichen Absturz entdecken, dass sie keineswegs über menschliche Empfindungen wie Einsamkeit und Verzweiflung erhaben ist. Das Publikum wiederum entdeckte so am Ende, dass Mitgefühl eben nicht nur den Tugendhaften und moralisch mit sich Ringenden vorbehalten bleibt – wie es diese Serie fatalerweise voraussetzt.

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