Geplänkel und Getändel

Italien Die Kritik von Premier Matteo Renzi an der deutschen Flüchtlingspolitik ist eher taktisch motiviert
Ausgabe 04/2016
Premier Matteo Renzi stehen zwischen März und Juni viele Kommunalwahlen bevor
Premier Matteo Renzi stehen zwischen März und Juni viele Kommunalwahlen bevor

Foto: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Man denke nicht daran, den eigenen Anteil an den Flüchtlingsgeldern für die Türkei zu zahlen! Premier Matteo Renzi geht auf Konfrontationskurs zu Europa! Die derzeitigen Schlagzeilen suggerieren einen tief greifenden Dissens. Schon Ende 2015 hatte Renzi die deutsche Vorherrschaft in der EU beklagt. Jetzt legte er nach: „Niemand soll sich einbilden, dass er uns von außen fernsteuern kann.“ Das richtete sich gegen Angela Merkel und den Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker.

Die Differenz in der Sache ist gering. Die EU will der Türkei bekanntlich drei Milliarden Euro für die grenznahe Unterbringung syrischer Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Eine Milliarde davon wird aus dem EU-Budget bezahlt, die restlichen zwei Milliarden sollen die Mitgliedstaaten aufbringen. Dabei bleiben die Lasten für Italien überschaubar und eigentlich kein Grund, so vehement gegen die „Fernsteuerung“ aus Brüssel und Berlin zu polemisieren. Zumal Renzi gegen die – unter humanitären Gesichtspunkten mehr als fragwürdige – EU-Entscheidung, syrische Flüchtlinge in der Türkei an der Weiterreise nach Europa zu hindern, gar nichts einzuwenden hat. Generell folgt man in Rom der EU-Generallinie: die Außengrenzen abschotten, illegal Eingereiste verfolgen und – wenn möglich – in die Herkunftsländer zurückführen. Letzteres war schon eine Spezialität früherer Mitte-Links-Koalitionen; 1997 schloss die Regierung Prodi „Rückübernahmeabkommen“ mit Albanien, Tunesien und Marokko. Im Gegenzug erhielten diese Länder Geld und Technologie für die Überwachung ihrer Küsten. Unter Silvio Berlusconi kam dann noch ein ähnlicher Tauschhandel mit Libyen hinzu. Auch die Gesetzgebung wurde verschärft: Das berüchtigte Gesetz Bossi-Fini (benannt nach den Anführern der rassistischen Lega Nord und der neofaschistischen Alleanza Nazionale) definierte illegale Einwanderung als Straftat. Der Paragraf gilt bis heute. Erst jüngst scheiterte seine Abschaffung aus Gründen politischer Opportunität: Innenminister Angelino Alfano, früher ein enger Vertrauter Berlusconis, verweigerte sich, und eine Koalitionskrise war Renzi die Sache nicht wert.

Mehr EU-Osterweiterung

Auch mit den europäischen Partnern hat Renzi den Streit um die Flüchtlingspolitik bislang nur verhalten geführt. Obwohl es dafür einigen Anlass gegeben hätte: So wurde Mare Nostrum, die erfolgreiche Operation der italienischen Marine und Küstenwache zur Seenotrettung von Flüchtlingen, Ende 2014 auf Druck der EU kurzerhand abgeschafft. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière begründete das mit einem Argument, das auch die Lega Nord für ihre Hasskampagnen verwendete: Organisierte Rettungsaktionen würden noch mehr Flüchtlinge anlocken. Renzi protestierte: „Wir dürfen nicht erlauben, dass das Mittelmeer zu einem Friedhof wird. Die EU darf nicht einfach wegschauen!“ Als die sich dennoch für das Wegschauen entschied, war auch für Renzi der Fall erledigt. Kritik an Italiens mutmaßlich laxem Umgang mit neu angekommenen Flüchtlingen wies er wiederholt zurück: Selbstverständlich würde man Fingerabdrücke nehmen und Fotos machen. Zu den flüchtlingspolitischen Grundpositionen der Renzi-Regierung gehört freilich auch die Ablehnung von Grenzkontrollen innerhalb der EU – auch um den freien Warenverkehr nicht zu behindern; bei der Verteilung Geflüchteter soll es verbindliche Quoten geben; die Transitländer Albanien, Serbien und Montenegro will Renzi möglichst schnell in die EU holen und dann zur Aufnahme von Asylsuchenden verpflichten.

Insgesamt ist der Dissens zwischen Italien und dem europäischen Machtzentrum nicht derart aufgeladen, wie das rhetorische Scharmützel nahelegt. Wenn Renzi augenblicklich besonders laut tönt, hat das auch mit den anstehenden Wahlen zu tun: Zwischen März und Juni werden in etlichen Kommunen neue Bürgermeister bestimmt, auch in Rom, Mailand, Neapel, Turin, Bologna und Cagliari.

Härtester Rivale von Renzis Partito Democratico ist die Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo. Ihre EU-kritische Agitation kommt im eigentlich europafreundlichen Italien immer besser an – für den Regierungschef Grund genug, das Thema nicht der Konkurrenz zu überlassen. Die von Brüssel und Berlin den südeuropäischen Ländern seit 2010 aufgezwungene Austeritätspolitik attackiert Renzi schon länger und mit Recht. Für seine Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik gilt: Sie ist halbherzig und oft – wie im Moment – vor allem taktisch motiviert.

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