Baden-Württembergs Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund soll die Fehler der Sicherheitsbehörden aufklären. Und nun kommt heraus: Aus dem Ausschuss wurden vertrauliche Informationen an die Behörden gegeben. Die Vertreter der Landesregierung leiteten Hinweise an das Innenministerium weiter, von dort wurden andere Stellen der Exekutive informiert. Der Fall ist brisant, denn es geht darum, ob der baden-württembergische Verfassungsschutz schon eher als bislang bekannt vonder rechtsextremen Terrorgruppe wusste. Und ob die Sicherheitsbehörde in den NSU-Skandal verstrickt ist.
Torsten O. kann womöglich zur Aufklärung beitragen. Er war früher V-Mann unter dem Decknamen „Erbse“. Im Sommer 2003 soll er dem damaligen Verfassungsschutzbeamten Günter S. von einer rechtsterroristischen Gruppierung namens NSU erzählt und dabei auch den Namen Mundlos genannt haben. So berichtete es der inzwischen pensionierte Günter S. später vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des baden-württembergischen Landtages. O. dagegen bestritt diese Version ursprünglich, doch im Juni dieses Jahres bestätigte er den Sachverhalt dann doch im Gespräch mit dem Freitag. Er sei im Jahr 2011 nach dem Auffliegen des NSU-Trios von anderen Verfassungsschützern unter Druck gesetzt worden, zu lügen, so seine Erklärung. Zur Zeit sitzt er eine Haftstrafe ab, wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen sowie wegen illegalen Munitionsbesitzes, er selbst bestreitet die Taten. Seine Geschichte wurde im Juli im Freitag veröffentlicht und führte prompt zu Reaktionen.
Kurz nach der Veröffentlichung wurde Torsten O. im Gefängnis von drei Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) besucht, Abteilung Staatsschutz. Sie kamen im Auftrag des Generalbundesanwaltes, wie die Behörde bestätigt. In den Händen hielten sie den Freitag-Artikel. Unter anderem erkundigten sich die Männer nach jenem BKA-Mann, von dem O. vor Jahren die Informationen über NSU und Mundlos bekommen haben will. O. gab bereitwillig Auskunft und nannte den Namen: Jochen R. Er habe den Eindruck gehabt, erzählt Torsten O., dass die BKA-Beamten bereits wussten, um wen es geht.
Heimlich aufgezeichnet?
Insgesamt vier Stunden dauerte der Besuch in einem der abhörsicheren Besprechungsräume der JVA. Die Kriminalbeamten hatten Technik dabei, einer tippte die Aussagen von O. direkt in den Laptop. Sie wollten auch Dinge wissen, die mit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht direkt etwas zu tun haben. Zum Beispiel, was O. für die Weitergabe der Informationen an den Freitag bekommen habe. Sie seien verwundert gewesen, sagt O., als sie erfuhren, dass weder Geld geflossen ist noch verlangt wurde.
Und dann fragten die Vernehmer noch nach einem Sachverhalt, der gar nicht in dem Artikel stand. O. will nämlich das Gespräch mit dem Verfassungsschützer Günter S. im Sommer 2003 verdeckt aufgezeichnet haben. Er hat das in Briefen erwähnt, sowohl gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz als auch dem NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg. Das BKA wollte wissen, wo diese Aufzeichnungen sind, um sie zu holen. O. verweigerte die Auskunft. Er wolle die Aufzeichnungen, die an einem geheimen Ort lagern sollen, selber holen, sobald er auf freiem Fuß sei. Ob diese Aufzeichnungen tatsächlich existieren, ist schwer zu überprüfen. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang nun eine ganz andere Frage: Gab der Untersuchungsausschuss vertrauliche Informationen eines Zeugen an Ermittlungsorgane weiter? Noch dazu ehe das Gremium den Zeugen nach seiner Kehrtwende selber vernommen hat? Laut O. sollen die BKA-Beamten einen Mitarbeiter des Ausschusses zitiert haben, mit dem O. telefoniert hatte. Kamen die Hinweise also von dort?
