Generalprobe

Pakistan Der Präsident schwebt zwischen allen Fronten

Pervez Musharraf erlebt die schwerste Krise seiner achtjährigen Militärdiktatur. Die Konfrontation mit radikalen Islamisten endete im Juli mit einem Blutbad in der Roten Moschee von Islamabad, als die Armee das Refugium stürmte. Seine verzweifelten Versuche, einen Kuhhandel mit der früheren Regierungschefin Benazir Bhutto zustande zu bringen, machten danach alles noch schlimmer. Am 8. August trieb das Drama seinem Zenit entgegen - man sah Musharraf verzweifelt nach dem einzigen Rettungsring greifen, der noch verblieben schien - die Ausrufung des Notstandes. Da besann er sich kurz nach Mitternacht plötzlich eines Besseren.

Er respektiere die Wünsche des Volkes, ließ Musharraf am nächsten Morgen mitteilen. Kein Gedanke an Notstand, schmetterte ein fröhlicher Regierungssprecher, das demokratische System funktioniere prächtig. Am Abend zuvor sah alles noch ganz anders aus. Musharraf hatte sich mit seinen Top-Ministern zurückgezogen. Gerüchte verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, nachdem er kurzfristig seine Teilnahme am pakistanisch-afghanischen Friedenstreffen der Stammesältesten in Kabul absagte. Was die Notbremsen quietschen ließ, bevor es zur Ausrufung des Notstandes kam, war ein mitternächtlicher Anruf von Condoleezza Rice. Sie verbat sich die Faxen und schickte Musharraf umgehend zur Friedens-Jirga nach Kabul.

Dort waren mehr als 700 Abgesandte der Paschtunen-Stämme aus Waziristan, dem unzugänglichen pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, zusammengetrommelt, um in einer Art großer exotischer Talkshow unter der Schirmherrschaft des Präsidenten Karzai darüber zu reden, wie man die wieder erstarkenden Taliban in den unkontrollierbaren Gebirgsregionen unschädlich machen könne. Während sich alle bedächtig die Bärte strichen, flogen pakistanische Cobra-Helikopter in der Stadt Mir Ali im Nordwesten von Waziristan massive Angriffe gegen alles, was man für Terroristen hielt.

Friedens-Jirga hin oder her, in Washington sind sich Präsident Bush und seine Kritiker längst einig, dass es keine politische Lösung für die Grenzregion mehr gibt. Koste es, was es wolle - es muss unterworfen werden. Wenn nicht mit dem pakistanischen Finger am Gewehrabzug, dann mit der amerikanischen Hand am Startknopf der Cruise Missiles. Hardliner in der Bush-Regierung drängen längst zu Militäroperationen auf pakistanischem Territorium. Seit Wochen debattiert das Pentagon über diesen Schritt, um dem Partner Pakistan endlich das Schamtuch staatlicher Souveränität vom Leibe zu reißen.

Präsident Musharraf schwebt mehr denn je in Gefahr, zwischen den Fronten zerquetscht zu werden. Einerseits werden von seinen amerikanischen Freunden die Daumenschrauben angezogen, um ihn zum rückhaltlosen Kampf gegen die Islamisten zu zwingen. Andererseits spannen sich deren Muskeln bedrohlich, und Ayman al-Zawahiri, die Nr. 2 der al Qaida-Führung, hat die Pakistani aufgerufen, sich gegen Musharraf zu erheben.

Von allen Seiten belagert, griff der General im Juni bereits zu einer ungewöhnlichen Vorsichtsmaßnahme, indem er alle Armeekommandeure zu sich rief und sich in einer weitschweifigen Erklärung ihrer Loyalität versichern ließ. Das änderte allerdings nichts daran, dass seither laut darüber nachgedacht wird, wie eigentlich die früheren Militärdiktatoren Pakistans ihre Karriere beendeten. General Ayub Khan, an der Macht von 1958 bis 1969, wurde von abtrünnigen Militärs zum Abgang gezwungen. General Yahya Khan, der Demokratie versprach und Wahlen abhielt, musste sein Amt nach dem Krieg mit Indien und der Abspaltung Bangladeshs 1971 der zivilen Regierung von Zulfikar Ali Bhutto übergeben. General Zia-ul Haq, der 1977 durch den Mord an Bhutto an die Macht kam, starb 1988 bei einem Flugzeugabsturz, dessen Ursache bis heute nicht geklärt ist. Eine der letzten Versionen geht davon aus, dass Giftgas in Mangokisten an Bord geschmuggelt worden war. "Wenn Musharraf nicht in Würde geht", sagte ein anonymer hoher Offizier gerade der New York Times, "kann er gern den Mangokisten-Weg nehmen."

Mangokisten oder islamische Attentäter - es geht immerhin um den Präsidenten einer Atommacht, die zum großen Rivalen Indien nicht unbedingt ein entspanntes Verhältnis pflegt. Die Amerikaner sollte das zur Vorsicht mahnen, auch wenn sich voraussehen lässt, dass sie General Musharraf ein weiteres Mal auf die Finger klopfen dürften, sollte er in seiner bedrängten Lage doch den Notstand ausrufen wollen. Der erste Versuch könnte die General-Probe gewesen sein.

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