Gegen das Auto

Sozial Eine radikale Mobilitätspolitik ist alternativlos
Ausgabe 22/2021

Links der Mitte sollte es sich herumgesprochen haben: Umwelt- und Klimapolitik ist weder „Luxus“ noch „rein ökologisch“. Es handelt sich um die zentrale soziale Gerechtigkeitsfrage unserer Zeit.

Denn nicht nur im globalen Süden beschneiden Umweltverschmutzung und Klimafolgen Menschenrechte und Lebensressourcen. Auch bei uns sind die Lasten daraus höchst ungleich verteilt. Vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus gesehen sind also Umweltschäden und besonders Klimafolgen per se und direkt unsozial.

Besonders deutlich wird diese Verschränkung von Globalem und Lokalem bei der Verkehrspolitik. Denn das Paradigma des Individualverkehrs mit Automobilen, das hier noch bestimmend ist, schadet nicht nur via Weltklima den Menschen im globalen Süden. Es hat vor der Haustür asymmetrische Wirkungen.

Die Bundestagslinke hat nun ein verkehrspolitisches Thesenpapier erarbeitet, das diesem Umstand Rechnung trägt. In diesen „Zwölf Thesen zur Mobilitätsgerechtigkeit“ wird aufgezeigt, dass unter Straßenlärm und Luftverschmutzung „überwiegend ärmere Bevölkerungsschichten“ leiden, die häufig in entsprechenden Lagen wohnen und „dann auch mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen zu kämpfen haben“.

Diese Positionierung vollzieht einerseits einen Perspektivwechsel mit, den die entsprechenden Kräfte der Zivilgesellschaft schon länger durchlaufen haben: Aus Bewegungen des „Schutzes“ von Umwelt, Natur und Klima sind Bewegungen der „Gerechtigkeit“ geworden. Besonders die Schäden des fossilen Kapitalismus werden dabei hinsichtlich der Menschenrechte, der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und aus globaler Perspektive betrachtet.

Zunächst gelingt das auch den Thesen der Linken. Zumindest in ihrer Anlage bekommt diese Stellungnahme diejenigen in den Blick, die strukturell benachteiligt sind in unserer autozentrierten Gesellschaft, die keine Stimme haben, unsichtbar sind. Überschrieben ist das Thesenpapier mit dem entsprechend sehr richtigen Satz „Die Verkehrswende ist eine soziale Frage“. Doch wo es konkreter wird, häufen sich die Ambivalenzen. Da werden etwa höhere Parkgebühren oder eine City-Maut abgelehnt und als unsozial verteufelt. Es wird gegen Elektro-Antriebe und autonome Flotten polemisiert, ohne eigene Ideen eines attraktiven und günstigen Verkehrs für alle zu formulieren. Da kommt dann schnell das Recht auf kostenloses Parken als Forderung der ökonomisch Schwachen daher: Gegen die da oben! Und schon ist nicht mehr das herumstehende Blech das Problem, sondern der kleine Obolus dafür – und schleicht sich ein Ausspielen des Sozialen gegen das Ökologische ein.

Auch praktisch steht die Linke leider kaum für eine konsequente Verkehrswende: In Berlin stimmte sie etwa gegen ein City-Maut-Pilotprojekt. Als entschiedene Fürsprecherin des Ausbaus von U-Bahn und Tram ist die Hauptstadtlinke auch nicht aufgefallen. Und nicht einmal gegen die notorisch umstrittene Verlängerung der Stadtautobahn, die den Autoverkehr in die Innenstadt „verbessern“ soll, opponiert sie konsequent. Stattdessen soll ein Radweg die Trasse ergänzen. 50 Prozent weniger Autos und Ausstieg aus dem Verbrenner bis 2030 fordert das Bundestagspapier. Da war die Linke schon mal weiter.

Fast scheint es, als lege sich die jüngst von Sahra Wagenknecht befeuerte Identitätspolitik gegen eine neobürgerliche Lifestyle-Linke, der die Armen egal seien, über eine im Ansatz richtige Position. Dabei wird politisch gerade umgekehrt ein Schuh daraus. Denn die „Neoliberalen mit Fahrrädern“, so schrieb jüngst Sascha Döring in Jacobin über die Grünen, profitieren ja gerade davon, dass „speziell die Linkspartei und die Sozialdemokratie das Wahlvolk bisher nicht von ihrem Willen und ihrer Fähigkeit überzeugen konnten, Fragen von Klimagerechtigkeit und Umweltschutz effektiv anzugehen“.

Die Linke darf hier nicht aus falscher Rücksicht bremsen. Sie muss programmatisch für eine radikale Verkehrswende mit autofreien Städten und Elektrifizierung allen Verkehrs eintreten, siehe Paris, siehe Barcelona. Doch ist in Sachen Mobilitätsgerechtigkeit in dieser Partei noch viel zu diskutieren.

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Lesen Sie hier eine Widerrede von Velten Schäfer auf diesen Artikel

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