Gegen die Fakten

DDR In seiner gnadenlosen Wunschbiografie lässt Thomas Brussig die Wiedervereinigung einfach ausfallen
Ausgabe 11/2015
Paint it back: Thomas Brussig lässt die Mauer einfach weiter bestehen
Paint it back: Thomas Brussig lässt die Mauer einfach weiter bestehen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Schreibt der schon wieder über die DDR? Fällt dem nichts anderes ein? Nein, und das ist gut so. Von Kairo oder New York zu handeln, wenn man sich in Thüringen oder Schwaben auskennt, war noch nie eine gute Idee. Und besonders schade wäre Zwangsglobalisierung bei Thomas Brussig. 1964 geboren und in Ostberlin aufgewachsen, hatte er nun mal das Glück, dass sich kurz vor seinem 25. Geburtstag die Weltgeschichte vor der eigenen Haustür abspielte. Seinem Erfahrungskapital vertraut der Urheber der Wendekomik nach wie vor.

Wie sich aus der Wende Funken schlagen lassen, zeigt Brussig auf paradoxe Weise: Indem er so tut, als hätte es keinen Mauerfall gegeben, als existierte die DDR bis heute. Das kontrafaktische Erzählen von immer noch zwei deutschen Staaten hatten wir zwar schon in Plan D (2011), aber Simon Urbans Geschichtsszenario war ein Agententhriller. Brussig, der dem Kollegen im letzten Kapitel die Reverenz erweist, bewegt sich in einem anderen Genre. In einer fiktiven Autobiografie erzählt er seine ersten 25 Jahre halbwegs so, wie sie sich zugetragen haben, um dann durchzuspielen, wie es ohne deutsche Einheit weitergegangen wäre.

Aufritt Nina Hagen

Schon in der „realen“ DDR-Vita bis 1989 steckt Tatsachenfantasie. Das Kind Thomas lernt die 19-jährige Nina Hagen kennen, die sich seiner Vertraulichkeit versichert für den Fall, dass sie mal weltberühmt wird, „wat ick durchaus vorhab, meen Freundchen“. Da hören wir nicht nur die erste der urkomischen Stimmenparodien, wir bekommen auch einen Grundkurs in Autofiktion. Denn die Wahrheit ist: Es war nur Ninas Vater, den Thomas kannte, schon „sprang meine Fantasie an“. Die Erfindung wächst im Authentischen, wo genau sie beginnt, wissen wir Leser so gut wie nie. Dafür weiß der Roman-Brussig, was er von der NVA zu halten hat, es ist ein „Ozean von Scheiße“. Ein Bild von zeitloser Schönheit.

Die Wiedervereinigung ausfallen zu lassen, beweist Wirklichkeitssinn, schließlich glaubten an sie nur elf Prozent der Bundesbürger, „an UFOs immerhin 19 Prozent“. Kommod geht es zu in der Diktatur des Egon Krenz, der Tempo 120 auf der Transitautobahn glatt genehmigt und im Willen zur Bonsaireform „Klassengegner“ sagt statt „-feind“. Als die Zensur fallen soll, wittern manche Ostautoren ihre „Entwürdigung“. Auch im Westen geachtet ist „Bombastus“, der Verlag der kritischen Edelfedern, betrieben vom listigen Geschäftsführer Thierse. Wir ahnten es, im Wolfgang steckt ein Teufelskerl.

Wer glaubt, das alles sei nur zum gehobenen Schmunzeln, irrt. Ist er auch einfallsreich wie ein Kästner auf Speed, dieser Erzähler treibt das Abgefahrene nüchtern am Wirklichen hoch. Besonders, wenn er sich für die eigene Person eine Widerstandskarriere ausmalt: Nach 89 zum Dissidenten aus Versehen zu werden, geadelt durch einen Anneliese-Löffler-Verriss und weil man beim Signieren den Berliner SED-Chef nicht erkannt hat, ist denkbar. Ebenso, als aufsteigender Jungautor die Prenzlauer-Berg-Reflexe der 80er, gerade noch belächelt als Kampf um die „suhrkampigsten Westkontakte“, unbewusst weiterzuführen. Dann legt man einen forciert pampigen Thomas-Brasch-Gedenkauftritt in München hin. Den Lackmeiern bloß nicht gefallen!

Es ist eine gnadenlose Wunschbiografie um ein Ich, das durch Wasserfarben und Westfernsehen schon 1991 prominent wird, mit einem DDR-kritischen Spiegel-Essay („Die breierne Zeit“) Georg Dreyman toppt, das die Stasi narrt, klar, dem moralisches Prestige, Westkonto, Literaturpreise und die Frauen nur so zufliegen ... Tja, Jungs, ohne Einheit wäre ich noch erfolgreicher gewesen: So lautet die Botschaft, schön dreist und bei der Wahrheit des Tagtraums bleibend, während die satirische Konkurrenz lieber mit dem „Dauerunglücksrabentum“ kokettiert.

Müde ist die Grass-Parodie. Dennoch, spätestens wenn der Ernst- im Spaßmacher einen Kapitalismus unter Führung der Partei ausbuchstabiert, Reisefreiheit und Wohlstand dank Windkraft den DDR-Bürgern wichtiger sind als das Intellektuellending Selbstbestimmung, wird man den Verdacht nicht mehr los: Das bleibt.

Info

Das gibts in keinem Russenfilm Thomas Brussig S. Fischer 2015, 384 S., 19,99 €

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