Das Sekretariat des Ausschusses bestreitet eine eigene Schuld: „Mit der Behörde des Generalbundesanwaltes oder dem Bundeskriminalamt hat keinerlei Kommunikation betreffend Herrn O. und seinen Erklärungen gegenüber dem Ausschuss stattgefunden. Insbesondere wurden diesen Behörden keine Protokolle, Vermerke, Briefe oder andere Unterlagen zugesandt, die Herrn O. oder seine Erklärungen gegenüber dem Untersuchungsausschuss betreffen“, ließ der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) schriftlich mitteilen. Gleichzeitig das Eingeständnis: Briefe von O. und Notizen zu einem Telefongespräch wurden im Untersuchungsausschuss verteilt. Über Mitglieder der Landesregierung sollen sie zum Innenministerium gelangt sein, von dort zum Landeskriminalamt und dann zum Bundeskriminalamt.
Doch diese Kette ist offenbar nicht ganz korrekt. Die Bundesanwaltschaft fehlt. Sie erklärt auf Nachfrage des Freitag, dass sie das BKA beauftragt hat, und zwar infolge der vertraulichen Informationen. „Ausgangspunkt der Befragung (von Torsten O.) waren Angaben, die der Hinweisgeber gegenüber dem Sekretariat des Untersuchungsausschusses getätigt hat.“ Wie also gelangte die Bundesanwaltschaft an die Infos? Drexler kann sich das nicht erklären.
Mit der Weitergabe von Informationen eines Zeugen an eine Behörde hat der Ausschuss nicht nur die Vertraulichkeit gebrochen, er hat auch seinen eigenen Untersuchungsauftrag durch den Landtag missachtet. Der beinhaltet nämlich nicht nur die „Aufklärung von Fehlern und Versäumnissen der Justiz- und Sicherheitsbehörden von Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie“, sondern ebenso von Bundesbehörden. Dazu gehören auch Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Wie soll man deren Fehler aufklären, wenn man ihnen gleichzeitig vertrauliche Informationen weiterleitet, die möglicherweise das Bundeskriminalamt belasten könnten? Schließlich behauptet O., dass auch ein BKA-Mitarbeiter schon sehr früh vom NSU wusste.
Ein Polizist wird verpfiffen
Erst vor wenigen Tagen wurde ein anderer Fall von Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Untersuchungsausschuss bekannt. Ein Polizist hatte sich im April per E-Mail an das Gremium gewandt. Danach leitete das Innenministerium ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Auch hier hatte das Ministerium über die Vertreter der Landesregierung im Ausschuss davon erfahren. Die Obleute haben nun Konsequenzen gezogen: Zuschriften von Hinweisgebern werden den Ministerialen im Ausschuss seitdem vorenthalten. Zudem sollen die Regierungsvertreter bei nicht-öffentlichen Sitzungen vor die Tür gesetzt werden, wenn zu befürchten ist, dass die dort gewonnenen Erkenntnisse disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen haben können.
Damit soll dem Eindruck entgegengetreten werden, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der eigentlich die Exekutive kontrollieren soll, mache sich zu ihrem Hilfsorgan. Ob Torsten O. erneut angehört wird, hat der Ausschuss noch nicht entschieden. Und ob das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Akten über den Ex-V-Mann „Erbse“ geliefert hat und in welcher Form, beantwortet der Ausschuss gegenüber der Presse so ausweichend wie kryptisch: „Der Beweisbeschluss zu ‚Erbse‘ wurde durch das LfV erfüllt. Zur Frage, ob tatsächlich Akten zu einer evtl. bestehenden Quelle ‚Erbse‘ bestehen, d.h. geliefert wurden, kann aufgrund Geheimschutzrechts keine Angabe gemacht werden.“ So spricht, wer nicht aufdecken, sondern verschleiern will.
Kommentare 12
Ich erwarte die kleine Pressemitteilung, dass sich ein gewisser Thorsten O. in seiner Zelle erhängt hat.
Baden-Württemberg scheint für Zeugen, bzw. Involvierte zum Thema NSU kein gesundheitsförderndes Pflaster zu sein.
Beginnend mit dem Mord an der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn, über die angebliche Selbstverbrennung eines Zeugen und den ungewöhnlichen Tod von dessen Freundin (Lungenembolien in dem Alter sind sehr selten), einen Monat, nachdem sie vor diesem Untersuchungsausschuss in Stuttgart aussagte
Ich verweise hier auch auf den Artikel von FC-Mitglied Gold Star For Robot Boy. Meldungen über den Fall zogen sich quer durch die Presselandandschaft.
