Gefleckt sein ist alles

Medizin Von Körpersäften und Selbstbildern: Was hinter der Hautverfärbung der Spitzensportler steckt
Ausgabe 33/2016
Michael Phelps bringt die uralte Behandlungsmethode „cupping“ wieder in Mode
Michael Phelps bringt die uralte Behandlungsmethode „cupping“ wieder in Mode

Foto: Al Bello/Getty Images

Bei vielen Olympioniken, allen voran bei Schwimmstar Michael Phelps, ist aktuell ein Hautphänomen zu sehen, das man im Englischen hickie nennt. Es ist kreisrund und dunkelrot bis lila. Unter Jugendlichen ist das Ganze als Knutschfleck bekannt, Mediziner bezeichnen es als Sugillation oder Hautblutung. Sie entsteht, beherzt saugende Lippen ausgenommen, durch ein mit Unterdruck auf der Haut platziertes Gefäß im Rahmen des sogenannten cupping. Dabei handelt es sich um ein ausleitendes Verfahren der Viersäftelehre, auch Humoralpathologie genannt. Einer der vier vermeintlichen Körpersäfte (Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim) wird aus dem Körper ausgeleitet, um das Gleichgewicht der Flüssigkeiten wieder herzustellen. Beim cupping ist es das Blut, das durch einen Schnitt in die Haut ausgesaugt wird.

Und so historisch wie ihre Begründungen anmuten, ist auch die Methode selbst. In China, Ägypten und Griechenland war sie bereits vor tausenden Jahren bekannt. Durch die Entwicklung der Humoralpathologie brachte Hippokrates die damalige Medizin aber durchaus voran. Krankheitsursachen wurden nun nicht mehr bei Dämonen oder Geistern gesucht, sondern im Körper.

In der Viersäftelehre kommt cupping etwa bei „Säfteverderbnis und Fäulnis“ zum Einsatz, bei der Fünfphasenlehre der „traditionellen“ chinesischen Medizin bei „Übermacht von Wind, Feuer oder Sommerhitze“ sowie bei „Qi-Stau“. Heute wird cupping für fast alles angeboten, von der Schmerzbehandlung bis zur Krebstherapie. Je mehr Fortschritte die Medizin machte, desto randständiger wurde die Methode. Denn obwohl Hippokrates gut daran tat, Krankheitsursachen im Körper zu suchen, erwiesen sich Viersäfte- und Fünfphasenlehre freilich als falsch.

Studien haben gezeigt, dass der Nutzen der Methode kaum über Placeboeffekte hinausgeht. Dass sie bei Sportlern dennoch beliebt ist, könnte mit symbolischer Selbstergänzung zusammenhängen. Diese dient dazu, das unangenehme Gefühl, das aus der Differenz zwischen selbstgesetzten Zielen und der Realität entsteht, abzumildern. Mit den medizinischen Knutschflecken zeigen uns die betreffenden Sportler, dass sie alles für den Sieg getan haben.

Einen ähnlichen Effekt dürften Kinesio-Tapes haben. Diese bunten Klebestreifen auf der Haut von Athleten wurden spätestens bei den Olympischen Spielen 2012 in London bekannt. Mittlerweile wird mit dieser ebenfalls weitgehend wirkungslosen Methode so viel Geld verdient, dass ein US-amerikanischer Tape-Anbieter zu einem der Hauptsponsoren der Spiele in Rio wurde. Da die Tapes keine guten Strömungseigenschaften haben, bleiben den Sportlern in ihrer knappen Badebekleidung nur die freiwillig zugefügten Hautblutungen, um zu zeigen, wie eifrig sie sich ihrem Sport widmen.

Obwohl der Blutverlust im Rahmen der Hautblutung zu vernachlässigen sein dürfte, handelt es sich bei den olympischen hickies im Grunde um eine Schwächung des Körpers. Es bedarf schon viel kaufmännischen Geschicks, um professionell geschulten Topsportlern ein solches Verfahren als leistungssteigernd zu verkaufen. Führt man sich das vor Augen, ist der hiesige Name für die Methode überaus passend. Auf Deutsch nennt man das cupping nämlich Schröpfen.

Dr. med. Jan Oude-Aost bloggt auf freitag.de unter diaphanoskopie

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