Gefälligkeitsschmus

PRESSEFREIHEIT Die Ökonomie und das Elend der Kritik

Wer gelegentlich oder beruflich Rezensionen wissenschaftlicher Veröffentlichungen liest, kennt das: So viel Freundlichkeit findet man nur hier. Glaubt man dem verhaltenen bis euphorischen Lob, das da gespendet wird, könnte man zur Ansicht gelangen, unsere akademischen Institutionen seien mit Genies gesegnet und die Wissenschaft mache tagtäglich gewaltige Fortschritte.

Die nüchterne Wahrheit lautet: Die "scientific community" ist überschaubar. Man kennt sich. Und man möchte schließlich dem Herrn oder der Dame, deren Buch man besprochen hat, beim nächsten Kongress in die Augen sehen können. Wissenschaftler sind gemeinhin nicht konfliktfähiger als der Rest der Bevölkerung. Opportunismus ist an den Universitäten keine unbekannte Eigenschaft.

Nun kann man das verzerrte Bild, das durch die Masse der Gefälligkeitsrezensionen entsteht, noch unter der Rubrik "menschliche Schwächen" abbuchen. Skandalös wird es, wo - gar nicht so selten - jüngere Wissenschaftler Publikationen besprechen, von deren Autoren sie unmittelbar oder mittelbar abhängig sind, etwa weil diese in Kommissionen sitzen (könnten), die über die Berufung eben des Rezensenten entscheiden. Die Schamlosigkeit solcher vorauseilenden Schmeichelei, für die das schöne Wort "Schleimscheißerei" fast ein Kompliment ist, wäre Grund genug, den Rest von Prestige zu zerstören, den die akademische Zunft noch genießt.

Auf einer trivialen Ebene hat diese Zerstörung von publizistischer Moral durch Abhängigkeit freilich seine alltäglichen Entsprechungen. Seitdem fast jede Tageszeitung Restaurantkritiken veröffentlicht, ergießen sich die einschlägigen Fachzeitschriften mit berechtigtem Spott über den Dilettantismus von Journalisten, die mit wenig Kenntnissen und übrigens auch begrenztem Wortschatz ihre Spesenausflüge zu beschreiben versuchen.

Diese Fachzeitschriften haben freilich ein Territorium zu verteidigen. Und vergleicht man ihre Wertungen mit jenen der Tageszeitungen, fällt wiederum der überwiegend euphorische, zumindest aber unkritische Ton auf, den nur einige wenige Stars, deren Markenzeichen das Nörgeln ist, durchbrechen dürfen. Das macht: die Fachzeitschriften sind, anders als die Tageszeitungen, von der Gastronomiewerbung abhängig. Man vergrault sich keinen Betrieb, der regelmäßig kostspielige Anzeigen platziert.

In der Tagespresse wiederum sind die Auto- und Reiseredaktionen Horte der Bestechlichkeit. Wer dieses Wort für brutal hält, überprüfe einmal, wie oft Reiseveranstalter mit der nötigen Kritik bedacht werden, die zu attraktiven Reisen einluden und im gleichen Blatt Anzeigen veröffentlichen. Mir ist sogar ein Fall bekannt, in dem ein Verleih einer Zeitschrift die Anzeigen sperrte, weil diese einen Film dieses Verleihs noch nicht einmal negativ, sondern bloß mit einem kleinen kritischen Einwand versehen besprochen hatte.

Unter anderem wegen dieser Anhänglichkeiten, wegen ihrer fatalen Auswirkungen auf Pressefreiheit und journalistische Kultur, wäre es zu begrüßen, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Werbung verzichteten. Wenn freilich der bayerische Ministerpräsident Stoiber just dies fordert, ist das die pure Heuchelei. Jene Politiker, die mit Nachdruck die Etablierung privater, also werbungsabhängiger Rundfunkanstalten förderten und zugleich die Anhebung der Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Anstalten verhinderten, haben das moralische Recht verloren, selbst das Richtige zu verlangen. Stoiber geht es nicht um die Befreiung des Journalismus von der Abhängigkeit durch Werbung, sondern um die Beseitigung einer Konkurrenz für die kommerziellen Sender, um die endgültige Vernichtung des öffentlich-rechtlichen Systems.

Wir aber, die wir uns über die Willfährigkeit ärgern, mit der sich die Öffentlich-Rechtlichen ohne Not den Privaten weitgehend angeglichen und damit tatsächlich die Begründung für Gebühren verspielt haben, RTL und Pro 7 aber nicht für die Lösung des Problems halten, sollten weiterhin und mehr als bisher sensibel sein für den Zusammenhang von Publizistik und Abhängigkeit - in Zeitung und Fernsehen ebenso wie in wissenschaftlichen Zeitschriften.

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