Und das sind öffentlich bekannte Fälle. Wieviele Zeugen und V-Männer, über die bisher nichts bekannt wurde, mögen noch verschwunden worden sein? Es darf auch nicht vergessen werden, dass dem "NSU-Trio" bisher nur einige Banküberfälle zweifelsfrei nachgewiesen werde konnten. Selbst die angebliche Tatwaffe zieht eine Spur nach sich, die nach Geheimdinst stinkt.Hier treibt eine aus Steuermitteln finanzierte Mörderbande ihr Unwesen, mit Helfern in den Ministerien. Wer braucht da noch islamistische Terroristen, wenn er solche totalitären Exekutivorgane hat. Das RSHA lässt grüßen.
Ich sag nur ein Wort: Gladio.
Da wird auch nicht mehr viel rauskommen, siehe Artikel. Eher noch weitere Zeugen überraschend versterben. Umso wichtiger, dass die investigativen Journalisten und Medien, die noch am Ball sind, weiter dranbleiben an dieser Grauzone und das Ausmaß der klammheimlichen Behörden-/Regierungskooperation mit Nazi-Terroristen so umfassend aufdecken wie nur irgend möglich.
Trotz der breit aufgestellten Ganzgroßen Vertuschungs-Koalition bin ich in dem Fall Optimist und denke, dass der Faktor Zeit für die Seite von Aufklärung und Demokratie arbeitet. Es geht halt nur nicht von heute auf morgen.
Für alle, die hierzu ein wenig (oder auch mehr :-) schmökern wollen ein Link zu "Drei Jahre systematische Vertuschung:
https://machtelite.wordpress.com/2014/11/02/nsu-komplex-drei-jahre-systematische-vertuschung/
Je mehr ich über den sog. "NSU"-Fall lese und höre, entwickelt sich bei mir das Gefühl, es eher mit einem "V"-Fall zu tun zuhaben. V für Verfassungsschutzbehörden, V für Vertuschungsbehörden, V für Vernichtung von wichtigen Akten und Informationen.
Die Bemühungen ganzer Heerscharen von Behördenmitarbeitern dienen offensichtlich der Verschleierung anstelle der Aufklärung.
Ein wahrhaftig trauriges Bild, das hier Teile des sog. Rechtsstaates BRD abgeben.
Welches Interesse sollten Ermittlungsbhörden in der Ermordung kleinster Krauter haben, schon als Terrorismus ist das eine ziemlich irre Sache, die allenfalls aus den Gewaltfantasietheorien von rechten Gruppierungen erklärt werden kann? Was ich meine ist, die Taten sind nicht binnenrational. Mich würde nicht wundern, wenn es am ende doch organisierte Kriminalität war, welche die Tat an kriminelle Neonazis outgesurced hat. Wie aber von Anfang an der Verdacht mitschwang, als seien die Behörden hier quasi Komplizen gewesen, das finde ich schon merkwürdig.
1.: Was ist binnenrational?
2.: Geheimdienstarbeit basiert auf Paranoia. Der deutsche Michel als potentielle(!) Bedrohung der bestehenden Ordnung. Da ist nix mehr mit Rationalität.
Binnenrational meint aus Sicht des täters nachvollziehbar, schlüssig oder erklärlich. Wenn ein Mensch aufgrund seiner Internetrecherchen annimmt die CIA vertusche 911 und sei eine schlimme Terrorinstitution, dann wäre es binnenrational wenn der in seinem Wahn den Chef der CIA erschießt. Die RAF hat politische Eliten ermordet. Stauffenberg und Elser wollten den Diktator und seine Entourage töten.
Bei der NSU werden dann immer die Turnertagebücher erwähnt, aber warum reist jemand an das andere Ende der Repblik und bringt vollkommen nachrangige Personen um, kleinste Krauter mit kleinsten Krauterläden, Gemüsehändler und Zigarettenverkäufer, alles keine ebenbürtigen Gegner für einen Terroristen? Und wenn das Ziel die Ermoderung kleinster Krauter gewesen sei, dann gäbe es eben viel einfachere Tötungsmethoden, bei denen die Fremdeinwirkung gar nicht auffiele, oder auch spektakulärere Optionen, sagen wir mal Anschläge auf Hochzeitsgesellschaften, Ausländerämter, ..
Binnenrational hiesse, stell Dir vor, Du wärst der Terrorist, das sind deine Ziele und Ideologien, wie gehst du vor? Ich kann die Verbindung beim NSU nicht erkennen. Riesiger Aufwand zur anonymen Ermordung unwichtiger kleinstbürgerlicher Ausländer quer durchs Land.
