Sonia Mikich, von 1992-98 ARD-Korrespondentin in Moskau und danach in Paris (1998-2002), ist seit dem 1. Januar 2002 Leiterin der Redaktion und Moderatorin des Polit-Magazins Monitor (WDR/ARD)
FREITAG: Frau Mikich, Sie sprechen im Rahmen der Auslandsberichterstattung im deutschen Fernsehen von "geistiger Provinzialisierung". Was meinen Sie damit?
SONIA MIKICH: Es fängt damit an, dass wir, weil es in Deutschland passiert und unsere Kameras hier zur Stelle sind, ein Bahnunglück bei Bielefeld für bedeutsamer halten als zum Beispiel den drohenden Atomkrieg zwischen Pakistan und Indien. Die Bewertung und Gewichtung haben sich verschoben. Alles mit Deutschlandbezug wird für wichtig gehalten und die Welt, das andere, wird dann störend, bedrohlich oder als exotischer Ort empfunden.
Gibt es eine Sendung, die Sie dennoch für vorbildlich halten?
Es gibt schon einige, zum Beispiel den Weltspiegel, das Auslandsjournal, es gibt sehr schöne Features, nur, man muss diese Sendungen häufig suchen. Und das will ich doch kritisch anmerken, dass viele Zuschauer gar nicht diese Hochglanzprodukte der Auslandsberichterstattung finden. Man kann nicht von jedem verlangen, dass er viel in Programmzeitschriften blättert, um dann bei ARTE das kluge Stück zu finden. Oder bei Phönix zur späten Stunde die interessante Wiederholung einer Dokumentation.
Wo und wie hat der Prozess zur "Provinzialisierung" eingesetzt? Gibt es eine entscheidende Zäsur?
In der Tat war für mich die deutsche Wiedervereinigung ein Wendepunkt. Davor haben sich Fernsehschaffende sehr viel mehr und sehr viel intensiver ums Ausland gekümmert. Dann haben sie sich zunächst einmal auf das Exotikum des wiedervereinten Deutschland konzentriert. Infolgedessen gab es viel Euphorie mit dem östlichen Europa, aber man verlor die Restwelt aus den Augen. Und bis heute ist es ja so, dass wir, wenn wir aus dem Ausland berichten, hauptsächlich über die große Weltmacht USA, dann natürlich auch aus Russland, dort wiederum auch wegen der charismatischen Reporter, die von dort berichten, und dann fängt es schon an, dünner zu werden. "Europa" machen wir, weil wir inzwischen ein Gefühl haben von "Europa" als Innenpolitik - aber wann haben wir zum Beispiel zum letzten Mal einen großen Bericht zur Lage in Griechenland oder Portugal gesehen? Geschweige denn aus Uruguay, oder Togo? Da greift dann das, was ich als sehr schmerzlich empfinde, die "leichte" Berichterstattung, das heißt, irgendetwas Exotisches, oder die "vier K´s": Kriege, Katastrophen, Krisen, Krankheiten, "Ausland-light".
Das sieht aus, als ob die deutsche Auslandsberichterstattung mit der deutschen Politik korrespondiert. Gibt es tatsächlich diese Zusammenhänge zwischen den politischen und redaktionellen Interessen?
Nicht schematisch, aber es ist doch aufgefallen, dass zum Beispiel unter der Kohl-Regierung viel mehr über die deutsch-französische Freundschaft berichtet wurde. Das galt damals als relevant, und wir haben gut davon gelebt, dass die Tagesthemen uns Korrespondenten anriefen: Wir machen heute etwas über Rentenpolitik, wie macht das der Franzose? Oder: Wie sieht die Bildungspolitik in Frankreich aus? - Das waren die beliebten B-Stücke, und das hatte sehr viel damit zu tun, dass die deutsch-französische Freundschaft ein wichtiger Bestandteil von Europapolitik war. Als die rot-grüne Regierung an die Macht kam, merkte man eine spürbare Distanzierung zu diesem Sonderfall Frankreich. Das wurde Business as usual, das Verhältnis war normalisiert, da bedarf es keiner Extrawürste, und das schlug sich auch in der Berichterstattung nieder. Es wurde weniger aus Frankreich bestellt, beziehungsweise dann über Mode oder die Filmfestspiele in Cannes. Die Frage ist: Was wird berichtet, zu welcher Uhrzeit, wie zugänglich ist es?!
Liegt es nicht auch am gewandelten Selbstverständnis von Reportern und Redakteuren, dass die Berichterstattung so schleichend entpolitisiert wird? Anders gefragt, hängt es nicht auch mit einer mangelnden Neugier, mit dem mangelndem Rückgrat, auch mit Bequemlichkeit von Journalisten zusammen?
