Geheime Kommunikation

NSU Der Stuttgarter Untersuchungsausschuss hat vertrauliche Informationen an Ermittlungsbehörden weitergegeben
Ausgabe 39/2015

Baden-Württembergs Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund soll die Fehler der Sicherheitsbehörden aufklären. Und nun kommt heraus: Aus dem Ausschuss wurden vertrauliche Informationen an die Behörden gegeben. Die Vertreter der Landesregierung leiteten Hinweise an das Innenministerium weiter, von dort wurden andere Stellen der Exekutive informiert. Der Fall ist brisant, denn es geht darum, ob der baden-württembergische Verfassungsschutz schon eher als bislang bekannt vonder rechtsextremen Terrorgruppe wusste. Und ob die Sicherheitsbehörde in den NSU-Skandal verstrickt ist.

Torsten O. kann womöglich zur Aufklärung beitragen. Er war früher V-Mann unter dem Decknamen „Erbse“. Im Sommer 2003 soll er dem damaligen Verfassungsschutzbeamten Günter S. von einer rechtsterroristischen Gruppierung namens NSU erzählt und dabei auch den Namen Mundlos genannt haben. So berichtete es der inzwischen pensionierte Günter S. später vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des baden-württembergischen Landtages. O. dagegen bestritt diese Version ursprünglich, doch im Juni dieses Jahres bestätigte er den Sachverhalt dann doch im Gespräch mit dem Freitag. Er sei im Jahr 2011 nach dem Auffliegen des NSU-Trios von anderen Verfassungsschützern unter Druck gesetzt worden, zu lügen, so seine Erklärung. Zur Zeit sitzt er eine Haftstrafe ab, wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen sowie wegen illegalen Munitionsbesitzes, er selbst bestreitet die Taten. Seine Geschichte wurde im Juli im Freitag veröffentlicht und führte prompt zu Reaktionen.

Kurz nach der Veröffentlichung wurde Torsten O. im Gefängnis von drei Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) besucht, Abteilung Staatsschutz. Sie kamen im Auftrag des Generalbundesanwaltes, wie die Behörde bestätigt. In den Händen hielten sie den Freitag-Artikel. Unter anderem erkundigten sich die Männer nach jenem BKA-Mann, von dem O. vor Jahren die Informationen über NSU und Mundlos bekommen haben will. O. gab bereitwillig Auskunft und nannte den Namen: Jochen R. Er habe den Eindruck gehabt, erzählt Torsten O., dass die BKA-Beamten bereits wussten, um wen es geht.

Heimlich aufgezeichnet?

Insgesamt vier Stunden dauerte der Besuch in einem der abhörsicheren Besprechungsräume der JVA. Die Kriminalbeamten hatten Technik dabei, einer tippte die Aussagen von O. direkt in den Laptop. Sie wollten auch Dinge wissen, die mit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht direkt etwas zu tun haben. Zum Beispiel, was O. für die Weitergabe der Informationen an den Freitag bekommen habe. Sie seien verwundert gewesen, sagt O., als sie erfuhren, dass weder Geld geflossen ist noch verlangt wurde.

Und dann fragten die Vernehmer noch nach einem Sachverhalt, der gar nicht in dem Artikel stand. O. will nämlich das Gespräch mit dem Verfassungsschützer Günter S. im Sommer 2003 verdeckt aufgezeichnet haben. Er hat das in Briefen erwähnt, sowohl gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz als auch dem NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg. Das BKA wollte wissen, wo diese Aufzeichnungen sind, um sie zu holen. O. verweigerte die Auskunft. Er wolle die Aufzeichnungen, die an einem geheimen Ort lagern sollen, selber holen, sobald er auf freiem Fuß sei. Ob diese Aufzeichnungen tatsächlich existieren, ist schwer zu überprüfen. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang nun eine ganz andere Frage: Gab der Untersuchungsausschuss vertrauliche Informationen eines Zeugen an Ermittlungsorgane weiter? Noch dazu ehe das Gremium den Zeugen nach seiner Kehrtwende selber vernommen hat? Laut O. sollen die BKA-Beamten einen Mitarbeiter des Ausschusses zitiert haben, mit dem O. telefoniert hatte. Kamen die Hinweise also von dort?

