Bei vielen Olympioniken, allen voran bei Schwimmstar Michael Phelps, ist aktuell ein Hautphänomen zu sehen, das man im Englischen hickie nennt. Es ist kreisrund und dunkelrot bis lila. Unter Jugendlichen ist das Ganze als Knutschfleck bekannt, Mediziner bezeichnen es als Sugillation oder Hautblutung. Sie entsteht, beherzt saugende Lippen ausgenommen, durch ein mit Unterdruck auf der Haut platziertes Gefäß im Rahmen des sogenannten cupping. Dabei handelt es sich um ein ausleitendes Verfahren der Viersäftelehre, auch Humoralpathologie genannt. Einer der vier vermeintlichen Körpersäfte (Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim) wird aus dem Körper ausgeleitet, um das Gleichgewicht der Flüssigkeiten wieder herzustellen. Beim cupping ist es das Blut, das durch einen Schnitt in die Haut ausgesaugt wird.
Und so historisch wie ihre Begründungen anmuten, ist auch die Methode selbst. In China, Ägypten und Griechenland war sie bereits vor tausenden Jahren bekannt. Durch die Entwicklung der Humoralpathologie brachte Hippokrates die damalige Medizin aber durchaus voran. Krankheitsursachen wurden nun nicht mehr bei Dämonen oder Geistern gesucht, sondern im Körper.
In der Viersäftelehre kommt cupping etwa bei „Säfteverderbnis und Fäulnis“ zum Einsatz, bei der Fünfphasenlehre der „traditionellen“ chinesischen Medizin bei „Übermacht von Wind, Feuer oder Sommerhitze“ sowie bei „Qi-Stau“. Heute wird cupping für fast alles angeboten, von der Schmerzbehandlung bis zur Krebstherapie. Je mehr Fortschritte die Medizin machte, desto randständiger wurde die Methode. Denn obwohl Hippokrates gut daran tat, Krankheitsursachen im Körper zu suchen, erwiesen sich Viersäfte- und Fünfphasenlehre freilich als falsch.
Studien haben gezeigt, dass der Nutzen der Methode kaum über Placeboeffekte hinausgeht. Dass sie bei Sportlern dennoch beliebt ist, könnte mit symbolischer Selbstergänzung zusammenhängen. Diese dient dazu, das unangenehme Gefühl, das aus der Differenz zwischen selbstgesetzten Zielen und der Realität entsteht, abzumildern. Mit den medizinischen Knutschflecken zeigen uns die betreffenden Sportler, dass sie alles für den Sieg getan haben.
Einen ähnlichen Effekt dürften Kinesio-Tapes haben. Diese bunten Klebestreifen auf der Haut von Athleten wurden spätestens bei den Olympischen Spielen 2012 in London bekannt. Mittlerweile wird mit dieser ebenfalls weitgehend wirkungslosen Methode so viel Geld verdient, dass ein US-amerikanischer Tape-Anbieter zu einem der Hauptsponsoren der Spiele in Rio wurde. Da die Tapes keine guten Strömungseigenschaften haben, bleiben den Sportlern in ihrer knappen Badebekleidung nur die freiwillig zugefügten Hautblutungen, um zu zeigen, wie eifrig sie sich ihrem Sport widmen.
Obwohl der Blutverlust im Rahmen der Hautblutung zu vernachlässigen sein dürfte, handelt es sich bei den olympischen hickies im Grunde um eine Schwächung des Körpers. Es bedarf schon viel kaufmännischen Geschicks, um professionell geschulten Topsportlern ein solches Verfahren als leistungssteigernd zu verkaufen. Führt man sich das vor Augen, ist der hiesige Name für die Methode überaus passend. Auf Deutsch nennt man das cupping nämlich Schröpfen.
Kommentare 9
Guter Atikel!
Ich bin mal gespannt, wie lange es noch dauert, bis die Athleten regelmäßig zur Ader gelassen werden, damit die Bluterneuerung für den nötigen Leistungsschub sorgt. Das wäre dann Doping umgekehrt.
hochgedopt bis zur halskrause: russen amis und der andere sportlerkram: entweder mental oder mit medikamenten.
schade - aber auch nicht besonders erstaunlich: der alte grieche hätte sich vmtl ganz gewiss köstlich über heute vermutete dopingverdachte amüsiert, vollgepimpt wie er schon damals gewesen sein dürfte
Hier kann man den Vorgang im Film beobachten (4 Minuten). Am Ende des Films sieht man deutlich, wenn er nicht gefaked ist, welche Massen (schädlicher Bestandteile?) aus dem Körper herausgeholt werden. Das ist schon beeindruckend. Nur, ob das herausgeholte Material tatsächlich schädlich auf den Körper wirkt, ist eine andere Frage.
