Genschers Masche

Nachruf Er war einer der großen Außenminister der Bundesrepublik. Sein Erfolgsrezept war so einfach wie genial: einfach vom eigenen Geschick ablenken
Ausgabe 14/2016
FDP-Ikone Hans-Dietrich Genscher im November 2004
FDP-Ikone Hans-Dietrich Genscher im November 2004

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die deutschen Außenpolitiker, wenn sie gut sind, sind etwas Besonderes. Kanzler Bismarck und Kanzler Adenauer waren ihre eigenen Außenminister. Von den Jahren der Weimarer Republik ist bis heute kein Kanzler so bekannt geblieben wie der Außenminister jener Zeit, Gustav Stresemann. Der jetzt verstorbene Hans-Dietrich Genscher hatte es in seiner Amtszeit als Minister mit drei exzeptionellen Bundeskanzlern zu tun, denen ein solches Schicksal ganz gewiss nicht zuteilwird. Umso erstaunlicher, dass auch ihn das Außenministerium zu besonderen Höhen des Ansehens trug. Das hat zweifellos damit zu tun, dass dem Außenministerium in der Phase des Übergangs von der Entspannungspolitik über die einzelnen Konstrukte internationaler Kooperation bis zur Wiedervereinigung eine bedeutende Rolle zukam. Es hatte aber auch auffallend mit Genschers besonderem Geschick zu tun, sein Amt wahrzunehmen.

Dem gebürtigen Hallenser, der nach dem Krieg in den Westen ging, Rechtsanwalt wurde und der FDP beitrat, schien das Amt nicht auf den Leib geschneidert. Von einem Wahlkreis in Wuppertal zog er in den Deutschen Bundestag ein, brachte es dort rasch zu Einfluss und bewährte sich als Strippenzieher der Klientelpartei in der Aufgabe, die damals scharf rechtsgerichtete Partei an die Seite der SPD zu bringen. Es ging darum, mit der Ostpolitik Willy Brandts zugleich den Boykott der Röhrenlieferungen an die Sowjetunion, an dem die Union festhielt, zu überwinden. Als es 1969 zur sozialliberalen Koalition kam, waren die Stahlbarone an Rhein und Ruhr zufrieden.

Genscher wurde Innenminister, zuständig für Law and Order. Als solcher erlebte er sein Debakel, als die deutschen Sicherheitskräfte bei dem Olympia-Attentat arabischer Terroristen auf israelische Sportler ein klägliches Bild abgaben. Genscher traf keine Schuld, aber sein Gesicht blieb lange mit dem schrecklichen Ereignis verbunden.

Als Walter Scheel Bundespräsident wurde, übernahm Genscher von ihm das Außenamt. Hinter einem gerade außenpolitisch zur Selbstdarstellung begabten Kanzler Helmut Schmidt konnte er die Zeit nutzen, sich neu zu erfinden und zu entwickeln. Früh mit Helmut Kohl befreundet, blieb er dennoch auch nach dessen grandiosem Wahlerfolg 1976 bei Schmidt. 1980, als Franz Josef Strauß Kanzler werden wollte, fiel ihm die Wahl nicht schwer. Als er 1982 zusammen mit Kohl Schmidt in einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzte, hatte die SPD selbst alle Vorbereitungen dazu getroffen – dennoch gelang es Schmidt, die Schuld für seinen Abgang der FDP in die Schuhe zu schieben, und Genscher sah sich einer Hass-Kampagne ausgesetzt, wie sie das Land noch nie erlebt hatte.

In der Regierung Kohls sorgte Genscher für außenpolitische Kontinuität. Das war eine große Leistung. Sie hat, das muss man anerkennen, die Wiedervereinigung acht Jahre später mitermöglicht. Zwischen Kohl und seinem Außenminister bestand ein tiefes Vertrauensverhältnis. Auch Kohl war ein großes Risiko eingegangen, als er nach der Wende 1982 der FDP das parlamentarische Überleben zu sichern half. Aber als er nach dem Mauerfall 1989 im Bundestag seine „Zehn Punkte“ vortrug, hatte er Genscher nicht vorab unterrichtet. Was man Genscher sagte, erläuterte er dazu, konnte man auffällig schnell danach in den Medien lesen. Aus das gehört zum Erfolg.

Genschers Geschick als Verhandlungspartner bestand darin, dass er die Worte seines Gegenübers immer so wiederholen konnte, dass dieser sich selbst für überaus intelligent hielt. Darüber versäumte es manch einer, darauf zu achten, was denn Genscher sagte. Der neigte ohnehin nicht zu Klarheit. Er war ein Rechtsanwalt. Es verwundert ein wenig, dass es nicht mehr davon in der Politik gibt.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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