Gefühlig ahnungslos

Fußball Dagrun Hintze schwadroniert von einem Sachverstand, der Frauen angeblich sexy macht
Ausgabe 10/2017
So haben wir uns das vorgestellt
So haben wir uns das vorgestellt

Foto: Imago/ActionPictures

Toller Titel, tolles Thema, Ballbesitz – Frauen, Männer und Fußball, der schmale Band aus dem Mairisch-Verlag ist fein gedruckt, auf gutem Papier, aber dann ein erster Dämpfer: Auftaktzitat von Lothar Matthäus. Er ist also doch nicht der Judith-Butler-gestählte Feminist, für den man ihn immer hielt. Und dann, gleich hinterher, ein richtiger Tiefschlag, indirektes Selbstlob der Autorin Dagrun Hintze, eine Art Prolog, „Anpfiff“ genannt, aber eben nicht so, wie Harald „Toni“ Schumacher sein Standardwerk von 1987 überschrieben hatte. Nein, für das indirekte Eigenlob, schmähliche Form der Eitelkeit, muss in einer Kneipe ein Dagrun-Hintze-Freund ran und ihr sagen, sie solle mal was über Fußball schreiben, „weil du schlauer über Fußball quatschst als ’n Mann“. So geht das los.

Und dann schreibt Dagrun Hintze, die aus Lübeck kommt, in Hamburg lebt und ansonsten Theaterautorin ist, also über Fußball. Ihre Sätze haben Maß, Rhythmus, manchmal einen Ton. Vor allem haben sie viel Meinung. Nur leider recht wenig: Inhalt. Ihre Leser muss sie sich als Zehnjährige vorstellen, oder als Menschen, die ohne Tageszeitungen leben. Denn was Hintze zu Fußball zu sagen hat, läuft deutlich unterhalb der Schwelle dessen, was taz oder Tagesspiegel schreiben. Reden wir nicht von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dagrun Hintze schreibt vor allem über Dagrun Hintze. Wo sie Fußball schaut. Mit wem. Zwischendurch erfahren wir, dass Johann Cruyff modernen Fußball lehrte („Konsequent offensiven Angriffsfußball bei hohem Ballbesitz und feinster Technik plus Begeisterung, Spielfreude und Kreativität)“ und Schalke 04 fast mal die Bundesliga gewann. Wir sind dann aber sehr schnell wieder bei Dagrun Hintze, wie sie diese und jene Meisterschaft so erlebte, was Dagrun Hintze zu Kommerzialisierung zu sagen hat und welche Gefühle sie für die Nationalmannschaft hegt.

Lassen wir außen vor, dass Dagrun Hintze grundsätzlich von der Mario-Barth’schen Dichotomie von Männern und Frauen ausgeht und sich also selbst eine Falle stellt, in die sie auch treu hineintappt: Frauen sind anders als Männer und interessieren sich meist nicht für Fußball.

Phrasenschweine mästen

Lassen wir außen vor, dass die historische Fallhöhe bei Dagrun Hintze offensichtlich von der WM 2006 bestimmt wird, auch wenn der „entspannte Patriotismus“ schon damals von nicht wenigen rassistischen Übergriffen begleitet wurde – Hintze schwatzt noch einmal davon und auch: „Nichts hat seit Ende des Zweiten Weltkrieges das Deutschlandbild nach innen und außen so sehr verändert wie dieses Turnier.“ Weil Dagrun Hintze 1954 und 1974 noch nicht Fußball schaute und keine intensiven Gefühle hatte, kommen diese Turniere und ihre Wirkung leider bei Hintze nicht vor.

Lassen wir weiter außen vor, dass Dagrun Hintze einige Phrasenschweine mit ihren Ausführungen mästen müsste. Und dass der Freund in der Kneipe mit dem Ratschlag, über Fußball zu schreiben, entweder deutlich betrunkener war, als Hintze meinte – oder ein fieser Ironiker.

Denn Neues oder Substanzielles hat sie eher nicht zu erzählen, hingegen viel Unscharfes und Ungenaues. Sie verlängert eine Art Tagebuch, da wird Freunden für einen SMS-Nachrichtendienst gedankt, sie schildert eine Begegnung, bei der Dagrun Hintze mit einer Frau Fußball schaute, die Ahnung von der Sache hatte. Weshalb sie ihr dankt. Wir hören von Orten, an denen Dagrun Hintze Fußball schaute, an denen sie sich eine Deutschlandfahne auf die Wangen malte, obschon sie gemalte Deutschlandfahnen-auf-Wangen eigentlich doof findet. Wir lesen von Momenten, in denen Dagrun Hintze Gefühle hatte. Das ist ganz wichtig, denn Menschen, die Fußball lieben, erleben Momente „wie sie an Intensität im Leben nicht allzu oft vorkommen“.

Und wenn wir das alles außen vor lassen, bleiben Ratschläge, ganz im Stil des sogenannten Frauenmagazins Brigitte: Frauen, interessiert euch für Fußball, wer kein Fußballwissen hat, nervt kolossal und ist unsexy. Denn wer was von Fußball verstehe, könne sich auch als Frau „an sich selbst berauschen“. Glauben Sie nicht, ist doch 2017, sagen Sie? Lesen Sie selbst: „Fußballsachverstand steigert die Attraktivität von Frauen – zumindest in den Augen jener Männer, die selbst welchen besitzen.“

Info

Ballbesitz – Frauen, Männer und Fußball Dagrun Hintze Mairisch 2017, 103 S., 11 €

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