Ich sehe ganz viel Politiker-Politik, also: die ankommende Limousine, die Konferenz, die Unterschriften, die Herren in grauen Anzügen beim Gruppenfoto. Aber diese Filme, die auch mich früher fasziniert haben, zum Beispiel über die Großfamilie oder über die Arbeiterklasse in Frankreich - das waren große, gesellschaftspolitische Themen, wo sehr genau hingeschaut wurde, um Frankreich, die französische Politik undsoweiter zu verstehen. Heute würde man an gleicher Stelle einen Film über die Fürstenfamilie in Monaco drehen. Das ist das, was ich mit Entpolitisierung meine. Das "Menscheln" von Themen und den Zuschauer für dümmer und desinteressierter zu halten, als er ist. Außerdem ist es ja auch einfacher, wenn ein Journalist Zugang zu Monaco und zur Fürstenfamilie hat, dann ist der Film ein Selbstläufer, dann braucht er doch nicht mehr viel selber zu erzählen, dann ist doch eine schöne, bunte, halbe Stunde gefüllt.
Warum wird jemand wie Sie als "mutig" bezeichnet, wenn Sie doch nur sagen, was ist, dass die Korrespondenten nicht wie früher berichten, eben nicht in die Provinz gehen, nicht die unbequemen Themen erst einmal ausgraben, um sie dann auch in den Redaktionen loszuwerden?
Es hängt auch mit objektiven Faktoren zusammen. Also dieser Geschwindigkeitsdruck heißt ja auch, dass Korrespondenten an die Technologie gefesselt sind. Das heißt, da, wo Satellitenschüssel und Übertragungswagen stehen, da müssen auch die Korrespondenten sein. Die können dann nicht zwei Tage ins Land fahren und es miterleben, mitschmecken, mitfühlen, sondern müssen im Stundentakt Berichte absondern. Das verleitet vielleicht dazu, nicht mehr neugierig zu sein und nur noch viele Minuten machen zu wollen. Und das andere ist, dass es einen Generationswechsel gegeben hat. Die Kollegen davor hatten zum Teil Anliegen, moralische Werte, politische Leidenschaften, das wird heutzutage so ja nicht mehr gewollt. Heute will man viel mehr Pragmatismus, Faktenhuberei, bloß keine Meinung!
Und wer bestimmt das ?
Niemand eigentlich. Es sitzt keiner da und zensiert, sondern es ist der gemeinsame Nenner, der dann plötzlich hochgeht. Dann wird in die Welt gesetzt "der Zuschauer will das nicht". Das kann keiner beweisen, keiner hat eine Untersuchung gemacht. Keiner weiß, ob der Zuschauer sich vielleicht nicht über eine hochpolitische und gut umgesetzte Sendung über den Islam sehr freuen würde, weil alle vermuten, ach - Islam, das kommt nicht gut an! Es gibt auch einige Programmplaner, die nach Quoten schielen, klar, aber eigentlich ist es die Übereinstimmung über einen angeblichen Mainstream, "was der Zuschauer will". Als ich noch sozusagen draußen "Handwerkerin" war, habe ich aber erlebt, dass der Zuschauer manchmal ganz merkwürdige Sachen wollte und ganz, ganz merkwürdige Sachen fantastisch bei ihm angekommen sind, und die angeblichen Quotenrenner sich als das erwiesen, was sie waren, nämlich Zeitverschwendung.
Sehen Sie eine Wende? Denn die geistige Provinzialisierung, wie sie derzeit im Fernsehjournalismus stattfindet, behaupten Sie, wird als politischer Bumerang in die Gesellschaft zurückkommen und zu noch mehr Engstirnigkeit und Rassismus führen. Sehen Sie einen Weg, dies zu ändern? Und wer geht den Weg und vor allem wie? Wo kommen die Journalisten her, die Ihrem Idealbild entsprechen, also informiert, detektivisch und humanistisch sind?
Es hat niemand behauptet, das es leicht ist. Aber ich sehe zum Beispiel in meiner Redaktion, dass sehr viele junge Autoren da sind, die sich dafür interessieren und Monitor als Adresse für diesen Journalismus empfinden. Ich sehe das auch bei den anderen - Panorama, Kontraste und die anderen schlafen ja nicht -, ich sehe nur keine Vernetzung dieser Idee. Es gab lange Jahre des Pragmatismus, des Egotrips und der Ruhmsucht. Jetzt dürfte diese Phase auch für Journalisten vorbei sein. In drei, vier Jahren, schätze ich, haben wir wieder sehr viel pointiertere und kontroverse Diskussionen im Fernsehen, und Auslands- und Hintergrundberichterstattung, eben relevante Filme werden wieder in den Mainstream eingehen.
Das Gespräch führte Rosemarie Bölts
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