Geräusche aus der Gegenwart

Bühne Die Neue Bühne Senftenberg bringt in Koproduktion mit dem Berliner Heimathafen Neukölln eine großartig aktuelle Bearbeitung von Horváths "Ein Kind unserer Zeit" heraus

Ein Wurf, diese Aufführung, Theater, kammermusikalisches, politisches, wie es heute selten ist. Dank Horváths literarischer Vorlage Ein Kind unserer Zeit und dank der Intelligenz und des Mutes derer, die sie in Senftenberg auf die Bühne gebracht haben. Die Inszenierung von Nicole Oder wirft radikal den Blick ins Jetzt, die Stirne der Schauspieler rammen gleichsam die Wände neuerlicher Kriegstreiberei, deren sprachliche, syntaktische Grundlagen bei Horváth schon da sind.

Und dann wirft, was sich da kundtut, den Blick zurück, zurück etwa in den geheimen Krieg der Legion Condor und dessen größter Schamlosigkeit, der Bombardierung der Stadt Guernica. Die Inszenierung zeigt derlei nicht, aber sie weist darauf. Und Horváths Roman Ein Kind unserer Zeit (1937) geht von solchen Tatsachen aus. Moderne Mittel, Spiel- und Denkformen werden hier genutzt, damit das Intendierte auch die Leute, die Jugend erreicht – die Arbeit ist eine Koproduktion mit dem Berliner Off-Theater Heimathafen Neukölln, wo sie auch gezeigt werden wird.

Am Abend in Senftenberg waren 50 Zuschauer da, mehr ältere als jüngere. Sie saßen wie in einem U-Bahnzug; dicht vor den Augen die Geschehnisse, das, was Menschen belastet, bedrängt, verwundet, tötet. Auch die Liebe. Die Liebe zwischen dem Protagonisten und einer Kassiererin im „Verwunschenen Schloss“, einem Amüsierbetrieb für Uniformierte (der Bundeswehr) und sonstige Helden aus dem deutschen Alltagsleben. Ein Soldat steht im Mittelpunkt, ihm zur Seite weiteres Militär, ein Oberleutnant, eine Lazarettschwester, fiktional ein Hauptmann, Rekruten, ein übler, die alten Phrasen nachdreschender Buchhalter in Bundeswehruniform, die Gattin des Hautmanns, weiteres Personal.

Gedrechselte Ideale

Die allseits verwandlungstüchtigen Schauspieler Tanya Erartsin, Till Demuth, Bernd Färber und der Musiker Mando schlüpfen in sage und schreibe 18 Rollen, Kostümwechsel, Ortswechsel, Änderung der Haltungen, Gesten, Sprachcharaktere oftmals in Sekundenschnelle. Das verlangt alles ab. Staunenswert desgleichen, was sich als Musik darstellt. Mando macht keinen Pop, wohl aber Geräusche und Rap mit dem Mund, den Lippen, den Zähnen hautnah am Mikro. Der Marschrhythmus, dreckig, grantig, gegen den Strich gebürstet, ist seine Domäne. Explosionen, wie die auf Schlachtfeldern, gehen aufs Konto von Technik und Musik.

Wie eingekesselt darin der Soldat. Till Demuth ist Blödian, Großmaul, Verführter, Weggeworfener, Liebender in einem. Er macht das vorzüglich. Zauberhaft poetisch die gitarrenbegleiteten realen und geträumten Liebesduette mit der Kassiererin, nieder gedrückt, verlassen wie er, stets auf der Suche nach ihr. Des Soldaten Ideale anfangs sind gedrechselte, eingedrillte Ideale, herrührend aus tradierten bürgerlichen Bildungswerten und Nazi-Ideologie. Orphisch, was als Gefühlsbalast aus dem Bauch des Soldaten kommt: „Ich bin Soldat. Und ich bin gerne Soldat!“

Im uniformierten Kollektiv martialisch gesprochen, schlagen solche Sätze gegen schallende Wände. Jargons von Vaterland, Disziplin und Ordnung geistern durch den jugendlichen Kopf und entfahren dem harten Mund. Es folgt die Ernüchterung. Im Gefecht, „seinen Hauptmann“ zu retten, geht der Arm kaputt. Schließlich die vollkommene Desillusionierung. Der Soldat erschrickt erst, als der Abschiedsbrief des Hauptmanns, eine Absage an Krieg, von dem Dreierteam stereofon verlesen wird. Roman und Theaterwerk sollten Kreise ziehen.

Die nächsten Aufführungen sind an der Neuen Bühne Senftenberg am 17.04.2012 und 07.05.2012 (Vormittagsaufführungen) und am 09.05.2012 und 26.05.2012 (Abends)

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