Der Geruch von Wein liegt in der Luft. An langen Fäden hängen dunkelgrüne Flaschen von der Decke herab. Rotwein und Milch tropfen aus ihnen auf einfache Emailteller mit Blumenmuster. Platziert sind die Teller auf einem Tisch aus weißen Holzlamellen. Man denkt an eine Abendgesellschaft, an eine ausgelassene Feier. Man stellt sich vor, wie der Gastgeber, nach einem langen Essen, das Aufräumen auf den kommenden Tag verschoben hat.
Hinter Tisch, Tellern und Flaschen verbirgt sich eine Katastrophe. Die kenianische Künstlerin Wangechi Mutu setzt sich in ihrer Installation mit dem Genozid im ostafrikanischen Ruanda von 1994 auseinander. Damals waren es genau solche Tische, auf denen die Getöteten mehr gestapelt als aufgebahrt wurden. Bis zu eine Million Menschen,
Menschen, vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit, kamen binnen weniger Tage ums Leben. Mit ihrer Installation hält die in New York lebende Künstlerin die Erinnerung an den Völkermord wach. Was wie die Überreste einer Party erscheint, ist bei ihr das Sinnbild einer Hölle.Rotwein, Milch, VölkermordDie Göttliche Komödie. Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler heißt die Schau im Frankfurter Museum für Moderne Kunst, in der Wangechi Mutus Arbeit von 2010 nun wieder zu sehen ist. Kuratiert wird die Ausstellung von Simon Njami, der auch den ersten afrikanischen Pavillon auf der Venedig-Biennale von 2007 verantwortete. 50 Künstler und Künstlerinnen hat er jetzt eingeladen, um sich mit Dante Alighieris Göttlicher Komödie (Divina Commedia) zu beschäftigen.Die Commedia, entstanden in den Jahren 1307 bis 1321, gilt als Schlüsselwerk der europäischen Literatur, ist tief verwurzelt im christlichen Denken und in der Antike. Dante durchwandert darin in einhundert Gesängen die drei Jenseitsreiche, die Hölle, das Fegefeuer, den Himmel. Exzessiv haben sich Künstler der westlichen Welt – von Botticelli über Eugène Delacroix und William Blake bis zu Robert Rauschenberg – mit diesem Werk auseinandergesetzt.Auf die Frage, warum nun auch junge afrikanische Künstler auf die Commedia reagieren sollen, antwortet Kurator Njami mit einem trotzigen „Warum nicht?“. Der Definition einer afrikanischen Identität verweigert er sich strikt. Auf der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung stellte er klar: „Ich habe absolut keine Ahnung, was ein Afrikaner ist.“ Die meisten der Künstler, die er eingeladen hat, pendeln seit Jahren zwischen Afrika, Europa und den Vereinigten Staaten. Transkulturalität prägt ihre Leben, ihre Karrieren. „Afropolitans“: So hat Taiye Selasi, britische Schriftstellerin mit nigerianischen und ghanaischen Wurzeln , diese Generation einmal sehr treffend benannt.Auf dem Kunstmarkt hat sich der Großteil von ihnen längst etabliert, auch wenn ihre Namen noch nicht so geläufig sind wie die ihrer europäischen oder amerikanischen Mitstreiter. Der Angolaner Edson Chagas etwa wurde auf der vergangenen Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Er zeigt in Frankfurt eine irritierende Fotoserie mit Porträtbildern von Geschäftsmännern, die traditionelle afrikanische Masken zum Zweireiher tragen. Die im äthiopischen Addis Abeba geborene und heute in New York lebende Julie Mehretu, eine der Entdeckungen auf der Documenta 13, präsentiert eines ihrer großformatigen Gemälde, die Architektur und Stadtgeschichten abstrahieren.Yinka Shonibare, dessen Familie in Nigeria verwurzelt ist und der am renommierten Londoner Goldsmiths College studierte, gehört zur Gruppe der „Young British Artists“. In seiner Arbeit How To Blow Up Two Heads (Gentlemen) spielt er mit den noch immer weit verbreiteten Afrika-Stereotypen. Zwei Männerfiguren ohne Köpfe stehen sich da gegenüber, bedrohen einander mit Pistolen. Die bunten Muster ihrer Kleider lassen den Betrachter instinktiv an Afrika denken. Tatsächlich entstammen diese Muster jedoch der indonesischen Kultur. Hergestellt werden die Stoffe in Europa. Erst danach werden sie nach Westafrika exportiert und dort verarbeitet. Der Kampf gegen die Klischees und Schubladen ist noch lange nicht gewonnen.Nicht alle Arbeiten der Ausstellung überzeugen. Manches ist nah am Kitsch, etwa Youssef Nabils autobiografischer Film You Never Left, der vom Verlassen der ägyptischen Heimat erzählt. Plakativ wirkt die Skulptur, mit der Jems Robert Koko Bi auf das Schicksal von Bootsflüchtlingen aufmerksam macht: Sein „Totenschiff“ ist mit archaisch anmutenden Masken bestückt. Ärgern konnte man sich über die Eröffnungsperformance von Majida Khattari. 72 Frauen, die Jungfrauen darstellen sollte, hievte die marokkanische Künstlerin auf ein Podest. Nach und nach wurden die Frauen entkleidet, bevor sie die Bühne nackt – in Richtung Paradies? – verlassen durften. Die Rolle der Frau im Islam wollte Khattari damit hinterfragen. Was sie bot, war stumpfe Fleischbeschau.Trotzdem ist Die Göttliche Komödie ein Glücksfall. Dass ein deutsches Museum seine komplette Sammlung ins Depot verbannt, um die Entdeckung von afrikanischer Gegenwartskunst zu ermöglichen, ist noch immer alles andere als alltäglich.