Gemütlicher Eskapismus

Dynastie Ralph Dohrmanns Roman "Kronhardt" ist auch eine sympathisch vertrödelte Hamlet-Version

Bis zu seinem Roman Kronhardt war Ralph Dohrmann einem größeren Publikum unbekannt. Nur ein Buch, Perros/Hunde. Erzählungen aus Mexiko und einer unglaublichen Wirklichkeit, ist von dem 1963 in Bederkesa geborenen, in Bremen aufgewachsenen Autor in einem kleinen Verlag erschienen. Sein Romandebüt nun erzählt zunächst auf vielversprechende Weise die Nachkriegskindheit des Erben der Bremer Maschinenstickerei Kronhardt & Sohn. In den vierziger Jahren in der Schweiz geboren, verliert Willem Kronhardt unter dubiosen Umständen früh seinen Vater, der als „entarteter“ Künstler mit seiner Frau in die Alpenrepublik geflohen war. Die Mutter heiratet daraufhin den Bruder des Vaters und kehrt mit Willem nach Bremen zurück.

An diesem ersten Teil des Romans beeindrucken besonders die Schilderungen der Natur. Mit originellen poetischen Bildern beschreibt Dohrmann die ländliche Gegend um Bremen, wohin Willem als Jugendlicher vor der dominanten Mutter flieht. Wie in Shakespeares Hamlet hat er Probleme mit der ihm zugedachten Rolle als Kronprinz von Kronhardt & Sohn. Doch seine Mutter zwingt ihn immer wieder zur Mitarbeit in der Stickerei und drängt zu geschäftlich-strategischen Freundschaften mit den Kindern anderer Honoratioren der Stadt. Eine Königin, die gnadenlos über das Reich von Willems Kindheit herrscht.

Dann aber, irgendwo zwischen Seite 250 und 300 des über 9oo Seiten langen Romans, ändert sich der positive Eindruck. Dohrmanns Hamlet endet nicht tragisch wie bei Shakespeare, sondern richtet sich in einem gepflegten Opportunismus ein. Zwar hat er Betriebswirtschaft studiert, wie es Mutter und Stiefvater wollten. Doch weigert er sich, sein Erbe anzutreten, Willem arbeitet nur Teilzeit für das Familienunternehmen. Den Rest seiner Zeit verbringt er meist lesend in seinem Zimmer und widmet sich naturwissenschaftlichen Problemen, seiner eigentlichen Leidenschaft.

Perfekte Komfortzone

Als er Barbara kennenlernt, scheint die Komfortzone perfekt. Die schöne Erbin eines traditionsreichen Bremer Stoffhandels wird von Willems Mutter sofort akzeptiert. Schnell steigt sie als Willems Ehefrau bei Kronhardt & Sohn ein, setzt moderne Technik, eine flexible Produktion und neue Vertriebswege durch, sodass die Firma bis in die Gegenwart erfolgreich bleibt. Konflikte tauchen selten auf und wenn, dann werden sie in einem Nebensatz aufgelöst. Der Antiheld vom Beginn, der an Hamlet erinnerte, hat sich mit seiner Lage arrangiert. Willems Eskapismus ist von der gemütlichen Sorte.

Die einzigen wirklichen Gegner bleiben Mutter und Stiefvater. Und die Art, wie Willem mit ihnen umgeht, ist symptomatisch für die Lösung von Widersprüchen im Roman. „Willem nannte die Vernagelung der Alten gewohnt lästig. Doch im Grunde vollkommen belanglos, umso mehr, wenn man einen Blickwinkel einnehme, der aus kleinsten Teilchen größte Zusammenhänge entstehen lasse, die zuletzt alles Gegensätzliche auflösten und aus allem Dualismus eine übergreifende Einheit machten.“ Da die Perspektive Willems bis auf wenige Ausnahmen die Perspektive des Erzählers ist, entzieht Dohrmann dem Leser die Aufgabe der „Auflösung der Gegensätze“. Fast alles wird zu einem Einheitsbrei vorgekaut. Ambivalenzen, die ja gerade die Lebendigkeit von Figuren ausmachen, bleiben dabei auf der Strecke. In der teils amüsanten Detektivstory im zweiten Teil, in der der Tod von Willems Vater aufgeklärt wird, kehrt Hamlet noch einmal zurück. Der Schluss gerät märchenhaft.

Kronhardt Ralph Dohrmann Ullstein 2012, 928 S., 24,99 €

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