Gepflegtes Schweigen

Defizit Armut, Finanzmärkte, Klimaschutz: Im Wahlkampf fiel so manches Großthema unter den Tisch – das könnte sich rächen
"Das Beste steht uns noch bevor", sagt US-Präsident Barack Obama. Wirklich?
"Das Beste steht uns noch bevor", sagt US-Präsident Barack Obama. Wirklich?

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Nach mehr als einer Million Fernsehwerbespots, vergessenswerten TV-Debatten, peinlichen republikanischen Casting-Shows im Frühjahr und Rekord-Wahlkampfspenden von weißen Multimillionären – der Präsidentschaftswahlkampf 2012 ist Geschichte. Keine revolutionäre Einsicht: Es ging bei „Romney gegen Obama“ um Vermarktung. Kampagnen richteten ihre Botschaften an Geldgeber und Wähler. Ein bisschen Spagat musste da schon sein, so dass manche Themen zwangsläufig ausfielen. Wohl am bemerkenswertesten: Der Wahlkampf fand ohne Klimawandel statt. Selbst als Supersturm Sandy die U-Bahn-Schächte von New York überflutete, hielten die Kandidaten still. Romney ließ seine Anhänger Konservendosen sammeln fürs Katastrophengebiet. Obama versicherte, er werde die Betroffenen nicht im Stich lassen. Spötter wollten wissen, ob Tea-Party-Anhänger die Treibstofflieferungen des „Big Government“ annehmen oder das Auto stehen lassen würden.

Beim Klimaschutz hat Obama enttäuscht. Er schien zunächst überzeugt, dass menschliches Tun zur Erderwärmung beiträgt. Was passierte, hielt sich jedoch in Grenzen. Lediglich Vorschriften für den Benzinverbrauch von Neuwagen wurden verschärft und bei der Konjunkturbelebung Hunderte Millionen Dollar in grüne Projekte geleitet. Doch im Wahlkampf prahlte Obama mit forcierter Erdgas- und Ölförderung und seinem Einsatz für saubere Kohle.

Die fossile Industrie, jahrzehntelang die wohl mächtigste Branche der Welt, baute eine Wagenburg. Klima-Aktivist Bill McKibben hat die Zustände so beschrieben: „Ich erlebe seit Jahrzehnten, wie die weltbesten Wissenschaftler im Kongress ihre neuen Daten vorstellen.“ Doch so furchterregend die Informationen auch seien – die Politiker hätten mehr Angst vor der fossilen Industrie. Die habe „eine Partei gekauft und die andere eingeschüchtert“. Die Zahl derer, die in den USA an die Klimaerwärmung glauben, ist von rund 70 auf etwas über 50 Prozent zurückgegangen. Es hat sich erledigt, was Mitt Romney für den Fall signalisierte, dass er im Weißen Haus regieren werde: Er wolle Nordamerika „zum Energieselbstversorger machen“. Er kritisierte sogar George W. Bush. Dieser habe nicht genug für die Förderung von eigenem Öl und Gas getan.

Hardliner bei den Republikanern halten Klimaschutz für eine Verschwörung, um die US-Ökonomie zu ruinieren. Und die weißen Evangelikalen, die bei der Wahl zu rund drei Vierteln für Romney stimmten, sind ohnehin klimaskeptisch: Gott habe doch die Welt in der Hand. 44 Prozent der Amerikaner sind nangaben des Public Religion Research Institute der Ansicht, Umweltkatastrophen seien Anzeichen eines baldigen Weltuntergangs. Das ist für einen Rechtgläubigen nichts Schlechtes.

Um ein Haar

Klimaschützer hoffen, Sandy werde langfristig eine neue Realität schaffen. Man blickt hoffnungsvoll auf den parteilosen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg. Ein Milliardär, der wegen des Hurrikans zu dem Schluss kam, weil sich das Klima verändere, sei „sofortiges Handeln“ geboten. Vor nicht allzu langer Zeit war Umwelt auch ein republikanisches Thema. Ausgerechnet Richard Nixon hat die US-Umweltschutzbehörde EPA ins Leben gerufen. Sorge für die Umwelt bringe Amerikaner über Parteigrenzen hinweg zusammen, sagte dieser Präsident im Jahr 1970.

Ebenso krass ignoriert wurde im Wahlkampf auch das Thema Armut. Es existierte nur die Mittelkasse, die in Gefahr sei. Dabei leben in den USA nach Regierungsangaben 46 Millionen Menschen in prekären Verhältnissen, 15 Prozent der Bevölkerung. Rund ein Fünftel der Kinder wächst in Armut auf, was letztmals Mitte der sechziger Jahre als nationales Problem anerkannt wurde. Seinerzeit rief der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson zum „Krieg gehen die Armut“ auf.

Und am anderen Ende des wirtschaftlichen Spektrums: Barack Obama sprach sich für eine Steuerreform aus, bei der auch die Wohlhabendsten einen „fairen Anteil“ schultern würden. Doch wie es mithilfe der auch von Demokraten abgesegneten Steuergesetze und zaghafter Bankenregulierung dazu kommen konnte, dass ein Großteil der Wirtschaft zu einem Wettsalon wurde, der 2008 „um ein Haar explodiert wäre“, wie es Ex-Arbeitsminister Robert Reich formulierte, das wurde weitgehend unter den Teppich gekehrt.

New-York-Times-Kolumnist Nicholas Kristof schrieb, er habe während Sandy bei Kerzenlicht Twitter-Botschaften in die Welt geschickt. Das sei für ihn ein Weckruf gewesen. Man werde eines Tages auf den Wahlkampf 2012 zurückblicken und fragen: Was haben die sich damals nur gedacht?

Konrad Ege berichtet für den Freitag seit vielen Jahren aus den USA

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden