Genießen statt Schließen

Im Gespräch Volker Hesse, Intendant des Berliner Gorki-Theaters, über das Theatermachen in Zeiten von Kulturzerstörung

FREITAG: Das Züricher Neumarkt-Theater war, als Sie es 1993 übernahmen, von Schließung bedroht. Dasselbe trifft, nach einem halben Jahr Ihrer Leitung, für das Berliner Gorki-Theater zu. Ihr Vertrag ist bis 2006 gültig, doch eine Bestandsgarantie haben Sie nur noch für zwei Jahre. Glauben Sie dennoch, dass Ihr durchschlagender Erfolg in Zürich sich auch in Berlin realisiert?

VOLKER HESSE: Man kann nicht sinnvoll Theater machen, wenn man auf seinen Tod starrt. Ich werde das Gorki so lebendig weiterentwickeln, dass sich die Frage der Abwicklung nicht stellt.

Aber Ihr Blick von Zürich auf Berlin war ein anderer?

Nein, ich wusste um die Schuldendruck-Situation und verhandelte mit den wechselnden Kultursenatoren - im Augenblick ist es der fünfte - wegen Garantien: Ich gehöre also zu jenen, die sogenannte "Bemühungszusagen" bekamen.

Warum gaben Sie Zürich für Berlin sehenden Auges auf?

Hier reizt mich nach wie vor, dass die Entwicklungschaotismen so plastisch sind, dass so viele Vergangenheitsdinge verarbeitet werden müssen, dass Geschichte so konkret in vielen Menschen drinsteckt - Berlin ist ein guter Ort für Theater.

Aber Ihr Start stand unter Attentats-Schock.

Weil unser Programm auf Aktualität zielte, galoppierte uns die Aktualität nach dem 11. September davon. Nichts schien den neuen Ereignissen gerecht zu werden, bestenfalls Stücke, die auf archaische Muster zurückgriffen, doch wir hatten den Gegenwarts-Witz, das Satirische, an den Anfang gesetzt. Inzwischen spielen wir auch Goethes Iphigenie.

Als Nummer Sicher?

Ich schätze dieses wertkonservative Stück außerordentlich und auch, dass sich große, alte Texte mit neuer Bedeutung aufladen. Langhoffs Inszenierung konfrontiert ein westlich imperiales Denken - das der "Griechen", mit einem stark religiös gebundenen Gastland - dem der "Taurier", was Assoziationen auslöst, die vor dem 11. September noch nicht denkbar waren.

Meine Assoziation ist im Augenblick die Übersetzung von "taurischem" Terror und "griechischer" Korruption in einen klassischen Schicksalsbegriff, der mit der "tragischen Notwendigkeit" des Berliner Kulturabbaus korrespondiert.

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