Das Sekretariat des Ausschusses bestreitet eine eigene Schuld: „Mit der Behörde des Generalbundesanwaltes oder dem Bundeskriminalamt hat keinerlei Kommunikation betreffend Herrn O. und seinen Erklärungen gegenüber dem Ausschuss stattgefunden. Insbesondere wurden diesen Behörden keine Protokolle, Vermerke, Briefe oder andere Unterlagen zugesandt, die Herrn O. oder seine Erklärungen gegenüber dem Untersuchungsausschuss betreffen“, ließ der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) schriftlich mitteilen. Gleichzeitig das Eingeständnis: Briefe von O. und Notizen zu einem Telefongespräch wurden im Untersuchungsausschuss verteilt. Über Mitglieder der Landesregierung sollen sie zum Innenministerium gelangt sein, von dort zum Landeskriminalamt und dann zum Bundeskriminalamt.

Doch diese Kette ist offenbar nicht ganz korrekt. Die Bundesanwaltschaft fehlt. Sie erklärt auf Nachfrage des Freitag, dass sie das BKA beauftragt hat, und zwar infolge der vertraulichen Informationen. „Ausgangspunkt der Befragung (von Torsten O.) waren Angaben, die der Hinweisgeber gegenüber dem Sekretariat des Untersuchungsausschusses getätigt hat.“ Wie also gelangte die Bundesanwaltschaft an die Infos? Drexler kann sich das nicht erklären.

Mit der Weitergabe von Informationen eines Zeugen an eine Behörde hat der Ausschuss nicht nur die Vertraulichkeit gebrochen, er hat auch seinen eigenen Untersuchungsauftrag durch den Landtag missachtet. Der beinhaltet nämlich nicht nur die „Aufklärung von Fehlern und Versäumnissen der Justiz- und Sicherheitsbehörden von Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie“, sondern ebenso von Bundesbehörden. Dazu gehören auch Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Wie soll man deren Fehler aufklären, wenn man ihnen gleichzeitig vertrauliche Informationen weiterleitet, die möglicherweise das Bundeskriminalamt belasten könnten? Schließlich behauptet O., dass auch ein BKA-Mitarbeiter schon sehr früh vom NSU wusste.

Ein Polizist wird verpfiffen

Erst vor wenigen Tagen wurde ein anderer Fall von Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Untersuchungsausschuss bekannt. Ein Polizist hatte sich im April per E-Mail an das Gremium gewandt. Danach leitete das Innenministerium ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Auch hier hatte das Ministerium über die Vertreter der Landesregierung im Ausschuss davon erfahren. Die Obleute haben nun Konsequenzen gezogen: Zuschriften von Hinweisgebern werden den Ministerialen im Ausschuss seitdem vorenthalten. Zudem sollen die Regierungsvertreter bei nicht-öffentlichen Sitzungen vor die Tür gesetzt werden, wenn zu befürchten ist, dass die dort gewonnenen Erkenntnisse disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen haben können.

Damit soll dem Eindruck entgegengetreten werden, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der eigentlich die Exekutive kontrollieren soll, mache sich zu ihrem Hilfsorgan. Ob Torsten O. erneut angehört wird, hat der Ausschuss noch nicht entschieden. Und ob das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Akten über den Ex-V-Mann „Erbse“ geliefert hat und in welcher Form, beantwortet der Ausschuss gegenüber der Presse so ausweichend wie kryptisch: „Der Beweisbeschluss zu ‚Erbse‘ wurde durch das LfV erfüllt. Zur Frage, ob tatsächlich Akten zu einer evtl. bestehenden Quelle ‚Erbse‘ bestehen, d.h. geliefert wurden, kann aufgrund Geheimschutzrechts keine Angabe gemacht werden.“ So spricht, wer nicht aufdecken, sondern verschleiern will.

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