Interessant wäre, die Meinung von Nutzer "merdeister" zu lesen, da es sich ja praktisch um einen chirurgischen Eingriff im klassischen Sinne handelt, die Wirksamkeit aber eher den Glaubensregeln der Alternativ-Medizin unterliegt.
Psychodoping pur? Der Glaube versetzt Berge, auch echte?
Das Schröpfen und die Story über sein Wiederaustehen nach überwundenen Alkoholexzessen lenken wohl von der Frage ab, wie Michael Phelps seine Leistungsstärke halten resp. wiedergewinnen konnte. Aber klar, es gilt die Unschuldsschuldvermutung. ;)
Und wenn das Schröpfen der Psyche dient? Dann jedenfalls macht es Phelps Sinn und ist sicher gesünder als manches schulmedizinische Medikament, mit dem sich der/die eine oder andere Olympionike_in dopt. Ansonsten haben Placedoeffekte ja auch in der Schulmedizin ihren Stellenwert und sind angesichts der Haltung des IOC zu Doping und schwarzem Medaillienspiegel wohl das geringste Problem.
Unschuldsschuldvermutung -
In den 1980er Jahren bin ich im heutigen St. Petersburg wegen einer schweren fiebrigen Erkältung mit Schröpfgläsern behandelt worden und hatte danach mehrere Wochen die gleichen runden Flecken wie Phelps auf dem Rücken. Da ich noch lebe, scheint es geholfen zu haben, hat aber zumindest nicht geschadet. Dazu gab es übrigens auch noch 7%ige Kaliumchloridlösung - 3 Esslöffel täglich oral. Leistungssteigernd wirkt beides eher wohl nicht.
Alte und überlieferte Heilmethoden erfreuen sich, wie der Autor treffend feststellt, oft seit langer Zeit großer Beliebtheit, nicht nur bei Sportlern.
Das hat Gründe, die nicht nur im immer noch mangelnden aktuellen Wissen zu Ursachen und Wirkungen, sowie dem ebenfalls verbreitetem Aberglauben liegen.
Oft ist es einfach eine anerkannte und erlebte Wirksamkeit, die Klienten/Patienten durch alle Zeiten und erstaunlicherweise fast alle Kulturen, anzieht, die sehr häufig schon von vielen anderen Behandlungsversuchen nicht zufriedengestellt wurden.
Phelps Schröpfmale sitzen da, wo sie lege artis hingehören, wenn er für seine überlastete und sicher auch häufiger einmal schmerzende Schultergelenkseinheit, neben der entsprechenden kinesiologischen Durchbewegung, was tun wollte. Seinen Muskelmantel hat dieser Athlet ja bestimmt schon optimal trainiert, allein zur Steigerung seiner Gewinnaussichten.
Trotzdem hatte der "alte Mann" im Schwimmbecken wohl Schmerzen und klagte über Blockaden.
Von Sportler zu Sportler, hätte unser Autor bei dem Athleten selbst einmal anfragen können, ob der Olympiasieger, der wiederauferstandene Wasserphönix, einen Unterschied erlebt hat. - Ich bin mit sicher, Phelps hätte geantwortet!
Kaufmännisches Geschick und offenbar eine große Fähigkeit in gewinnträchtigen Leistungskatalogen eingeschrieben zu sein, haben in Deutschland vor allem auch Orthopäden. Wir wissen, weil eben Wissenschaft exisitert, dass dort viele Verfahren zur invasiven Diagnostik und Therapie, nicht nur unangebracht sind, sondern real schädigen und daher unnötige Risiken mit sich führen.
U.a. ist das so, weil nicht nur Menschen, die nicht universitär gelehrte angebotene Heilmethoden anwenden, geschäftstüchtig sind, sondern weil auch Mediziner kaufmännisch denken, es aber nicht zugeben wollen.
<<Einen ähnlichen Effekt dürften Kinesio-Tapes haben.>>
Auch die Fragen rund um das Kinesio- Tape, ließen sich etwas seriöser dadurch einschätzen, dass man zum Beispiel die SportlerInnen, die sie vorher nicht und nun regelmäßig einsetzen, nach ihren Erfahrungen befragte.
Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Wahrscheinlich wirkt das Tape nicht besser oder schlechter als andere Methoden, um Schmerz aus Überlastung, einseitiger Belastung und Fehlbelastung, bei Sportlern zu behandeln. Aber welche Methode dann anzuwenden ist, lässt sich nur aus Versuch und Irrtum ableiten.
Die interessanteste Pflasterung diesbezüglich, trug ja die Beachvolleyballerin Kira Walkenhorst, nun Olympiasiegerin. Das wird den Absatz dieser Tapes, ganz ohne Zweifel weiter beflügeln, zum Müller- Wohlfahrt nocheinmal.
Beste Grüße
Christoph Leusch