»(…) aber warum reist jemand an das andere Ende der Repblik und bringt vollkommen nachrangige Personen um, kleinste Krauter (…)«
Ich glaube, die einzige, die darüber kompetent Auskunft geben könnte, ist Beate Zschäpe. Und die wird’s wahrscheinlich nicht (mehr) tun.
Die Frage der Verbindung (von Verfassungsschutzämtern, anderen Behörden + Polizeidienststellen, evtl. Politikern) zum NSU muß man andersherum stellen. Und zwar so, wie die x- Dutzende behördlicher »Fehlleistungen«, die im Umfeld dieses Sumpfs passiert sind, passieren konnten, ohne dass ein mehr oder weniger massiver Support in Richtung NSU dahinter stand.
Wenn man – wie Sie offensichtlich – der »Zufalls-These« zuneigt, steckt man halt einfach in der Bredouille, dass man hunderttausend Zufälle (die sich zum Teil hoch offensichtlich aufeinander beziehen) eben als Zufälle deklariert, die nichts miteinander zu tun haben. Bis zu einem bestimmten Volumen mag so etwas durchgehen. Im Fall des NSU-Sumpfs ist dieses Zufälle-Level allerdings um ein Vielfaches nach oben durchschlagen worden. (Ich zähl’ das jetzt nicht alles auf. a) würde der Kommentar dann länger als der Artikel, b) ist das meiste ja auch bekannt.)
Im Umkehrschluss heißt das natürlich (oder jedenfalls: allerhöchstwahrscheinlich) nicht, dass oben an der Spitze ein Mastermind steht oder eine feste Gruppe von Staatsverschwörern. Ich denke eher, das sich das staatliche Umfeld des NSU aus heterogenen Interessenlagen zusammengesetzt hat und noch zusammensetzt: auf unterster Ebene Cops und Einsatz-Dienstleiter, für die eben nicht ist, was nicht sein darf. Auf mittlerer vielleicht die Schlapphüte, die denken, sie haben’s im Griff und die Politiker, für die die saubere Weste wichtiger ist als Aufklärung. Eins höher dann die, die denken »Besser so eine gefährliche, mordende Terrorzelle unter Kontrolle haben als nicht unter Kontrolle haben.« Richtig interessant ist diese Stufe sowie die noch eins höher. Bei der, denke ich, durchaus politstrategische Optionen mit eine Rolle gespielt haben – solche, die durchaus in die Richtung Strategie der Spannung gegangen sein könnten (wie der Wikipedia-Link zeigt, also nichts komplett Abwegiges).
Da der (lange sabotierte) Untersuchungsausschuss in Baden-Würtenberg nur einen Teilaspekt der Mordserie abgedeckt (die Polizistin Michele Kiesewetter sowie ihr schwer verletzt zurückgebliebener Kollege) und auch bei diesem Teilaspekt wieder gemauert wird wie sonstwas, kann ich persönlich nur eines konstatieren:
Erschrecken und Unglauben, wie viele Legionäre aus dem Bereich von Politik und Behörden auch hier wieder nach vorne springen, um die Aufklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu sabotieren – selbst dann, wenn es sich um einen Polizistenmord handelt.
Köln: Akten aus NSU-Prozess auf Bürgersteig gefundenSPIEGEL ONLINE - vor 19 Stunden
Es soll nichts rauskommen! Und immer schön die Einzeltäter, armes Deutschland!
Aber die Opfer des staatlich geförderten Neonazi-Terrorismus auch noch mit Haftandrohung überziehen – beim Thema NSU gibt es, zumindest negativ, anscheinend nichts, was nicht möglich ist.
Insel des Todes (2) Staffel 2, Folge 6 das unsichtbare Visier DDR
"Bei einem Terroranschlag des „Geheimapparates“ werden die Ehefrau und der Sohn des Ingenieurs Laffite getötet. Die Kundschafterin Winnie Winkelmann, die Lafitte kurz zuvor kennengelernt hatte, gewinnt den Rachepläne schmiedenden Ingenieur als Bundesgenossen. Mit seiner Hilfe gelingt es ihr, die angeblich von den Kommunisten angezettelte Entführung des italienischen Abgeordneten Batti als Doppelspiel von CIA und italienischen Neofaschisten zu entlarven."
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Doch keine DDR Propaganda?
Was hälst Du denn eigentlich von dem Tod Mißfelder. Gibt es dazu was?
Und was ist mit dem Hinweis, dass sich die von mir als irgendwie widersinnig empfundene These des Subalterngeheimmordalsterror aus den Turnertagebüchern ergibt? Ist das glaubwürdig?