Gefälschte Fälscher

Was läuft Über ahistorische Pseudo-Trotzkisten in der ARD-Sky-Produktion „Babylon Berlin“. Spoiler-Anteil: 11 Prozent
Ausgabe 46/2017

Die ARD-Sky-Serie Babylon Berlin bemüht sich um eine historisch akkurate Darstellung. Am 1. Mai 1929 sehen wir, wie Schupos in Neukölln mit Maschinengewehren um sich ballern und unschuldige „Rote“ töten. Das mag surreal wirken, ist aber ziemlich nah am „Blutmai“.

Eine Gruppe wird hier allerdings komisch dargestellt: die Bande von Trotzkisten. Mit der beginnt die Serie, wenn ein Güterzug in der Sowjetunion entführt wird. Der Plan: Gold aus Russland zum exilierten Anführer nach Istanbul zu schmuggeln. Leo Trotzki saß im Jahr 1929 im türkischen Exil.

In der ersten Folge von Babylon Berlin lernen wir den Anführer der Berliner Trotzkisten-Filiale kennen. Der Russe Alexej Kardakow (Ivan Shvedoff) ist tags Avantgarde-Geigenspieler, dessen Gesicht auf Plakaten von exklusiven Tanzlokalen prangt. Nachts wird er zum feurigen Leiter der Gruppe „Rote Festung“, die für den Sturz des Stalin-Regimes eintritt. In einem Köpenicker Keller druckt die Gruppe Flugblätter für den 1. Mai. Auf Deutsch und Russisch: „Arbeiter! 1. Mai: Tritt heraus und kämpfe für eine Vierte Internationale und die Weltrevolution! ‚Stalin ist der Totengräber der Revolution.‘ – Leo Trotzki“

An der Wand des Kellers hängt ein Porträt von Stalin. Warum? Wenn die Gruppe die Nachricht bekommt, dass der entführte Zug erfolgreich die Grenze überquert hat, werfen die Trotzkisten aus Freude Küchenmesser auf das Bild.

Wo soll der Historiker da anfangen? Die Vierte Internationale ist im September 1938 gegründet worden. In der Romanvorlage von Volker Kutscher ist nur von „kommunistischen Abweichlern wie Trotzki“ die Rede. Die Fernsehproduzenten haben sich den unmittelbaren Trotzki-Bezug selbst ausgedacht – und trotz 38-Millionen-Euro-Budget nicht auf Wikipedia nachgeschaut.

Die „Rote Festung“ sehen wir ausschließlich beim Fälschen und Schmuggeln. Auf den glücklosen Kardakow wird immer wieder geschossen. Sein einziger politischer Satz lautet: „Mein Land ist dem Untergang geweiht. Ich muss helfen, das zu verhindern.“ Deswegen geht er einen Deal mit einem armenischen Mafiaboss ein, um das Gold doch noch zu Trotzki zu bringen.

Ein bemerkenswertes Bekenntnis, stand Stalin doch für die Theorie des „Sozialismus in einem Land“. Ihm ging es um die Interessen des russischen Staates. Die linke Opposition unter Trotzki hielt dem entgegen, dass nur das Voranschreiten der Weltrevolution die junge Räterepublik retten könne. Hätte Kardakow also Sorgen um „sein Land“ gehabt, wäre er sicher Stalinist gewesen.

Was weiß der gemeine Mensch über den Trotzkismus? In den Moskauer Schauprozessen hieß es, es handele sich um Verräter, die mit Sabotage und Terror das Sowjetregime stürzen wollten. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung wird festgehalten, dass es keine wesentlichen politischen Differenzen zwischen Stalin und Trotzki gab – hinter den Diskussionen über innerparteiliche Demokratie habe ein persönlicher Machtkampf gesteckt.

Die echte Geschichte ist dramatischer. Ein Anführer der Berliner Trotzkisten war Anton Grylewicz – ein deutscher Metallarbeiter, der mit 33 Jahren als Mitglied der Revolutionären Obleute den aufständischen Generalstreik vom 9. November 1918 mitorganisierte. Später gehörte Grylewicz zur „ultralinken“ Bezirksleitung der Berliner KPD, im März 1930 gründete er die erste trotzkistische Gruppe in Deutschland, die Linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten). Grylewicz ist keine Ausnahmeerscheinung: Der Historiker Marcel Bois hat nachgewiesen, dass die Mehrheit der Linken Opposition aus Arbeitern bestand.

Die echten Trotzkisten haben geschmuggelt, aber kein Gold, sondern Zeitungen und Broschüren. Sie waren eine externe Fraktion der Kommunistischen Internationale, die für eine Rückkehr zur ursprünglichen revolutionären Linie kämpfte. Über die Trotzkisten von Babylon Berlin erfahren wir nicht viel. Bis auf Kardakow werden alle schnell von Agenten der sowjetischen Botschaft ermordet.

Die Ironie dabei? Stalins Bürokratie hat in den 1920er Jahre Oppositionelle in den diplomatischen Dienst geschickt, um sie von Fraktionskämpfen fernzuhalten. Der damalige Botschafter in Berlin, Nikolai Krestinski, war einstiger Trotzki-Anhänger. Kleiner Tipp für weitere Staffeln von Babylon Berlin: Ein trotzkistischer Historiker als Berater wäre sehr billig zu haben. Ich kenne sogar jemanden.

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