Mal sehen, was daraus wird: Das war die erste Reaktion der Mazedonier auf die Nachricht, dass die vier großen Parlamentsparteien sich zu Wochenanfang nach Vermittlung von EU und NATO auf ein »Rahmenabkommen« geeinigt haben. Eine angemessene Reaktion: Die Tücke des Abkommens liegt zweifellos in seiner Umsetzung. Mit anderen Worten: Man konnte es getrost mit gekreuzten Fingern unterzeichnen.
Geschlossenes UÇK-Gebiet ist das Ziel
In einem »parallelen Prozess«, so NATO-Generalsekretär George Robertson, soll nun das Parlament in Skopje die beschlossenen Richtlinien umsetzen und gleichzeitig die albanische »Befreiungsarmee« UÇK ihre Waffen abgeben. Die versprochene Gleichzeitigkeit bietet unzählige Möglichkeiten, das Beschlossene nach Herzenslust zu torpedieren. Auf mazedonischer Seite war bereits zu hören, man werde die Verfassung erst dann ändern, wenn die UÇK tatsächlich demobilisiert sei. Die Albaner dagegen wollen ihre Waffen erst abgeben, wenn das Parlament greifbare Resultate vorzeigt. Und das Sobranje in Skopje ist für seine endlosen Geschäftsordnungsdebatten, Auszeiten und hintersinnigen Formelkompromisse berüchtigt.
Das Misstrauen auf beiden Seiten ist in diesen Tagen trotz der Unterzeichung des Abkommens sogar noch gewachsen. Die UÇK konzentriert sich gerade darauf, möglichst viel Territorium unter ihre Kontrolle zu bringen, und sie hat zum ersten Mal den Kampf um die Stadt Tetovo geführt. Das lässt kaum darauf schließen, dass eine politische Lösung für ganz Mazedonien wirklich ihr Ziel ist. Statt dessen wollen die »Befreiungskämpfer« ihre Hochburgen im Norden und Westen der Hauptstadt territorial verbinden, um so ein einziges, UÇK-kontrolliertes Gebiet zu schaffen - eine Logik, die dem Abkommen diametral entgegensteht. Insofern sieht sich die NATO mit der Entwaffnung der UÇK einer schweren, wenn nicht unmöglichen Mission gegenüber. An Entwaffnungsaktionen ist die Geschichte des Südbalkans reich; wirklich funktioniert hat noch nie eine. Das abschreckende Beispiel aus jüngster Zeit ist das Kosovo, mit der NATO als unglückseligem Akteur.
Auch auf mazedonischer Seite ist vom Versprechen zur Umsetzung der Weg noch weit. Zur Zeit mag sich noch niemand vorstellen, dass eine mazedonische Parlamentsmehrheit nun wirklich im Eilverfahren alle jene wichtigen Verfassungsänderungen beschließen wird, die ja schon seit Jahren hin- und hergewälzt werden. Schon bisher haben die führenden mazedonischen Politiker selten erkennen lassen, dass die Vermeidung eines Krieges wirklich ihre höchste Priorität ist. Fällt die unmittelbare Kriegsdrohung weg, wird die Reformbereitschaft noch weiter sinken. Er lehne das Abkommen ab, hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Jordan Boskov, bereits erklärt. Zu allem Überfluss geht die stärkste mazedonische Parlamentspartei, die VMRO (Vnatresno-Makedonska Revoluciona Organizacija) von Premier Ljubco Georgievski, offenkundig ihrem Zerfall entgegen. Bei den für Ende Januar angesetzten Wahlen muss sie mit einer verheerenden Niederlage rechnen.
Besser als der Vertrag von Dayton
Die Fristen des Abkommens sind äußerst eng: Erste Beschlüsse müssen schon nach 45 Tagen, andere bis zum Ende der Legislaturperiode fallen. Es gehört schon sehr viel staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein dazu, ausgerechnet die Vorwahlzeit zu nutzen, viele unpopuläre Beschlüsse zu fällen. Zudem zeichnet sich im bürgerlichen Lager eine Umgruppierung ab: Eine neue Partei ist im Entstehen, die den Unmut über die korrupte VMRO und die von ihr verantwortete nationale Katastrophe abfangen will.
Bei aller Skepsis ist die Unterzeichnung des Abkommens dennoch als Erfolg zu sehen. Das Bild Mazedoniens, das aus den zehn Artikeln und drei Annexen des Papiers entsteht, ist im Prinzip mit der Wirklichkeit gut vereinbar - anders als etwa beim Friedensabkommen, das 1995 in Dayton/Ohio für Bosnien geschlossen wurde. Die Albaner erhalten Quotenregelungen, die ihnen in Mazedonien zusätzliche Chancen eröffnen, keine territoriale Autonomie, die das ohnehin kleine Land zu einer bloßen Staatsfassade nach bosnischem Vorbild ausgehöhlt hätte. EU-Vermittler Francois Léotard hat sich erfolgreich gegen katastrophale Vorschläge besonders bei der Polizeireform durchgesetzt. So wollte sein amerikanischer Kollege James Pardew gemeinsam mit den Albanern eine Art Sheriff-System durchsetzen, das lokalen Polizeichefs weitgehende Vollmachten gegeben hätte - in einem Land wie Mazedonien, wo lokale Clan-Führer gleich welcher Nationalität im Allgemeinen totale Macht anstreben und oft auch erringen, hätte das einen sprunghaften Anstieg der Korruption zur Folge gehabt. Das Abkommen gibt gerade hier zu erkennen, dass es die Integration der Albaner in einen gemeinsamen Staat zum Ziel hat - nicht dessen schleichende Aufteilung.
Aber selbst wenn das Abkommen wirklich umgesetzt wird und die UÇK künftig still hält, ist noch nicht sicher, ob es auch funktioniert. Sein Erfolg setzt voraus, dass die Albaner ihre neuen Chancen in Mazedonien auch wirklich wahrnehmen. Quotenregelungen sind keine ganz neue Idee. So gibt es schon jetzt an der Universität Skopje eine garantierte Quote für albanische Studenten, die aber bei weitem nicht ausgeschöpft wird: Junge Albaner wollen lieber in Prishtina oder an der nirgends anerkannten Hochschule in Tetovo ihren Abschluss machen. Ob Albaner nun plötzlich massenhaft in den schlecht bezahlten Polizeidienst drängen, wird sich erst zeigen. Im noch günstigsten Fall wird die 23-prozentige Quote für Albaner ein Auffangbecken für die UÇK schaffen - im schlechtesten Fall bleibt sie unausgefüllt. Die Albaner müssen an Mazedonien glauben, wenn das Abkommen erfolgreich sein soll. Dazu sind sie nach fünf Monaten Terror und Kleinkrieg aber weniger denn je geneigt.
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